Astrazeneca: Warum Experten den Impfstoff trotzdem für sicher halten

Der Impfstoff des Herstellers Astrazeneca gegen das Coronavirus hat in Deutschland ein schlechtes Image. Immer wieder lehnen Menschen das Vakzin ab. Berichte über Nebenwirkungen und angeblich schwächerem Impfschutz sowie eine Flut von unzureichend erklärten Begriffen sorgen für Zweifel. Manche davon haben ihre Berechtigung, andere sind schlichtweg falsch. Wir klären die wichtigsten Fragen: Lesen Sie auch: Mögliche Nebenwirkungen - Dänemark setzt Astrazeneca-Impfungen aus Der Astrazeneca-Impfstoff hat eine geringere Wirksamkeit, als der von Biontech/Pfizer. Schützt er deshalb schlechter? Nein, das beruht auf einem Missverständnis. In den Zulassungsstudien wurde überprüft, in wie vielen Fällen bei Geimpften und Nicht-Geimpften eine Corona-Infektion mit mindestens einem der sogenannten Leitsymptome (z.B. Fieber, Husten, Halsschmerzen) auftrat, erklärt die Bremer Epidemiologin Haug. Bei einer Impfung mit Astrazeneca passierte das 70 Prozent seltener als bei den Nicht-Geimpften. Mit diesem Wert wurde in den Studien die Wirksamkeit beschrieben, bei Biontech lag der Wert sogar bei über 90 Prozent. Haug, die zur Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen forscht, erklärt: "Daraus kann man aber nicht schließen, dass im Fall von Astrazeneca 30 Prozent der Geimpften sich trotz Impfung infizieren." Die Studie zeige, dass das Risiko einer Erkrankung, bei der Symptome auftreten, deutlich reduziert werden könne. Bemerkenswert sei auch, dass es in der Gruppe der Geimpften zu keinem schweren Verlauf kam. Und das sogar schon nach der Erstimpfung mit Astrazeneca, also ohne vollständigen Impfschutz, wie neue Daten der schottischen Gesundheitsbehörde nahelegen. Demnach sei die Wirkung nach der ersten Impfung sogar besser als beim Impfstoff von Biontech. Heißt: Die Krankheit, sollte sie trotz Impfung ausbrechen, verläuft in der Regel deutlich harmloser. Das bedeutet auch: Die Wahrscheinlichkeit, dass Geimpfte wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden müssen, sinkt deutlich, was das Gesundheitssystem entlastet. Das gilt für alle drei in Deutschland zugelassenen Impfstoffe. Weitere Belege liefert besagte Studie aus Schottland, die allerdings von Fachkollegen noch nicht begutachtet ist. Unter rund 440.000 mit Astrazeneca geimpften Schotten sank die Zahl der Hospitalisierungen wegen Covid-19 um satte 94 Prozent. "Auch bei Menschen über 80 war der Wert für den Biontech-Imptstoff und den Astrazeneca-Impfstoff noch sehr hoch", erklärt Haug. "Und der Impfschutz wird durch die Zweitimpfung ja noch größer." Was bedeutet der Impfstopp in Dänemark und Norwegen? Die beiden nordeuropäischen Länder haben Impfungen mit Astrazeneca am 11. März unterbrochen, weil es Berichte über Gerinnungsstörungen nach Impfungen gegeben hatte. Ein Mensch starb. Ein deutscher Experte hält einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Todesfall in Dänemark aber für unwahrscheinlich. &bdquo;Ein direkter Zusammenhang ist nicht richtig vorstellbar, das kann auch Zufall sein", sagte der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. &bdquo;Das ist etwas Außergewöhnliches. Gefäßverschlüsse sind weder in den Zulassungsstudien aufgetaucht noch bei den Impfungen in England, und dort ist man sehr wachsam." Allerdings müsse man dem Vorfall nachgehen, sagte Salzberger. &bdquo;Wenn man ein solches Phänomen sieht, dann muss man das untersuchen, und das tun die Dänen derzeit." Ähnlich äußerten sich andere Experten. Ulrike Haug verweist darauf, dass der Impfstopp eine Vorsichtsmaßnahme sei. Beide Länder hätten gute