Wirtschaftsweiser Truger: So bewältigen wir die Energiekrise

Herr Truger, Sie beobachten die wirtschaftliche Lage und Entwicklung und beraten als einer von fünf Wirtschaftsweisen die Bundesregierung. Sie hatten erst gestern einen Termin im Kanzleramt. Worauf müssen wir uns in den kommenden Monaten einstellen? ACHIM TRUGER: Die Konjunktur wird kräftig abstürzen. Das liegt im Wesentlichen am privaten Konsum, der aufgrund der hohen Energiepreise einbrechen wird. Alle Experten erwarten im kommenden Jahr eine Rezession, also ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Reichen die bislang beschlossenen Entlastungen aus, um Bürger und Unternehmen durch die Krise zu bringen? Nein, es braucht ein viertes Entlastungspaket. Die Politik muss auf jeden Fall noch mehr tun, um Bürger und Unternehmen zu unterstützen. Wo gibt es Handlungsbedarf? Vor allem beim Thema Gas, da braucht es kräftige zusätzliche Entlastungen. Es ist gut, dass die Bundesregierung nun eine Gaspreisbremse beschlossen hat. Außerdem ist ein Problem der bisherigen Entlastungen, dass die Ampel-Koalition so divers ist und somit so viele diverse Einzelmaßnahmen getroffen hat. Drei bis vier zentrale Entlastungen wären besser gewesen: Zum einen eine Energiepreispauschale für alle, die zu versteuern ist, Härtefallregeln für Sozialfälle sowie eine Strompreis- und eine Gaspreisbremse, die ja nun kommen soll. Damit könnte man wesentlich gezielter und sichtbarer entlasten als mit den kleinteiligen Ansätzen wie 9-Euro-Ticket, Kinderbonus und Tankrabatt. Ihre Kritik zielt also nicht primär auf die bereitgestellten Summen ab? Doch da fehlt noch einiges. Aber die Politik hat mit 95 Milliarden Euro schon sehr viel Geld bereitgestellt, was aber bei den zig Einzelmaßnahmen schwer zu kommunizieren ist, so dass vielen Menschen gar nicht klar ist, wo sie entlastet werden. Wie lange könnte die Krise anhalten? Das ist natürlich schwer vorauszusagen, da es von mehreren Faktoren abhängt. Es kann sein, dass wir im Winter 2023/24 vor einer ähnlich schlimmen oder noch schwierigeren Lage stehen, falls die Gasspeicher bis dahin nicht mehr so gut gefüllt sein sollten. Der Energiepreisanstieg wird weiter das größte Problem sein. Hoffnung macht aber, dass die Inflation im Laufe des kommenden Jahres zurückgehen dürfte. Zudem sind die Auftragsbücher in der Industrie gut gefüllt; die Unternehmen könnten acht Monate lang produzieren, nur um ihre bisherigen Aufträge abzuarbeiten. Es gibt also durchaus die Perspektive, dass die Konjunktur im Laufe des kommenden Jahres wieder anspringen wird. Wie beurteilen Sie den &bdquo;Abwehrschirm“ von bis zu 200 Milliarden Euro, für den neuen Kredite aufgenommen und dem laufenden Jahr zugerechnet werden? Es ist erst einmal ein Befreiungsschlag, dass die Finanzierungsfrage um die Schuldenbremse jetzt nicht mehr die notwendigen Entlastungsmaßnahmen blockiert. Das über den Fonds zu machen und nicht direkt aus dem Haushalt finde ich nachvollziehbar. Aber natürlich macht es ökonomisch keinen Unterschied, ob man 2022 oder 2023 die Kredite aufnimmt. Deshalb bin ich zudem klar dafür, die Schuldenbremse auch für das Jahr 2023 auszusetzen. Dafür gibt es extrem gute ökonomische Gründe: Wir haben das wirtschaftliche Vorkrisenniveau von 2019 nur kurz touchiert und befinden uns jetzt erneut im Sinkflug; wir stecken mitten in einer Energiekrise und es droht eine Rezession. Worauf wollen wir warten? Lesen Sie auch: Gasumlage fällt weg, Preisbremse angekündigt Treiben neue Schulden denn nicht die Inflation weiter an? Dieses Argument gilt nur bedingt. Der Staat muss in Krisen wie diesen auf jeden Fall