Paketdienste

Wird es eine Zustellung bis an die Haustür bald nicht mehr geben?

Der Kunde soll immer mehr zum Regisseur seiner Sendung werden, seine Pakete umleiten oder einen bestimmten Zustelltag angeben

Besonders in der Vorweihnachtszeit arbeiten Paketzusteller im Akkord. | © picture-alliance/ dpa

Jan Sternberg
23.11.2018 | 25.11.2018, 13:56

Berlin. Als der Zusteller an ihrer Haustür klingelte, war Michelle Sanne (Name geändert) im Büro. Das ist Alltag in Deutschland. Die Paketboten sind tagsüber unterwegs, die Kunden oft nicht zu Hause. Da auch von Sannes Nachbarn keiner zu erreichen war, nahm der DHL-Bote die Sendung eines Sportversands wieder mit – und deponierte sie in einem Paketshop am anderen Ende der Stadt. Das war dann schon nicht mehr alltäglich.

Nach Lagerfrist zurück an den Absender

„Es gibt allein zwei zuverlässige Stationen in 500 Metern Umkreis meiner Wohnung", beschwert sich die aufgebrachte Kundin. Warum ihr Paket nicht in die Filiale um die Ecke, sondern 6,6 Kilometer entfernt abgegeben wurde, konnte ihr auch in den folgenden Tagen keiner erklären. Sanne beauftragte eine zweite Zustellung, diese wurde im System vermerkt – doch das Paket kam nie. Nach den üblichen sieben Tagen Lagerfrist ging es zurück an den Absender. Sanne hat ihre Konsequenzen gezogen. „Von meinen Weihnachtseinkäufen bestelle ich keinen einzigen online", sagt sie.

Damit steht sie mehr und mehr allein da. Das Versandgeschäft steuert zum Jahresende auf neue Rekorde zu. 19 Millionen Pakete wollen Deutschlands größte Lieferdienste DHL, Hermes, DPD und GLS im Weihnachtsgeschäft ausliefern – pro Tag. Die DHL-Boten schleppen allein elf Millionen davon. Alle Lieferdienste haben massiv eingestellt, neue Verteilzentren in Betrieb genommen, mehr Transporter angeschafft und zum Teil auch neue Software eingeführt.

"Die Pakete sind größer dieses Jahr"

Der Schnäppchentag Black Friday am Freitag markierte gleichzeitig den Startschuss zum Weihnachtsgeschäft. Und die Sendungen werden nicht nur immer mehr, sondern auch voluminöser. „Die Pakete sind größer dieses Jahr", stellt Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher fest. Die Paketboten kommen an ihr Limit. Umso wichtiger ist es, dass der erste Zustellversuch klappt. Jede Verzögerung hält den auf Kante genähten Betrieb auf.

„Alle Paketdienstleister arbeiten zurzeit daran, die Effizienz zu erhöhen. Das misst sich an einer erhöhten Erstzustellungsquote", sagt Elena Marcus-Engelhardt vom Bundesverband Paket und Expresslogistik. „Dazu können auch die Kunden ihren Teil beitragen. Der Kunde soll immer mehr zum Regisseur seiner Sendung werden. Er kann die Sendung umleiten, einen anderen Zustelltag angeben, einen Wunschnachbarn oder einen Abstellort. Oder er nutzt eine Paketstation oder Paketbox."

Die Deutschen setzen beim Onlinehandel vor allem auf Bequemlichkeit, sagt Marcus-Engelhardt. „87 Prozent wünschen die Zustellung an der Haustür. In anderen, zum Beispiel skandinavischen Ländern nutzen Empfänger häufiger Alternativen zur Haustürzustellung." Nur 3 Prozent der deutschen Besteller nutzen Paketboxen, 10 Prozent lassen ihre Pakete in einen Paketshop liefern und holen sie dort ab.

"Dem boomenden Onlinehandel droht mittelfristig eine analoge Grenze"

Kein Paketservice traut sich, allzu laut über das Ende der Zustellung an der Haustür nachzudenken. Hermes-Chef Olaf Schabirosky lehnt sich schon vergleichsweise weit aus dem Fenster: „Dem boomenden Onlinehandel droht mittelfristig eine analoge Grenze. Natürlich wird es eine Haustürzustellung auch weiterhin geben. Dennoch müssen wir verstärkt an effizientere alternative Zustellmöglichkeiten denken."

