"Sonst keine Chance": Wie OWL-Wirte durch Lieferando unter Druck geraten

Bielefeld. "Ich hatte keine Wahl. Entweder ich melde mich bei Lieferando an oder ich mach gleich zu", sagt Irfan Harman. Wie viele Gastronomen leidet der Restaurant-Besitzer der "Alten Börse" in Bielefeld unter den Folgen der Corona-Krise. Vor etwa fünf Monaten entschloss er sich, mit dem Lieferservice zusammenzuarbeiten, obwohl er selbst schon seit der Eröffnung Außer-Haus-Lieferungen anbietet. Doch er hatte keine Chance mit seinem Lieferservice - der Konkurrent "Lieferando" sei zu stark gewesen: "Die Kunden sind im Internet nicht auf uns gestoßen. Lieferando steht bei Google ganz oben. Da macht sich niemand mehr die Mühe, weiter zu suchen." Seitdem die Menschen kaum noch ausgehen, habe sich seine Kundschaft auf nur ein paar wenige reduziert. Durch die Internetplattform von Lieferando sei er zwar wieder präsenter bei den Kunden geworden, habe aber seitdem auch mehr Arbeit für weniger Lohn: "Knapp 3.000 Euro im Monat geht für den Lieferservice drauf." Diese erschließen sich aus der Bezahlung seines eigenen Lieferservices und den 13 Prozent eines jeden Kundenbons, die an Lieferando abgetreten werden müssen. Würde er den Lieferservice von Lieferando dazu buchen, müsste er 30 Prozent einer jeden Bestellung abgeben. Hinzu kommen die zusätzlichen Kosten durch die Online-Überweisungen, die Lieferando den Gastronomen abrechnet - nicht dem Kunden. "Wenn ein Kunde bei mir mit Paypal zahlt, zahle ich 26 Cent, bei Lieferando muss ich pro Online-Zahlung 56 Cent zahlen", sagt Harman. Dehoga rät von der Zusammenarbeit mit Lieferando ab Sein Gastronomen-Kollege aus Paderborn, der namentlich nicht genannt werden möchte, sieht das ähnlich: "Als kleines Lokal hat man sonst keine Chance. Entweder du zahlst oder du gehst unter." Der Pizzeria-Betreiber arbeitet schon seit etwa sechs Jahren mit dem Lieferdienst. Ohne würde es nicht mehr gehen. Dafür fehle die Stammkundschaft. Deshalb könne er es sich mit dem Lieferdienst-Riesen auch nicht verscherzen. Aus diesen Gründen rät der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Restaurants von einer Zusammenarbeit mit Lieferdiensten wie Lieferando ab. "30 Prozent - da kann der Gastronom nicht existieren. Das geht gar nicht", sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges dem Tagesspiegel und bezieht sich damit auf die Provision, die Lieferdienste von den Restaurants erheben. "Wer ein Geschäft in guter Lage und mit Stammkunden hat, sollte immer versuchen, den Abholservice selbst anzubieten", so Hartges. Mit der Lieferflotte mache Lieferando keinen Umsatz "Genau das empfehlen wir vielen Gastronomen", sagt der Lieferando-Sprecher Oliver Klug. Die Preisstruktur sei einfach und transparent. Zwei Modelle stünden zur Auswahl: 13 Prozent pro Bestellung bezahlt der Gastronom, der sich durch die Online-Plattform Bestellungen vermitteln lässt und selbst ausliefert. 30 Prozent fallen an, wenn sie zusätzlich die Lieferflotte buchen. Es gebe weder eine Grundgebühr noch ein Investmentrisiko. Der Gastronom könne jeden Monat kündigen oder sein Restaurant pausieren, wenn er keine Bestellungen mehr annehmen möchte. Auch dabei würden keine Kosten anfallen, so Klug. 94 Prozent aller Bestellungen werden zu 13 Prozent Provision vermittelt, nur sechs Prozent zu 30 Prozent. "Das 30-Prozent-Modell bezuschusst Lieferando sogar zugunsten der Restaurants. Wir machen damit Verlust", sagt der Sprecher. "Auch unsere Lieferlogistik mit etwa 5.000 Fahrern deutschlandweit kostet Geld. Etwa für die Fahrräder, die Arbeitskleidung und Gehälter der Fahrer." Die Aussage, der Gastronom könne bei einer 30-Prozent-Abgabe nicht existieren, vernachlässige einen wichtigen Faktor: Die Logistik verursache auch dann Kosten, wenn Restaurants diese selbst betrieben. Lieferando: Kommen den Gastronomen entgegen "Unser Marktplatz kommt den Gastronomen mit etwa 10 Millionen Bestellungen pro Monat zu Gute", so Klug. Im Durchschnitt vermittle Lieferando einem Restaurant etwa 100.000 Euro Umsatz pro Jahr, einigen sogar siebenstellige Umsätze, sagt der Sprecher. Das überzeuge die meisten Gastronomen dann doch - auch abzüglich 13 oder 30 Prozent. Bereits seit Ende März würden die Menschen mehr bestellen. "Davon profitieren wir, aber auch die Gastronomie", so Klug. Um die Gastronomen in der Krise zu unterstützen, erhebe das Unternehmen seit März keine Provision mehr auf Bestellungen zur Selbstabholung. Im November habe man die 30-Prozent-Provision für Bestandsrestaurants um ein Viertel reduziert. Für Gastronomen, die erst seit dem zweiten Lockdown ins Liefergeschäft einsteigen, vermittle und liefere Lieferando bis auf Weiteres vier Wochen lang ganz provisionsfrei. Das erleichtere ihnen das Liefergeschäft in der aktuellen Lage, sagt der Lieferando-Sprecher.

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