Alt-Bundespräsident Wulff in Bielefeld - Plädoyer für Patriotismus

Bielefeld. Christian Wulff hat allen Nörglern und Pessimisten, allen Gehässigen und Intoleranten die Leviten gelesen. Wer vielleicht erwartet hatte, dass der CDU-Politiker, der mit 43 Jahren niedersächsischer Ministerpräsident wurde und mit 50 Bundespräsident, bei seinem Besuch in Bielefeld die aktuelle politische Lage beklagt und dafür allein die regierende Ampel-Koalition verantwortlich macht, wurde enttäuscht. Viele Menschen bräuchten tatsächlich derzeit Trost, sagte der heute 64-Jährige. 85 Prozent der Führungskräfte glaubten, Deutschland habe seinen Zenit überschritten, und nur noch 41 Prozent seien überzeugt, dass Deutschland ein guter Standort sei. Doch Wulff setzte dem fast eine Lobeshymne entgegen und ein Plädoyer für einen Patriotismus aus Liebe zum eigenen Land, der aber kein Nationalismus sei und nichts mit Rassismus, Abschottung und Ausgrenzung zu tun habe. Andreas Engelhardt, der Chef des Fenster- und Türenspezialisten Schüco, begrüßte seinen Gast schnörkellos als Bundespräsidenten, der Wulff von 2010 bis 2012 war, und als &bdquo;lieber Christian“. Wulff entsprach dem Bild, und er redete ebenso staatstragend wie nahbar und gelassen. Deutsche Marken werden selbst in China hoch geschätzt Die Vorzüge Deutschlands streut er immer wieder ein: Während freie Meinungsäußerungen und Oppositionspolitik in autokratischen Staaten ins Gefängnis führen könnten und man in Russland im schlimmsten Fall dafür vergiftet werde, würden politische Gegner in Deutschland gut geschützt. Deutschland sei noch immer eine liberale Demokratie, eine der größten Volkswirtschaften der Erde und ein Land mit einem der besten Gesundheitssysteme. Deutsche Akribie und Bodenständigkeit werde weltweit geschätzt, Marken von Bosch und Siemens bis Mercedes und Porsche seien selbst in China große Vorbilder. Selbst, wenn manche meinten, das System sei abgewirtschaftet – die Lage sei besser als die Stimmung. In seiner Zeit als Bundespräsident waren Wulff so schwere Vorwürfe gemacht worden, dass er sich zum Rücktritt genötigt sah – Vorwürfe, von denen er im Nachhinein freigesprochen wurde. Auch sein Privatleben dürfte damals schwer gelitten haben. Von Bitterkeit zeigt er aber keine Spur. Deutschland muss attraktiv sein für kluge Köpfe aus aller Welt Der Chef der Deutschlandstiftung Integration, der sich für die Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte stark macht und für den Dialog von Anhängern verschiedener Religionen, geißelt den auch in Deutschland aufkommenden Hass, und als eine Quelle macht er Populisten und namentlich die rechte AfD aus. Wulff warnt unverblümt vor dem weiteren Erstarken dieser Partei, die dabei sei, alte, überwunden geglaubte Denkfehler zu wiederholen. Nationalismus laufe den nationalen Interessen zuwider, warnt Wulff, Deutschland müsse weltoffen sein und attraktiv für kluge Köpfe aus aller Welt. Ohne Zuwanderer &bdquo;müssten viele Betriebe den Laden zumachen“. Fast beiläufig räumt Wulff freilich ein, dass manches nicht gut laufe. Etwa, wenn er süffisant die Bürokratie aufspießt und zugibt, dass er für seine Grundsteuererklärung auch die Hotline habe anrufen müssen. Um die bisherigen Errungenschaften zu verteidigen, aber auch, um nötige Verbesserungen durchzusetzen, seien vor allem junge Menschen gefragt, sich politisch zu engagieren. Die demokratischen Parteien seien schläfrig geworden und hätten in den vergangenen Jahren allzu viele Mitglieder verloren, bedauert Wulff: &bdquo;Es ist leider modern geworden, gemütlich von der Tribüne aus zu lästern und alles besser zu wissen.“

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