Karlsruhe/Detmold. Was Kunst ist, liegt oft im Auge des Betrachters. Manchmal braucht es aber doch eine objektive Beurteilung. So etwa, wenn es darum geht, ob Birkenstock-Sandalen Werke der angewandten Kunst und damit urheberrechtlich vor Nachahmungen geschützt sind. Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt und geurteilt, dass Birkenstock-Sandalen keine urheberrechtlich geschützten Werke der angewandten Kunst sind.
Für einen Urheberrechtsschutz reiche ein rein handwerkliches Schaffen mit formalen Gestaltungselementen nicht aus, betonte das Gericht. Vielmehr müsse ein Gestaltungsspielraum in einem bestimmten Maß künstlerisch ausgeschöpft werden. Das sei bei den Birkenstock-Sandalen nicht festgestellt worden.
Birkenstock hatte gegen drei Konkurrenten geklagt, die Sandalenmodelle verkauften, die den eigenen sehr ähneln – darunter die zur Wortmann-Gruppe aus dem lippischen Detmold gehörende shoe.com GmbH & Co. KG. Der Schuhhersteller Birkenstock mit Hauptsitz in Linz am Rhein in Rheinland-Pfalz sah darin einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Denn die Birkenstock-Sandalen seien Werke der angewandten Kunst, die nicht einfach nachgeahmt werden dürften.
Vorinstanzen waren sich in der Frage uneinig
Die Vorinstanzen waren sich in der Frage uneinig. Während das Landgericht Köln die Schuhmodelle zunächst als Werke der angewandten Kunst anerkannte und den Klagen entsprechend stattgab, wurden sie auf Berufung der beklagten Unternehmen vom Oberlandesgericht (OLG) Köln später abgewiesen. Das Gericht konnte keine künstlerische Leistung feststellen.
Jens Beining, geschäftsführender Gesellschafter und CEO der Wortmann Schuh-Holding KG, ist sich sicher: „Mit dem heutigen Urteil gewinnt nicht nur die Wortmann-Gruppe, sondern die gesamte Schuh- und Modebranche. Die Entscheidung des BGH stärkt die Branche und bestätigt einmal mehr, dass es sich lohnt, entschlossen für die eigene Position einzutreten.“ In den Augen Beinings hätte eine andere Entscheidung des Gerichts zu nicht absehbaren Folgen für die Modeindustrie geführt, weil es die künstlerische Tätigkeit erheblich reduziert hätte.
Keine Nutzung durch Dritte ohne Genehmigung
Das Urheberrecht verleiht dem Schöpfer eines Werkes zunächst die exklusiven Nutzungsrechte an diesem Objekt. Dritte dürfen es also nicht ohne Erlaubnis wiedergeben oder vervielfältigen. Der Schutz bleibt bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers bestehen. Anders als zum Beispiel das Patent- oder Designrecht dient das Urheberrecht dem Schutz kreativer Leistungen. Urheberrechtlich geschützt sind somit etwa Schriftwerke, Filme, Computer-Programme - sowie Werke der bildenden oder angewandten Kunst.
Dass auch herausragendes Design von Gebrauchsgegenständen urheberrechtlich geschützt sein kann, sei im Urheberrecht seit Jahrzehnten anerkannt, erklärte Birkenstock-Anwalt Konstantin Wegner vor der Verhandlung im Januar. Das hätten Gerichte bereits etwa zu Leuchten im Stil der Bauhaus-Kunstschule, Möbeln des Architekten und Designers Le Corbusier und einem Porsche-Modell entschieden.
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„Brutalistisches“ Sandalen-Design
In dieser Tradition sieht Birkenstock auch die eigenen Sandalen-Designs. Konkret ging es am BGH um vier Modelle: „Arizona“ (die Sandale mit zwei breiten Riemen, die 2023 im Hollywood-Film „Barbie“ besondere Erwähnung fand), „Madrid“ (mit einem Riemen), „Gizeh“ (mit Zehentrenner) sowie den Clog „Boston“. In den Augen des Unternehmens seien es die Klassiker, die Verbraucherinnen und Verbraucher typischerweise mit der Marke in Verbindung bringen.
Laut der Kläger sind es sowohl einzelne Elemente wie Schnallen, Materialien oder die Riemenführung, als auch die Kombination dieser Elemente, die die Sandalenmodelle zu Werken der angewandten Kunst machten und den Urheberrechtsschutz begründeten. Das Design von Erfinder Karl Birkenstock im Stil Brutalismus sei einmalig gewesen, als die Klassiker zuerst erschienen.
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OLG sah keine künstlerischen Entscheidungen
Bei der juristischen Bewertung stand die Frage im Zentrum, ob Birkenstock über den funktionalen Zweck der Gesundheitssandale hinaus einen künstlerischen Gestaltungsspielraum ausgenutzt hat. Das OLG Köln hatte das verneint. Demnach ließen sich keine künstlerischen Entscheidungen aus dem objektiven Erscheinungsbild der Sandale herleiten. Eine bloße Auswahl zwischen verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten reiche nicht aus.
Der erste Zivilsenat des BGH erklärte in der mündlichen Verhandlung im Januar, nach erster Einschätzung habe das OLG bei seiner Bewertung die richtigen Maßstäbe angesetzt. Es habe für die Definition eines Werkes der angewandten Kunst zutreffend eine bestimmte Gestaltungshöhe gefordert. Die Darlegungslast für einen Urheberrechtsschutz liege beim klagenden Hersteller.