Kriminalität

OWL-Betriebe verlieren bis zu 80 Millionen Euro im Jahr durch Diebstahl

Eine wichtige Rolle spielen dabei organisierte Diebesbanden. Händler reagieren mit Überwachung und Mitarbeiterschulungen.

Warnschild in einem Bekleidungsgeschäft. Im vergangenen Jahr wurden im Einzelhandel Waren im Wert von rund 3,75 Milliarden Euro entwendet. | © picture alliance/dpa

26.06.2019 | 26.06.2019, 20:18

Köln. Egal ob Rasierklingen, Parfüm oder Designerjeans: „Im Handel wird nach wie vor gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist", klagt Frank Horst, Sicherheitsexperte des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI. Allein 2018 summierten sich dadurch die Verluste im Einzelhandel laut EHI auf rund 3,75 Milliarden Euro - eine Steigerung von rund sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Jörg Beyer vom Handelsverband OWL schätzt den Schaden allein in der Region Ostwestfalen-Lippe auf 70 bis 80 Millionen Euro. Dazu zählten Einbußen durch diebische Kunden, Langfinger unter den eigenen Mitarbeitern sowie Gauner bei Lieferanten oder Servicekräften.

Fast 7,7 Millionen Euro Schaden pro Tag

Der Löwenanteil entfiel dabei auf Diebstähle durch Kunden. „An jedem Verkaufstag entsteht dem deutschen Einzelhandel ein Schaden in Höhe von fast 7,7 Millionen Euro durch Kundendiebstahl", heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Studie. Das ergebe fast 2,4 Milliarden Euro im Jahr. Hinzu kamen 2018 Diebstähle von Mitarbeitern im Wert von schätzungsweise einer Milliarde Euro. Warenschwund im Volumen von weiteren 350 Millionen Euro soll auf das Konto von Lieferanten und Servicekräften gehen.

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Die Studie


Für die Studie „Inventurdifferenzen 2019" hat das EHI insgesamt 95 Unternehmen mit mehr als 22.500 Verkaufsstellen befragt. Beteiligt waren der Lebensmittelhandel, Drogeriemärkte, Baumärkte, aber auch der Bekleidungshandel und Möbelhäuser. Zusammen erzielten die beteiligten Unternehmen im vergangenen Jahr einen geschätzten Gesamtumsatz von fast 100 Milliarden Euro.

Gewerbsmäßig organisierte Banden kommen über die A2

Eine immer größere Rolle spielen beim Ladendiebstahl gewerbsmäßig organisierte Banden. Das kann Jörg Beyer bestätigen: "Die kommen oft über die A2 von Osteuropa hier in die Region und klauen meist kleine und teure Produkte. Dabei gehen sie im Team vor: Einer klaut und gibt es an die anderen weiter, die damit verschwinden.” Um diese Masche zu verhindern, brauche es laut Beyer vor allem ausreichend und gut geschultes Personal.

Anzeigen nehmen ab

Vor mehr als 20 Jahren wurde daher eine Schutzgemeinschaft gegen den Ladendiebstahl in der Bielefelder Innenstadt gegründet, die mit verdeckten Ermittlern geschäftsübergreifend arbeitet. "Die Schutzgemeinschaft arbeitet sehr erfolgreich gegen organisierte Banden und Beschaffungskriminalität”, meint Beyer. Wertmäßig sei mittlerweile rund einer Viertel aller Delikte Bandendiebstählen und der organisierten Kriminalität zuzurechnen, schreiben die Autoren. Schwere Ladendiebstähle haben in den vergangenen zwölf Jahren laut Kriminalstatistik um mehr als das Zweieinhalbfache zugenommen, während die Zahl der angezeigten einfachen Ladendiebstähle seit Jahren sinkt.

