
Herr Meier-Scheuven, können Sie mit Europa überhaupt etwas anfangen?
Wolf D. Meier-Scheuven:Ja, aber sicher. Schon als 18-Jähriger bin ich mit zwei Freunden per Interrail quer durch Europa gefahren. Spanien, Italien, Jugoslawien, Schottland, Irland – da war alles dabei. Das war Völkerverständigung, schon 1977.
Per Interrail sind damals wohl alle unterwegs gewesen.
Meier-Scheuven: Stimmt. Ich wollte schon ein Jahr früher. Da durfte ich aber nicht. Zu gefährlich! Stattdessen musste ich am Dümmer Urlaub machen. Aber im Ernst: Europa ist seit 70 Jahren ein Friedensprojekt. Es ist unglaublich wichtig, dass dieses Projekt auch bestehen bleibt.
Privat und jugendlich ist Europa reizvoll. Aber wofür braucht der Unternehmer Europa?
Meier-Scheuven: Der Großteil unseres wirtschaftlichen Erfolgs basiert auf unseren Beziehungen zu Europa. Von den 44 Millionen Arbeitsplätzen hängen elf Millionen am Export. Knapp 70 Prozent der Exporte gehen nach Europa, der Warenwert beträgt über 870 Milliarden Euro. Wir haben 75 Handelsabkommen, die wir allein als Deutsche so nicht hätten. Allein das Handelsabkommen der Europäischen Union mit Japan spart eine Milliarde Euro an Zöllen ein.
Jede Menge Zahlen, jede Menge Argumente für Europa.
Meier-Scheuven: Noch eins: 2,1 Millionen Arbeitnehmer aus der EU helfen, unseren Fachkräftemangel zu lindern.
Ohne Europa geht es gar nicht?
Meier-Scheuven: Nein. Europa ist ein mächtiger Wirtschaftsraum. Wenn wir gegen die großen Wirtschaftsräume bestehen wollen, dann müssen wir als Europäer zusammenhalten. Das werden die Briten auch noch erkennen. Wir Ostwestfalen wissen das längst. Der ostwestfälische Auslandsumsatz in der Industrie hat sich mehr als verdreifacht. Der Inlandsumsatz hat nur um 30 Prozent zugelegt.
Und trotzdem wird gern über die EU gemeckert.
Meier-Scheuven: Ja, meistens über die Bürokratie. Dabei ist die EU genau genommen das größte Bürokratie-Abbauprojekt, weil für den gemeinsamen Markt Standards geschaffen wurden, die dafür sorgen, dass wir unsere Waren auch in Rumänien oder Frankreich verkaufen können.
Wir brauchen also Bestimmungen über die Krümmung von Gurken und Bananen?
Meier-Scheuven: Die viel zitierte Bestimmung bei Bananen gibt es gar nicht. Das sind „Fake News". Bei den Gurken gibt es eine Normierung, übrigens auf Initiative von uns Deutschen. Gurken, die relativ gerade sind, lassen sich eben besser, platzsparender, kostengünstiger verpacken. Das macht die Gurke für uns billiger. Aber diese Vorteile werden häufig übersehen.
Aber wieso hält sich dann das schlechte Image?
Meier-Scheuven: Da werden dann immer dieselben, teilweise falschen Aufregerbeispiele wiederholt. Der Sinn, zum Beispiel die Kosteneinsparung, wird nicht erkannt. Und wenn etwas glatt läuft, wird es schnell selbstverständlich. Aber auch und gerade in diesen Dingen steckt jede Menge Arbeit.
Zu den viel diskutierten Themen gehört der Nationalismus. Was tun?
Meier-Scheuven: Der Nationalismus ist eine große Gefahr, wenn durch nationale Egoismen der europäische Handel geschwächt wird und demokratische Grundregeln, wie Pressefreiheit, unabhängige Justiz und Diskriminisierungsverbote aufgeweicht werden. Die EU-Behörden müssen in solchen Fällen mit ihren Vertragsverletzungsverfahren konsequenter sein. Der Rahmen muss eingehalten werden, sonst driftet alles auseinander. Es müssen in Zukunft sicherlich auch Verfahren auf den Prüfstand gestellt werden. Die wirtschaftliche Verflechtung schafft auch Stabilität und der Brexit ist kein gutes Vorbild.
Juckt es Sie nicht manchmal, selbst in Europa mitzumischen? Wann gehen Sie in die Politik?
Meier-Scheuven: Nein, das juckt mich gar nicht! Als Unternehmer schätze ich schnelle Entscheidungen, klare Strategien. Joschka Fischer hat beim IHK-Außenwirtschaftstag berichtet, wie quälend europäische Konferenzen oft waren. Er habe sich in solchen Fällen gesagt: „Ich mache das für den Frieden." Das kann ich nachvollziehen. Aber ich weiß nicht, ob ich die Geduld gehabt hätte.
Also keine Politik?
Meier-Scheuven:Mein Unternehmen macht viel Arbeit. Und als Präsident der Industrie- und Handelskammer bin ich zusätzlich direkt an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft tätig. In dieser Funktion berate ich und fordere für die Wirtschaft. Wir loben, wenn etwas umgesetzt wird, wir tadeln, wenn es dauert oder für unsere Unternehmen in die falsche Richtung läuft. Politik funktioniert mit Kompromissen. Politik muss Mehrheiten organisieren. Da verliert man manchmal den Fokus. Das wäre nichts mehr für mich.
Klingt deprimierend.
Meier-Scheuven: Wie mans nimmt. Trotzdem es nichts für mich ist, habe ich viel Respekt vor dem, was Politiker da leisten. Früher hat man, statt nach Kompromissen zu suchen, mit der Faust auf den Tisch gehauen, ist in den Krieg gezogen. Da ist Verhandeln doch der bessere Weg.
Wo in Europa wären Sie gern, wenn Sie nicht in Bielefeld sind?
Meier-Scheuven:Ich schätze viele Länder, nicht nur in Europa. Wo ich unbedingt noch hin muss, ist zum Beispiel Polen. Demnächst bin ich zum ersten Mal in Ungarn. Leider ist es dienstlich oft so, dass ich nicht mehr als Flughafen, Hotel und Sitzungsraum sehe. Italien mag ich sehr. Die Kultur, die Menschen, das Essen, den italienischen Wein... Aber ich freue mich dann auch immer wieder, zurück nach Ostwestfalen zu kommen. Wie viele andere sage ich auch: Zu Hause ist es letztlich doch am schönsten.
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