FDP denkt über Rentensystem nach: Droht bald die Rente mit 72?

Bielefeld. Mit ihrem Zwölf-Punkte-Plan für eine Wirtschaftswende hat die FDP für Aufregung gesorgt. Weithin kritisiert wurde etwa die Forderung, die Rente mit 63 abzuschaffen. Aufmerksamkeit erntete aber auch Christian Dürr, der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, der im Zusammenhang mit einer möglichen &bdquo;Rente mit 72“ zitiert wurde: &bdquo;Warum sollte ich jemandem verbieten, mit 70 oder 72 zu arbeiten? Das wäre ja geradezu verrückt“, hatte Dürr der &bdquo;Bild-Zeitung“ gesagt. Folgt auf die &bdquo;Rente mit 67“, die im Jahr 2031 für alle gelten wird, als Nächstes die &bdquo;Rente mit 72“? Auf Nachfrage antwortete Christian Dürr mit allgemeinen Feststellungen: &bdquo;Auf Dauer ist das umlagefinanzierte System nicht mehr tragfähig und der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer-Generation wird uns vor zusätzliche Herausforderungen stellen“, verwies der Liberale auf die bekannte Problematik durch den demografischen Wandel mit immer mehr älteren Menschen in Deutschland und einer schrumpfenden Zahl jüngerer Menschen im erwerbsfähigen Alter. &bdquo;Deshalb sollten wir neben dem Ausbau der Kapitaldeckung auch über eine echte Flexibilisierung des Renteneintrittsalters sprechen.“ Nebenbei könnte so dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden, so Dürr. Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen für vorgezogene Altersrenten habe die Ampel-Koalition bereits einen wichtigen Schritt für einen flexibleren Renteneintritt gemacht. &bdquo;Viele Menschen sind zum Weiterarbeiten gezwungen“ Oguz Önal von der IG Metall in Bielefeld findet freiwilliges, längeres Arbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus &bdquo;okay“ - wenn es wirklich freiwillig ist. &bdquo;Ich kenne auch Menschen, die im Rentenalter arbeiten, aber in Wahrheit tun das viele, weil sie finanziell dazu gezwungen sind. Nicht aus Spaß“, sagt Önal. Weil viele Erwerbstätige im Laufe ihres Lebens zumindest zeitweilig prekär beschäftigt gewesen seien, etwa in Teilzeit oder nur in Minijobs neben privaten Aufgaben in Kindererziehung oder Pflege, stünden auch Menschen mit langen Erwerbsbiografien am Ende oft mit dünnen Renten da. Ein Knackpunkt seien die Abschläge beim Ausstieg aus dem Arbeitsleben, wenn das Renteneintrittsalter (das bis zum Jahr 2031 auf volle 67 Jahre angehoben sein wird) noch nicht erreicht ist. Wer vorzeitig die Altersrente beanspruchen will, vergibt nicht nur die Chance, weitere Rentenpunkte zu erwerben, obendrein werden die schon erworbenen Rentenansprüche noch gekürzt - pro Monat des vorzeitigen Rentenbeginns werden 0,3 Prozent abgezogen. Wer vier Jahre vorher aussteigt, muss 14,4 Prozent Abzug hinnehmen. Die Rente mit 63, die gerade von der FDP infrage gestellt wird, sei ohnehin nur noch eine Mogelpackung kritisiert Önal: Mit der Anhebung des regulären Rentenalters von 65 auf 67 Jahre werde auch die &bdquo;abschlagsfreie Rente mit 63“ verschoben - derzeit gebe es die abschlagsfreie Rente erst mit 64, in wenigen Jahren dann mit 65 Jahren. &bdquo;Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, sollte aber früher als mit 65 ohne Abschläge in Rente gehen dürfen“, fordern Önal und die Gewerkschaften. Weitere Anhebung des regulären Rentenalters ist für viele utopisch Bei manchen Berufen sei eine weitere Anhebung des regulären Renteneintrittsalters - etwa auf 70 oder 72 Jahre - &bdquo;utopisch“, sagen Gesundheitsexperten. In vielen Berufen machen sich früher oder später körperliche Beeinträchtigungen bemerkbar, das gilt für Maurer oder Dachdecker ebenso wie für Altenpfleger oder Fernfahrer. Büroarbeiter bekommen durch langes Sitzen vielleicht Probleme mit den Bandscheiben oder dem Herz-Kreislauf-System und es gibt natürlich auch psychischen Verschleiß. Pauschale Anhebungen des für die Abschläge relevanten Regelrentenalters würden daher als ungerecht empfunden. Von der FDP heißt es unterdessen, dass es bei dem Vorstoß von Fraktionschef Dürr gar nicht darum gehe, das Regelalter für den Renteneintritt zu erhöhen, sondern um freiwilliges längeres Arbeiten, was letztlich auch zur Entlastung der Rentenkassen beitragen könne. Pascal Kober, der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, verweist auf Nachfrage auf das schwedische Rentenmodell: In Schweden habe sich das Renteneintrittsalter durch ein flexibles Modell im Schnitt um zwei Jahre erhöht, so Kober. Es gebe einen Korridor für den Beginn der Altersrente (hier: zwischen 62 und 68 Jahren), mit einem &bdquo;gedachten Eintrittsalter“, von dem aus Abschläge oder Zuschläge auf die spätere Rentenhöhe berechnet werden. Um Arbeitnehmern die längere Beschäftigung zu ermöglichen, müsse allerdings auch mehr Geld für Prävention und Reha-Maßnahmen bereitgestellt werden, fordert Kober: &bdquo;Die Budgets hierfür sind zu stark gedeckelt.“ &bdquo;Es gibt keine starre Altersgrenze“ Nach Meinung von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern rennen die Liberalen mit ihren Flexibilitätsideen allerdings offene Türen ein: &bdquo;Es gibt keine starre Altersgrenze“, hatte SPD-Chefin Saskia Esken auf den Vorstoß von Dürr entgegnet. Tatsächlich dürfen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ohnehin weiterarbeiten - mit oder ohne Rentenbezug. Wer freiwillig länger in die Rentenversicherung einzahlt, erhält für jeden Monat Verlängerung zudem 0,5 Prozent Aufschlag auf die erworbenen Rentenpunkte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte Dürr ebenfalls kritisiert, DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel warf ihm &bdquo;Geisterdebatten“ vor. Ja, räumt auch Pascal Kober ein, tatsächlich sei bereits eine gewisse Flexibilisierung erreicht. Es müssten aber noch technische und psychologische Hürden abgebaut werden. Bloße Vertragsänderungen oder neue befristete Verträge seien tarifrechtlich zum Beispiel schwierig. Kober: &bdquo;Es geht zum Teil um bürokratische Feinheiten.“

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