Auch die Justiz ist gefragt

Jörg Beyer glaubt, einen Grund dafür zu kennen: "Selbst, wenn ein Händler einen Dieb auf frischer Tat ertappt und daraufhin Anzeige erstellt, bekommt er nach sechs Wochen eine Mitteilung darüber, dass das Verfahren eingestellt wurde. Den Grund dafür, bekommt er nicht genannt. Das ist frustrierend.” Es könne daran liegen, dass die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt würden, was auch mit den überlasteten Gerichten zu tun habe. Die Diebe merken dann, dass sie damit durchkommen. Aber Beyer betont: "Diebstähle dürfen kein Bagatelldelikt sein.” Dafür habe sich der Handelsverband in OWL in der Vergangenheit bereits eingesetzt. Denn in letzter Konsequenz seien Betriebe in ihrer Existenz gefährdet

Indes sei die Aussagekraft der Zahlen wegen der hohen Dunkelziffer von 98 Prozent eingeschränkt, betonten die Kölner Handelsexperten. Nach Hochrechnungen des EHI bleiben jährlich fast 24 Millionen Ladendiebstähle unentdeckt.

Zwei Drittel der Täter sind männlich

Bei Bandendiebstählen werden der Studie zufolge bei einem einzigen Raubzug in der Regel Waren im Wert von 1.000 bis 2.000 Euro entwendet. Dabei gebe es oft eine genaue Aufgabenverteilung zwischen den beteiligten Bandenmitgliedern: etwa das Verkaufspersonal zu beobachten und abzulenken, das Diebesgut in „Depots" zusammenzustellen oder die Ware aus dem Geschäft zu tragen und die Fluchtwege zu sichern.

Fast zwei Drittel der ermittelten Tatverdächtigen sind laut Polizeistatistik männlich. Der Ausländeranteil sei überdurchschnittlich hoch und der Anteil der Mehrfachtäter betrage rund 60 Prozent, berichtete das EHI. Fast jeder zehnte erwischte mutmaßliche Ladendieb stand zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss harter Drogen.

Fast nichts ist vor Langfingern sicher

Fast nichts ist vor den Langfingern sicher. „Generell gilt: Was sich gut verkauft, wird auch oft geklaut"", heißt es in der EHI-Studie. Im Lebensmittelhandel sind Spirituosen die Renner im Diebstahl-Ranking. In Drogeriemärkten sind Parfüms und Kosmetik besonders beliebt. Im Modehandel werden werden besonders häufig hochwertige Markenbekleidung, Jeans und Turnschuhe entwendet. Im Elektronikhandel lassen die Kunden gerne Konsolenspiele, Smartphones und Speicherkarten mitgehen, im Baumarkt sind Akkuschrauber und anderes Werkzeug erste Wahl.

Händler nutzen professionelle Überwachungskameras

Im Kampf gegen die Langfinger bauen die Einzelhändler vor allem auf die Schulung ihrer Mitarbeiter. Vier von fünf Unternehmen setzen zudem Kamera- und Videotechnik zur Überwachung der Verkaufsräume ein. So wie Jürgen Ahrens, Geschäftsführer von Hagemeyer in Minden. Er sagt: „Diebstähle haben definitiv zugenommen, aber seit wir eine neue Kameraüberwachung haben, hat sich die Lage stark verbessert." Außerdem setzt Ahrens, wie fast die Hälfte der befragten Unternehmen, auf Sicherheitspersonal. Bei weit über der Hälfte der Firmen sind außerdem zumindest Teile der Waren elektronisch gesichert.

Händler insgesamt nicht unzufrieden

Trotz des Milliardenschadens sind die Unternehmen alles in allem gar nicht unzufrieden mit ihren Erfolgen im Kampf gegen den Diebstahl. Mehr als 60 Prozent bewerteten in der EHI-Umfrage ihre Inventurdifferenzen als akzeptabel oder besser. Nur jede zwölfte Firma bewertete die Situation als „stark verbesserungsfähig".

Dass das Thema Ladendiebstahl in den kommenden Jahren an Bedeutung verliert, ist eher nicht zu erwarten. Zwar habe der Handel seine Investitionen zur Vermeidung von Ladendiebstahl in den vergangenen Jahren verstärkt, heißt es in der Untersuchung. Durch die verlängerten Ladenöffnungszeiten stehe aber gleichzeitig insgesamt weniger Personal zur Flächenbeaufsichtigung zur Verfügung, was die Taten wiederum erleichtere.