Warum das Erben von Immobilien jetzt teuer werden kann

Bielefeld/Berlin. Das Kabinett hat im Oktober das Jahressteuergesetz 2022 auf den Weg gebracht, über das derzeit noch final beraten wird. Der Bielefelder Notar Linus Meyer (Streitbörger) weist darauf hin, dass das Gesetz am Tag nach der Verkündung in Kraft treten wird – und er erwartet, dass dies noch im Dezember geschieht. Bei vielen Hausbesitzern sorgt der nahende Termin für Unruhe. Hintergrund des Gesetzes ist, dass es einige Regelungen bisher noch nicht ins Steuerrecht geschafft haben. So etwa eine neue Verordnung über die Ermittlungswerte von Immobilien, die 2021 beschlossen wurde. Die geht auf eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVG) von 2006 zurück, der zufolge Immobilien möglichst nah am Marktwert erfasst werden sollen. Konkret geht es darum, dass der Wert von Häusern und Wohnungen bei einer Erbschaft oder Schenkung neu ermittelt werden muss. Durch Veränderungen an mehreren kleinen Stellschrauben könnte sich der Wert von Immobilien jetzt steuerlich um 25 Prozent erhöhen – oder mehr, sagt Meyer. Was bedeutet das? Wird der Wert einer Immobilie jetzt höher angesetzt – und dann mit dem Erbschaftssteuersatz verrechnet – kann die anfallende Schenkungs- oder Erbschaftssteuer entsprechend höher ausfallen, erklärt der Kölner Rechtsanwalt Heinz-Willi Kamps. &bdquo;Das Erbschaftssteuergesetz hat sich nicht geändert“, betont er dabei. Vielmehr gehe es darum, dass sich im Bewertungsgesetz einzelne Parameter ändern würden. Im Ergebnis dürften die geltenden Freibeträge – 500.000 Euro für Ehepartner, 400.000 Euro für Kinder, 200.000 Euro für Enkel – immer häufiger überschritten werden. Wo gibt es Änderungen? Beispielsweise beim sogenannten Liegenschaftszins, der im Ertragswertverfahren eine Rolle spielt. Je höher dieser sei, umso geringer falle der Wert einer vermieteten Immobilie aus, sagt Kamps. Wurde der Liegenschaftszins von einem Gutachterausschuss nicht ermittelt, wird er jetzt mit dem Faktor 3,5 Prozent angesetzt, statt wie bisher mit 5 Prozent. Außerdem kann im sogenannten Sachwertverfahren der Regionalfaktor hinzukommen: Der berücksichtigt die Baukosten in einer Region. &bdquo;Das wäre in München dann höher als in Emden“, sagt Kamps. Das Sachwertverfahren wird dann angewandt, wenn eine Immobilie eher untypisch ist oder es keine Vergleichsobjekte gibt. Weitere Aspekte Laut Jörg Leine, Steuerexperte bei &bdquo;Finanztip“, ist der Sachwertfaktor entscheidend. &bdquo;Bisher liegt er je nach Region und Immobilie bei 0,5 bis 1,5, künftig soll er 0,8 bis 1,8 betragen“, sagt er. Dieser Faktor solle die Marktlage abbilden und werde am Ende mit der Summe aus dem errechneten Restwert der Immobilie und dem Bodenwert multipliziert. Obendrein wird auch die Nutzungsdauer etwa von Mehrfamilienhäusern von 70 auf 80 Jahre angehoben, so die Experten. &bdquo;Dadurch fällt die Minderung des Alterswerts geringer aus und der Restwert steigt.