Daten zur eigenen Impfkampagne vorliegen. "Wahrscheinlich werden sie relativ schnell aufklären können, ob es einen Zusammenhang gab." Der Essener Immunologe Matthias Gunzer glaubt eher nicht an eine Nebenwirkung. Er habe dem Impfstoff wegen der aus seiner Sicht "bedenklichen" Zulassungsstudie lange skeptisch gegenübergestanden, sagte der Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften in Dortmund. Neue Daten aus Großbritannien hätten ihn aber überzeugt. "Da wurde die Wirksamkeit bei einer halben Million Impflingen überprüft. Es wäre dort, glaube ich, aufgefallen, wenn Blutgerinnsel eine häufige Nebenwirkung des Impfstoffs wären. Wenn der Impfstoff so gut wirkt, warum wurde er erst jetzt auch für Ältere freigegeben? Die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (Stiko) hat in Deutschland für Verwirrung gesorgt. Denn die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte den Impfstoff von Astrazeneca bereits für die Anwendung bei Menschen ab 65 Jahren empfohlen. Die Stiko begründete ihre Entscheidung damit, dass die Datenlage nicht ausreiche, um eine Empfehlung auszusprechen. "Es stimmt zwar, dass der Impfstoff vor der Zulassung – anders als der Biontech-Impfstoff – an vergleichsweise wenigen Menschen dieser Altersgruppe getestet wurde, aber die Europäische Arzneimittelbehörde hatte Gründe, warum sie für diese Altersgruppe dennoch eine Zulassung erteilt hat", sagt Ulrike Haug. So würden Erfahrungen mit anderen Impfstoffen, die beobachtete Immunantwort und die zuverlässigen Informationen zur Sicherheit in dieser Altersgruppe für einen Einsatz bei Älteren sprechen. Von der Skepsis gegenüber dem Vakzin schien die Stiko dann aber doch überrascht. Dabei sei das zu erwarten gewesen, sagt Haug. "Dann denken die Leute, mit dem Impfstoff ist irgendetwas nicht in Ordnung." Außerdem sei wegen guter Erfahrungen aus anderen Ländern klar gewesen, dass die dünne Datenlage bald überholt sein würde. Mittlerweile lägen Studien vor, die die Empfehlung mehr als rechtfertigten. Wurde der Impfstoff überhaupt ordentlich geprüft, die Freigabe ging doch viel schneller als sonst? Das stimmt, dennoch wurden alle drei zugelassenen und auch die außerhalb Deutschlands empfohlenen Impfstoffe an zehntausenden Menschen getestet. Vor einer Zulassung lässt die EMA alle Mittel von unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen. &bdquo;Der Nutzen eines Impfstoffs, der Menschen vor Covid-19 schützt, muss weitaus größer sein als jede Nebenwirkung oder jedes mögliche Risiko", schreibt die EU-Behörde. Mehr als 18.000 Menschen bekamen vor der Zulassung den Impfstoff von Biontech, über 14.000 den von Moderna und rund 5.250 Menschen den von Astrazeneca. Fazit: Obwohl die Wirksamkeit der anderen Impfstoffe insgesamt höher war, schützte Astrazeneca zu 100 Prozent vor schweren Verläufen von Covid-19. Sind die Nebenwirkungen am Ende schlimmer als eine Covid-19-Erkrankung? Studien zufolge können die am häufigsten beobachteten Reaktionen nach einer Corona-Impfung etwa Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schüttelfrost sein, zuweilen auch Fieber oder Übelkeit. Demnach sind diese meist schwach bis mäßig und klingen nach kurzer Zeit wieder ab. Alle berichteten Reaktionen deckten sich mit denen, die auch in klinischen Studien auftraten. Es waren auch die Symptome, wegen denen sich geimpfte Rettungskräfte und andere in Deutschland dutzendfach krankmeldeten, weil sie die Impfung zeitgleich erhalten hatten."Die Impfreaktion fällt bei Jüngeren oft stärker aus als bei Älteren. Da der Astrazeneca-Impfstoff bei Jüngeren eingesetzt wurde, ist es nicht überraschend, dass es