einspringen, indem er Produktionsstrukturen erhält und privaten Haushalten hilft. Das kann er mit neuen Krediten machen. Die Zinslast und Schuldenlage in Deutschland ist vergleichsweise komfortabel. Ich kenne keinen Experten, der sagt, dass wir beim Schuldenstand aktuell an Grenzen stoßen. Wir können das, was nötig ist, über neue Schulden finanzieren. Dabei geht es nicht darum, die Konjunktur anzukurbeln. Das wäre tatsächlich problematisch, doch dafür ist jetzt nicht der Zeitpunkt. Ein Aussetzen der Schuldenbremse dient dem Zweck, weitere Unterstützungen zu ermöglichen und zu überbrücken. Was spricht für einen Gaspreisdeckel und eine Strompreisbremse? Beides hat einen dreifachen Effekt: Es entlastet gezielt und setzt hohe Einsparanreize, da man nur das Grundkontingent bei Strom und Gas zu einem vergünstigten Preis bekommt – und alles, was darüber hinausgeht, teurer ist. Dadurch lindert man zudem ein Stück weit die Inflation. Das ist eine gute Kombination. Sind Sie froh, dass die Gasumlage vom Tisch ist? Schwierig. Einerseits hätte man sie nicht gebraucht, wenn man die Unternehmen sofort unterstützt hätte. Ein positiver Effekt der Umlage wäre andererseits gewesen, dass sie die Preise und somit die Einsparanreize erhöht hätte. Wichtig ist, dass diese Einsparanreize erhalten bleiben. Auch ein Tempolimit könnte in meinen Augen helfen, damit die Menschen merken: Die Lage ist ernst. Macht sich der Staat aktuell mit Mehrwertsteuer, Energiesteuer und kalter Progression die Taschen voll? Nein, das kann man so wirklich nicht sagen. Die Energiesteuer dürfte sogar zurückgehen. Die Mehrwertsteuer ist zwar sehr gut gelaufen, aber auch hier dürften die Mehreinnahmen zurückgehen. Die kalte Progression ist da, aber sie soll ausgeglichen werden. Ich wäre vorsichtig mit solchen Vorwürfen. Der Staat tut schon eine Menge. Die Schuldenbremse soll 2023 gelten. Könnte der Staat im Zweifel anderes Geld locker machen, zum Beispiel, indem er sogenannte Zufalls- oder Übergewinne abschöpft? Ich habe dafür grundsätzlich eine große Sympathie und bin dafür, Modelle weiterzuentwickeln, um sie später einsetzen zu können. Kurzfristig ist es aber schwierig, weil es rechtlich sehr kompliziert ist. Ich fürchte auch, dass die Summe, die man dadurch abschöpft, nicht besonders groß sein würde. Eine Alternative wäre in meinen Augen eine Art Energiekrisen-Solidaritätszuschlag, der sich auf den Kreis beschränkt, der aktuell den Rest-Soli bezahlt. Dadurch könnte man Geld von den Menschen abschöpfen, die wirklich sehr viel haben. Diese einfache Maßnahme könnte der Bund sehr schnell beschließen. Wie stehen Sie dazu, Kohle- und Kernkraft zurück ans Netz zu bringen? Einen Streckbetrieb bei der Kernkraft bis ins Frühjahr kann ich mir gut vorstellen, aber keine längerfristige Debatte. Auch bei der Kohle sollten wir nur für einen gewissen Zeitraum Engpässe überbrücken. Langfristig müssen wir aber die Erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Was bedeutet die Krise für Deutschlands Rolle in der Welt? Müssen wir uns auf langfristige Wohlstandsverluste einstellen? Wir haben ja als Exportland bislang sehr von der Weltwirtschaft profitiert und müssen uns nun alle eingestehen, dass wir bei der Festlegung der Handelsbeziehungen auch ein Stück weit blauäugig waren. Wir müssen uns jetzt umorientieren und in der EU gemeinsam zuverlässige Partner suchen, die unser Demokratieverständnis teilen. Es kann sein, dass die Preise insgesamt etwas anziehen werden, aber ich glaube, dass das zu stemmen sein wird, solange es zu keiner akuten Zuspitzung kommt.

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