Interview

Führen in der Corona-Zeit: "Angst ist das Gegenteil von Vertrauen"

Thomas Kottmann und Kurt Smit erklären, warum die Corona-Krise zu mehr Miteinander führt, und was Vorgesetzte daraus für eine Kooperationskultur lernen können.

Kooperation statt Ellenbogen: Das ist die Botschaft von Thomas Kottmann (l.) und Kurt Smit. | © Philipp von Bruchhausen

Stefan Schelp
02.04.2020 | 02.04.2020, 17:19

Herr Kottmann, Herr Smit, wie funktioniert Führung in Zeiten von Corona?
Thomas Kottmann: Sie ist sicherlich in diesen Tagen noch anspruchsvoller, herausfordernder geworden, da es gilt, sich möglicherweise sowohl mit den eigenen als auch mit den Zukunftsängsten seiner Mitarbeiter auseinandersetzen zu müssen. Im Grunde genommen sollte Führung unabhängig von der momentanen Krise auf der Basis von Vertrauen stattfinden. Ob sich Menschen in einer Vertrauens- und Kooperationskultur begegnen oder ob sie eher die Ellenbogen ausfahren, hängt vom sozialen Klima ab, in dem sie sich bewegen. In einer durch Angst dominierten Kultur werden Menschen eher im Wettbewerbsmodus agieren. Wenn man das Gegenteil, also Kooperation, erreichen möchte, muss man sich klarmachen, dass das Gegenteil von Angst Vertrauen ist.

Wenn man sieht, wie Menschen zu Hamsterkäufen losziehen, dann zeigt das doch, dass kein Vertrauen da ist. Die Ellenbogen sind ausgefahren – nicht nur im Beruf.
Kurt Smit: Genau das passiert auch, wenn die Angst überhand nimmt und das Vertrauen in das Umfeld fehlt. Wenn die Menschen glauben, dass die Versorgung zusammenbricht, kommt es zu Hamsterkäufen. Das ist reines Wettbewerbsverhalten. Man versucht möglichst viel für sich selbst zu hamstern, wohl wissend, dass man den Mitmenschen dadurch die Ressourcen entzieht. Glücklicherweise begreifen immer mehr Menschen, dass die Versorgung nicht zusammenbrechen wird. Die extrem wichtigen Maßnahmen der Regierung, die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzumildern, nähren das Vertrauen der Menschen in die Gesellschaft. Man hat nicht mehr das Gefühl, alleine dazustehen, sondern dass wir als Gemeinschaft die Krise bewältigen können.

Sie propagieren schon seit Jahren, dass ein Unternehmen erfolgreich ist, wenn es den Wettbewerb im Unternehmen durch Kooperation ersetzt. Und dass ein Geber weiter kommt als ein Nehmer. Neben den Hamsterkäufen ist das ein weiterer Effekt. Es scheint im Moment mehr Geber als Nehmer zu geben.
Kottmann: Diese Krise schweißt uns zusammen. Neben den Maßnahmen der Regierung gibt es noch weitere Katalysatoren für Vertrauen: Das aufopfernde Verhalten der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, in den Supermärkten. Es gibt so viele Helden des Alltags, die sich ehrenamtlich engagieren.

Menschen gehen für die Gemeinschaft an die Leistungsgrenzen.
Kottmann: Um das zu verstehen, sollten wir uns genauer anschauen, was „Vertrauen" beinhaltet. Zunächst gibt es das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dies nennen wir Selbstvertrauen. Es entsteht, wenn wir die Gelegenheit erhalten, Probleme aus eigener Kraft zu lösen. In diesem Zusammenhang sprechen wir von Selbstwirksamkeit. Die Gelegenheit, Dinge aus eigener Kraft zu bewegen, bietet sich besonders in Krisenzeiten. Dann kann die Tat des Einzelnen Leben retten oder andere vor existenziellem Schaden bewahren. Des Weiteren kann man Vertrauen in das Umfeld, also in die Mitmenschen haben und umgekehrt, sich das Vertrauen und den Respekt der Mitmenschen verdienen. Dieses gegenseitige Vertrauen nennen wir Verbundenheit. Gerade in der jetzigen Krise wird es gelebt und ist spürbar. Die dritte Säule des Vertrauens ist die Sinnhaftigkeit: das Vertrauen in die Sache, die wir anpacken.
Smit: Normalerweise sorgt die Kassiererin im Supermarkt lediglich dafür, dass die gekauften Waren auch abgerechnet werden. In Krisenzeiten trägt sie dazu bei, die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. In „normalen" Zeiten sorgt die Krankenschwester für eine optimale Versorgung der Patienten, in Krisenzeiten leistet sie einen erheblichen Beitrag dafür, dass unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. Gerade eine Krise bietet also die Gelegenheit, sich dieser drei Dimensionen Selbstvertrauen, Verbundenheit und Sinnhaftigkeit bewusst zu werden und diese zu stärken – zusammengenommen bieten sie den Dünger für eine Kooperationskultur.