bei diesem Impfstoff zu mehr Berichten über Impfreaktionen kam", erklärt Haug. Schwerwiegende Komplikationen gibt es laut Robert-Koch-Institut nur in sehr seltenen Fällen. In Deutschland gab es bis zum 12. Februar knapp vier Millionen Corona-Schutzimpfungen mit allen Impfstoffen, etwa 1,35 Millionen Menschen erhielten bereits ihren zweiten Piks. In 1.178 Fällen wurde über schwerwiegende Reaktionen berichtet, zum Beispiel allergische Schocks, schreibt das (PEI) in seinem Sicherheitsbericht vom 18. Februar – also bei 0,03 Prozent der verabreichten Impfdosen. Für die bis dahin 31.000 Impfungen mit Astrazeneca waren sogar nur in elf Fällen (0,04 Prozent) schwerwiegende Reaktionen verbrieft. Das PEI äußerte im aktuellsten Sicherheitsbericht entsprechend auch keine Bedenken zum Astrazeneca-Impfstoff. Und was, wenn ich mich nicht impfen lassen will? Dagegen stehen im Fall einer Infektion Risiken, die mit steigendem Alter auch mit einem höheren Sterberisiko einhergehen. Schwere Verläufe bei jüngeren Menschen sind selten, kommen aber durchaus auch vor. Genauso, das betonen Forscher, steige aber auch das Risiko schwerer Verläufe ab einem Alter von etwa 50 Jahren. &bdquo;Es können symptomlose Infektionen bis hin zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod auftreten", heißt es vom RKI. Experten zufolge leiden außerdem zwischen zehn und zwanzig Prozent der Infizierten noch Monate nach der Infektion an schwerer Erschöpfung und anderen Symptomen - auch ohne schweren Verlauf. Das Krankheitsbild wird Long Covid oder Post Covid genannt. Jeder müsse natürlich selbst abwägen, ob er eine Impfung wolle oder nicht, sagt Haug. Sie sagt aber ganz klar: "Wer sich jetzt nicht impfen lässt, der wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann anstecken. Und der nimmt die Risiken der Erkrankung und auch der Langzeitfolgen in Kauf." Wie gut wirkt Astrazeneca gegen die ansteckenderen Virus-Varianten? Einer Studie aus Großbritannien (Universität Oxford) zufolge wirkt der Impfstoff gegen die auch in Deutschland verbreitete britische Virus-Variante ähnlich gut, wie gegen das ursprüngliche Virus (rund 75 Prozent Wirksamkeit). Bei der südafrikanischen Variante ist die Wirksamkeit nach aktuellem Stand deutlich geringer, genaue Zahlen liegen aber noch nicht vor. Eine kleine, noch ungeprüfte Studie aus Südafrika attestierte nur einen "minimalen Schutz" gegen leichte und mittelschwere Verläufe. Allerdings musste keiner der rund 2.000 Probanden ins Krankenhaus, auch Todesfälle sind nicht bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt den Einsatz von Astrazeneca in einem Schreiben vom 10. Februar weiterhin auch in Ländern, in denen Virusmutanten aufgetreten sind. Mitte Februar machte die südafrikanische Variante 1,5 Prozent der Neuinfektionen in Deutschland aus. Internationale Wissenschaftler gehen davon aus, dass jede Impfung - auch mit Astrazeneca - einen gewissen Schutz bietet. "Wir haben eine schützende Abwehr nach jeder zugelassenen Corona-Schutzimpfung", sagte Pei-Yong Shi, Professor für Mikrobiologie an der University of Texas Medical Branch, der Deutschen Welle. Astrazeneca will bis Herbst eine überarbeitete Variante seines Impfstoffs anbieten, die besser gegen die südafrikanische Variante schützt. Anmerkung: In einer früheren Version schrieben wir, die Studie in Schottland sei mit 5,4 Millionen Geimpften durchgeführt worden. Richtig ist, dass von 5,4 Millionen in Datenbanken registrierten Schotten, etwa 440.000 mit Astrazeneca geimpft worden waren (rund 700.000 mit Biontech). Unter ihnen betrug die Wirksamkeit 94 Prozent. Wir haben das korrigiert.

Meistgelesen