Zurzeit sieht es in deutschen Städten alltäglich so aus: Am frühen Morgen werden die Pakete in den Logistikzentren am Stadtrand sortiert und die Transporter beladen, dann machen sie sich auf den Weg. Am Vormittag erreichen die Fahrer die Wohngebiete. Wer zu den üblichen Zeiten arbeitet, ist dann längst im Betrieb. Für erfahrene Zusteller ist das kein Problem: Sie kennen in jedem Haus die Rentnerin im Erdgeschoss, den Heimarbeiter im Hinterhaus, den Elternzeitvater und die junge Mutter in Teilzeit. Sie kennen die Gutmütigen, die alles annehmen, auch wenn sie kein eigenes Paket bekommen. Diese Profis wissen, wohin die Benachrichtigungskarten gehören und sind in Rekordzeit mit ihrer Tour fertig.

Die Neulinge und Aushilfsfahrer tun sich schwerer. Sie suchen nicht existierende Hinterhäuser, orientieren sich mühsam an den Klingelschildern und verlieren immer mehr Zeit. Am Ende des Tages landet dann ein Paket vielleicht auch mal, wie in Sannes Fall, im Paketshop am anderen Ende der Stadt – Hauptsache, man ist die Sendung los.

Arbeiten mit begrenzten Sprachkenntnissen

Immer präzisiere Software, die auch Öffnungszeiten und Staufallen kennt, soll die Fahrer durch die Stadt leiten. Sie soll auch die Kluft zwischen den Routiniers und den Neuen verringern. Einige Anbieter haben für ihre Programme auch rumänische oder arabische Sprachversionen eingestellt, weil die verzweifelt gesuchten neuen Mitarbeiter schon ranmüssen, bevor sie ihre Sprachkurse abgeschlossen haben. Marcus-Engelhardt nimmt da kein Blatt vor den Mund: „Es herrscht quasi Vollbeschäftigung, umso schwerer ist es für die Paketdienstleister, Arbeitskräfte zu finden. Das bietet Chancen für Menschen aus dem europäischen Ausland oder für Geflüchtete. Es ist illusorisch, diese Menschen erst nach dem Erreichen eines bestimmten Sprachniveaus einzustellen. Sprachkurs und Arbeit müssen parallel laufen."

Gerade im Winter, in der Hauptsaison, ist der Job nur etwas für Hartgesottene. Hundertmal am Tag aus dem geheizten Transporter raus in die Kälte, rein in den warmen Hausflur, die Treppen hoch, in die überhitzten Wohnungen, dann wieder bei Minusgraden auf der Suche nach unbeleuchteten Hausnummern – das Ende der Zustellung an der Wohnungstür wäre auch für die Zusteller eine echte Erleichterung.

Dennoch wendet sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi massiv gegen ein Ende der Haustürzustellung. „Das ist doch der Clou an dieser Dienstleistung", sagt Verdi-Expertin Sigrun Rauch. Sie befürchtet Verschlechterungen für die Kunden, sollte die Haustürzustellung irgendwann nicht mehr Standard bei den Lieferdiensten sein. „Sie ist ein Bestandteil der flächendeckenden Postversorgung. Und gerade in ländlichen Regionen sind Menschen darauf angewiesen, online Waren bestellen zu können und nach Hause geliefert zu bekommen." Während in den Innenstädten eine Paketbox vielleicht noch in Laufentfernung aufgestellt wird, könnte es auf dem Land bedeuten, für die Lieferung in den nächsten Ort fahren zu müssen.

Staus, Dieselfahrverbote, zugeparkte Straßen

Doch der Druck, neue Lösungen für die sogenannte „letzte Meile" der Zulieferung zu finden, wächst gerade in den großen Städten. Staus, Dieselfahrverbote, zugeparkte Straßen machen es für Zusteller immer schwieriger, überhaupt zum Zielort zu gelangen. In den sozialen Medien werden unter #dhlillegal Transporterfahrer an den Pranger gestellt, die Rad- und Fußwege zuparken. „Unsere Transporter machen nur 6 Prozent des innerstädtischen Verkehrs aus, aber sie fallen auf, wenn sie in zweiter Reihe stehen, weil sie wiedererkennbar sind", sagt Marcus-Engelhardt. „Leider bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, weil Ladezonen von Falschnutzern belegt oder schlicht zu wenige Ladezonen vorhanden sind." Laut einer Studie der IHK Köln waren 81 Prozent der Ladezonen in Köln und Leverkusen regelmäßig zugeparkt.

Zusteller wie Andreas Butzengeiger und seine Kollegen haben diese Probleme nicht. Der DHL-Bote fährt neuerdings mit seinem knallgelben Lastenrad die breiten Bürgersteige von Berlin-Prenzlauer Berg ab. Jeden Morgen trifft er auf andere Fahrer in anderen Farben – etwa von Hermes. Sie nutzen ein gemeinsames Depot am ehemaligen Mauerstreifen. Die Basis heißt Kombiniertes Mikrodepot, jeder der fünf großen Paketdienstleister nutzt mietfrei einen 20-Fuß-Container als Umschlagplatz. Das Bundesumweltministerium fördert das Projekt mit 400.000 Euro.