Mitarbeiter gehen an die Leistungsgrenzen, aber wie funktioniert Führung, zumal wenn sie weit verstreut in ihren Home-Offices sitzen?
Smit: Die Sorge, dass Führung unter diesen Umständen schwierig sein könnte, liegt im fehlenden Vertrauen der Führungskräfte in die Mitarbeitenden. In einer Unternehmenskultur, die eher durch internen Wettbewerb, das heißt, durch fehlendes Vertrauen gekennzeichnet ist, ist diese Sorge auch durchaus begründet. Wenn Führungskräfte Verantwortungen und Entscheidungen nicht an ihre Mitarbeiter delegieren, wird diesen hiermit der Boden für Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen entzogen. Die Folge ist häufig Dienst nach Vorschrift, das heißt, nur das Nötigste zu tun, um eine Sanktion zu vermeiden oder eine Belohnung zu erhalten. Unter einer Vertrauens- und Kooperationskultur, wie wir sie definieren, erhalten Mitarbeiter entsprechend ihren Fähigkeiten einen Handlungsspielraum. Wir übertragen Verantwortung, weil wir ihnen vertrauen.
Kottmann: Das Führungsinstrument ist im Wesentlichen das Gewähren dieses Handlungsspielraums. Die Führungskraft versteht sich als Potenzialentfalter und Ermöglicher, der alles aus dem Weg räumt, was die Mitarbeitenden an der Zielerreichung hindert.

Nach Corona geht es zurück zur Ellenbogen-Gesellschaft?
Kottmann: Wenn wir aus dem, was um uns herum passiert, nicht lernen und bereit sind, uns grundsätzliche Gedanken zu machen, wie wir uns in Zukunft begegnen wollen, werden wir uns bald wieder diesem traurigen Status Quo nähern. Kurt Smit und ich haben mit dem Prozess der Transkooption wissenschaftlich hergeleitet, dass jeder fremdbezogene Geber mit seiner Strategie am erfolgreichsten ist, und einen Gewinn für das Unternehmen und die Gemeinschaft darstellt. Henning Scherf, ehemaliger Bremer Bürgermeister, empfand, dass diese Botschaft auch eine gesellschaftspolitische Relevanz hat. Ich verstand es damals als Aufforderung, diese Denkansätze in die Gesellschaft zu tragen. Wann, wenn nicht heute, ist die Zeit reif hierfür? Was ergibt sich hieraus?
Smit: Alle gesellschaftspolitischen Kräfte sollten die Chance erkennen und sich der Verantwortung stellen, auf eine Kultur des Miteinanders einzuwirken, die Geberverhalten fördert und die drei Säulen des Vertrauens Selbstvertrauen, Verbundenheit und Sinnhaftigkeit stärken.

Die Fragen stellte Stefan Schelp

Information

Transkooption

Thomas Kottmann und Kurt Smit haben gemeinsam das Konzept der Transkooption entwickelt. Mit ihrem System sind sie in der Lage, die Kooperationsbereitschaft in einem Unternehmen zu messen und in weiteren Schritten zu verbessern. Die Coaches unterscheiden zwischen dem Nehmer, dem Tauscher, dem fremdbezogenen Geber und dem selbstlosen Geber. Am erfolgreichsten – für sich selbst und für das Unternehmen – ist der fremdbezogene Geber.www.transkooption.com