“ Was sollten Hausbesitzer jetzt tun? Nicht überstürzt handeln – da sind sich die Experten einig. &bdquo;Man sollte nicht handeln, nur um Steuern zu sparen“, empfiehlt der Bielefelder Notar Meyer. Erst einmal sei abzuwägen, ob etwas wirtschaftlich und familiär sinnvoll sei. Wer aber ohnehin eine Übertragung plane – also etwa eine Schenkung – der könne diese ruhig vorziehen, so Meyer. Es müsse schnell gehen, aber es gebe durchaus noch Termine bei Steuerberatern und Notaren. Wer es beispielsweise noch für möglich hält, sein Haus irgendwann verkaufen zu wollen, etwa für die Finanzierung des Ruhestandes, sollte es nicht vorschnell überschreiben. Aber: &bdquo;Für den, der sowieso bald übertragen wollte, kann es sich jetzt noch lohnen“, sagt Rechtsanwalt Kamps. Was, wenn ich keinen Termin mehr bekomme? Sollten die Termine jetzt so knapp sein, dass es mit der Überschreibung ins Grundbuch nicht mehr klappt, ist das nicht schlimm. Laut Kamps geht es darum, dass der notarielle Übertragungsvertrag – die sogenannte Auflassung – noch in diesem Jahr unterzeichnet wird und der Notar die Umschreibung ins Grundbuch beantragt. Außerdem gibt es andere Möglichkeiten, eine drohende Schenkungssteuerbelastung zu reduzieren: Zum Beispiel, indem ein Nießbrauch oder Nutzungsrecht vereinbart wird. Je jünger der Schenkende ist, desto größer sind die Nießbrauchswerte, die dann von der Schenkung abgezogen werden können, sagt Linus Meyer. Schenkungen und Erbschaften können zudem zu verschiedenen Zeitpunkten im Abstand von zehn Jahren vorgenommen werden. Immobilien können auch anteilig verschenkt oder vererbt werden, oder zunächst werden Ehepartner bedacht, die dann anschließend weitervererben – die Freibeträge gelten jeweils für jeden Erblasser oder Schenkenden. Die Feinheiten sollte man sich von einem Steuerberater erklären lassen. Wie reagieren Immobilienbesitzer? Die Verunsicherung ist groß. Viele Immobilienbesitzer suchen jetzt noch schnell nach einem Notartermin. &bdquo;Es gibt viele Menschen, die das derzeit in der Presse lesen und dann zu mir kommen, um sich zu informieren“, sagt Kamps. Auch der Eigentümerverband Haus & Grund merkt das: Die Beratungsanfragen zum Thema Vererben seien stark gestiegen, sagt Präsident Kai Warnecke. Forderungen und Warnungen Die geplanten Änderungen sorgen an vielen Stellen für Kritik. Der Eigentümerverband Haus & Grund räumt zwar ein, dass es nach dem BVG-Urteil Handlungsbedarf gegeben habe – &bdquo;aber nicht so, wie geschehen“, sagt Präsident Warnecke, der gerne eine Änderung bei der Erbschaftssteuer sehen würde. &bdquo;Aus unserer Sicht wäre es zum Beispiel sinnvoll, die Erbschaftsteuerlast für private Vermieter, die langfristig zu bezahlbaren Konditionen vermieten, spürbar zu reduzieren“, so Warnecke. Laut dem Verband sind es oft Immobilien mit energetischem Sanierungsbedarf, die vererbt werden. Viele Erben würden sich jetzt dafür entscheiden, das Haus an institutionelle Investoren zu verkaufen, weil sie die Erbschaftssteuer nicht zeitnah stemmen könnten. &bdquo;Die Konsequenz ist der Ausverkauf des deutschen Immobilienbestandes“, warnt der Haus & Grund-Präsident. Auch sei eine Beschränkung der Besteuerung auf tatsächliche Erträge denkbar. Und die Politik? Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich für höhere Freibeträge bei der Erbschaftssteuer ausgesprochen. Ihm erscheine es empfehlenswert, diese – wie andere Teile des Steuerrechts – regelmäßig an die allgemeine Preis- und Kostenentwicklung anzupassen, so der FDP-Chef. Die Freibeträge seien zuletzt 2009 festgelegt worden, seitdem gebe es deutliche Preissteigerungen. Allerdings sei die Erbschaftssteuer eine Ländersteuer.

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