
Rheda-Wiedenbrück. Wer einen Pullover oder eine Jeans nicht mehr tragen möchte und aus dem Kleiderschrank aussortiert, der gibt die Sachen gern in die Altkleidersammlung. Ein aussortiertes Sofa oder ein satt gesehener Küchenstuhl jedoch landet in Deutschland meist im Sperrmüll. Der Handel mit Second-Hand-Möbeln, also gebrauchten Möbeln, hat durch Kleinanzeigenportale einen schwierigen Ruf. Doch ein Möbelhersteller aus Rheda-Wiedenbrück möchte das ändern.
Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit durch Wiederverwendung, der in der Bekleidungs- und Textilbranche längst gang und gäbe ist – Handelsriesen wie H&M, Zara und andere haben inzwischen alle ein Second-Hand-Programm – ist in der Möbelbranche bisher wenig präsent. Experten schätzen, dass allein in der EU jährlich rund zehn Millionen Tonnen Möbel, zum Teil noch gut erhalten, auf dem Sperrmüll landen. Leo Lübke, Geschäftsführer des Möbelherstellers Cor Sitzmöbel aus Rheda-Wiedenbrück, sieht darin ungenutztes Potenzial.
In seinem Unternehmen mit rund 220 Mitarbeitern, das Tische und Sitzmöbel für die gehobene Preisklasse herstellt, spielt das Thema Nachhaltigkeit schon lange eine wichtige Rolle. „Unsere Fertigungsphilosophie lautete schon immer: Alles vor Ort“, sagt Lübke.
Geht da noch mehr?
Verarbeitet werde darum massives Buchenholz aus dem Sauerland mit Schäumen aus Gelsenkirchen und in Rheda-Wiedenbrück genähten Stoffen. Die hochwertige Qualität verspreche langjährige Haltbarkeit. „So haben wir den CO2-Abdruck der Firma schon immer möglichst gering gehalten.“ Doch seit über einem Jahr beschäftigt ihn die Frage: Geht da noch mehr?
Entstanden ist daraus das Projekt „CorEver“. Schon lange biete das Unternehmen an, verschlissene Bezüge oder durchgesessene Polster gegen Bezahlung wieder aufzuarbeiten. „Aber im Bemühen, noch mehr Verantwortung für unsere Produkte zu übernehmen, gehen wir jetzt einen Schritt weiter und nehmen ausrangierte Möbelstücke ganz zurück, arbeiten sie wieder auf und verkaufen sie weiter“, erklärt Lübke. Die Philosophie: Refresh, Recover, Repair, Recycle.
Zurück nach Rheda-Wiedenbrück kommen die Möbelstücke per Lkw, der neue Möbel ausliefert und zurück sonst leer gefahren wäre. „Unseren Vertriebspartnern zahlen wir pro Möbelstück, das sie zurücknehmen und lagern, bis wir es abholen, eine Lagerpauschale“, sagt Lübke. Infrage komme eigentlich jedes Cor-Möbel, bis auf jene aus Raucherhaushalten. „Da haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich der Geruch nicht aus den Polstern entfernen lässt“, erklärt der Fachmann.
Alle Arbeitsschritte an einem Standort
In Rheda-Wiedenbrück angekommen, werden die Möbelstücke begutachtet und bewertet. Wie ist der Zustand? Was muss ausgebessert oder lackiert werden? Reicht ein neuer Bezug? Oder muss es neu gepolstert werden? Da für die Herstellung neuer Möbel alle Arbeitsschritte an einem Standort vereint sind, sind auch für das „CorEver“-Projekt alle Kompetenzen vor Ort.
Das Ergebnis sind Luxus-Möbel, die durch ihren Second-Hand-Charakter für eine völlig neue Zielgruppe attraktiv werden. „Cor-Möbel sprechen durch ihren doch hohen Preis eine exklusive Kundschaft an“, sagt Lübke. „Aber als Second-Hand-Möbel spielen sie in einer anderen Preisklasse und wir konkurrieren auf einmal mit Möbelriesen wie Ikea.“
Doch auch bei Ikea ist das Thema Second-Hand angekommen. Schon 2019 führte der schwedische Möbelriese das Projekt „Zweite Chance“ in allen 54 Einrichtungshäusern in Deutschland ein. „Ziel war es, Kreislaufwirtschaft für möglichst viele Menschen erlebbar zu machen: Produkte länger im Umlauf halten, Ressourcen schonen, nachhaltiges Leben erschwinglich machen“, teilt eine Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage mit.
Ikea-Gutscheine im Austausch
Kunden, die das Angebot nutzen wollen, prüfen online, ob ihr gebrauchtes Ikea-Produkt geeignet ist, und erhalten ein unverbindliches Angebot. Dann bringen sie das Regal, den Tisch oder das Sofa zurück ins Einrichtungshaus. Experten prüfen dort den Zustand und bei Annahme erhält der Kunde einen Ikea-Gutschein mit drei Jahren Gültigkeit. Mehrere Tausend Möbel bekommen so eine zweite Chance, teilt das Unternehmen mit. Der Wiederverkauf laufe in Zweite-Chance-Märkten und auch online.
In den Augen von Lübke, der auch Präsident des Deutschen Verbands der Möbelindustrie ist, steckt der Second-Hand-Handel in der Möbelbranche dennoch in den Kinderschuhen. Doch gerade weil die Tendenz zu immer schneller geht und die Menschen sich immer häufiger neu einrichten, müsse die Branche ihrer Verantwortung gerecht werden und eine Kreislaufwirtschaft fördern, bevor ein Möbel als letzte Maßnahme verbrannt werde. Dabei seien auch die Endverbraucher gefragt.
Zu kaufen gibt es die CorEver-Möbel bisher nur zu Sonderverkaufsterminen, zu denen sonst Ausstellungsstücke und Rückläufer verkauft werden. „Aber viel größeres Potenzial sehe ich für den Markt im Internet“, sagt Lübke. Denn dort sei auch die Zielgruppe unterwegs, die er mit dem Second-Hand-Angebot ansprechen und so zu „Sperrmüll-Rettern“ machen möchte.