Vorsicht vor Selbstausbeutung am Arbeitsplatz!

Bielefeld. Was für eine großartige Idee: In &bdquo;agil" organisierten Unternehmen bestimmen die Mitarbeiter selbst, welches Pensum sie schaffen wollen und wie lange sie sich dafür Zeit lassen. Doch die Sache hat Haken: &bdquo;Mitarbeiterteams neigen oft dazu, sich zu überschätzen", warnt Tobias Kämpf vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. Obwohl die Selbstorganisation der Humanisierung der Arbeit und der Förderung der Gesundheit dienen sollte, mündet sie im schlimmsten Fall in Dauerstress und extremer Arbeitsverdichtung. Kämpf hat dies im Rahmen seiner Forschung durch Interviews erfahren. &bdquo;Selbstausbeutung ist bei agilem Arbeiten eine große Gefahr", weiß auch Bernhard Badura, der Mitgründer der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Man müsse die gesundheitlichen Auswirkungen von Änderungen in der Unternehmensorganisation im Blick behalten, um die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten, mahnte Badura am Rande der Fachtagung &bdquo;Agiles Arbeiten und Gesundheit – Selbstausbeutung durch Selbstorganisation". Hierarchien verlieren an Bedeutung Ursprünglich, so berichtet Kämpf, sei das &bdquo;agile Arbeiten" durch eine Graswurzelbewegung in der Software-Branche entstanden – eine Art Widerstandsbewegung von Entwicklern, die sich nicht mehr gängeln und in bürokratische Unternehmensabläufe zwängen lassen wollten. Inzwischen sei Agilität ein flächendeckendes Thema in allen Wirtschaftsbereichen. In der Autoindustrie etwa: Weil es beim Autonomen Fahren um komplexe Probleme gehe, die ein einzelner Projektleiter kaum noch durchdringen könne, seien selbstbestimmte Teams, flexible Prozesse und Vernetzung sinnvoll. Nicht im Mittelpunkt stünden Produktivitätsgewinne, um Stellen abzubauen. Die Bildung von &bdquo;empowerten" Teams und die Zerlegung von Aufgaben in kleinere Schritte, die in &bdquo;Sprints" erledigt werden können, gehören zur agilen Organisation. &bdquo;Auch die Art der Führung ändert sich fundamental", sagt Kämpf. Hierarchien verlieren theoretisch an Bedeutung. Erfahrungsberichte lassen aufhorchen Doch die Erfahrungsberichte, die Tobias Kämpf gesammelt hat, lassen aufhorchen. &bdquo;Auf Sprint folgt Sprint", fasst er zusammen: Viele Mitarbeiter fühlen sich wie am Fließband. &bdquo;Hier ist alles superdicht getaktet, man steht permanent unter Stress", so eine Rückmeldung. Anja Schmitz von der Hochschule Pforzheim weiß, dass hohes Arbeitstempo mitunter zum Selbstzweck wird: "Es gibt dann eventuell nur eine Liste, die abgearbeitet werden muss - ohne Spielraum". Weil komplexe Aufgaben in kleine, übersichtliche Happen aufgeteilt werden, bekommen Mitarbeiter zudem leicht das Gefühl, &bdquo;permanent unter Kontrolle zu stehen". Es gibt Klagen über täglichen Arbeits- und Rechtfertigungsdruck. Furcht vor Austauschbarkeit kann wachsen Auch die Bildung von Teams, deren Mitglieder eigentlich voneinander lernen und sich gegenseitig helfen sollten, kann zu Ängsten führen – etwa wenn sehr leistungsstarke Teammitglieder das Niveau nach oben schrauben. Und selbst bei hochqualifizierten Beschäftigten steige die Furcht vor Austauschbarkeit, vor allem, wenn in der Firma Entlassungen drohen. &bdquo;Es gibt innere Widerstände, die nicht offen erklärt werden", gaben Befragte zu Protokoll. Es klingt banal: Sind alle Mitarbeiter ausgebrannt, kann ein Unternehmen nicht erfolgreich sein. Doch weil der digitale Wandel sich breit macht und auch Mittelständler mit agilen Arbeitsformen darauf reagieren, rückt die Frage in den Vordergrund, wie dieser Wandel nachhaltig – sprich: gesund – gestaltet werden kann. Anhaltspunkte für ungesunde Entwicklungen Bei der von Uta Walter organisierten Veranstaltung zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement waren sich die Tagungsteilnehmer einig: Das agile Arbeiten und seine Auswirkungen sollten gut beobachtet werden. Vanessa Barth, Vorstandsfrau der IG Metall, nannte elementare Dinge, auf die zu achten sei: Wie ist die Fluktuation? Wie viele Überstunden werden geleistet? Wie oft wird Urlaub verschoben? Solche Fragen könnten Anhaltspunkte für ungesunde Entwicklungen liefern. Barth ist nicht prinzipiell abgeneigt, aber sie ist skeptisch: &bdquo;Aktuell schwappt eine Agilisierungswelle durch die Unternehmen", stellt sie fest. Wenn dies gut begleitet werde – auch durch einen Kulturwandel in der Firma – seien Erfolge möglich. Es mangele aber an qualifizierten Trainern, die Beschäftigte und Führungspersonal für agiles Arbeiten fit machen könnten. &bdquo; Am Ende steht oft agil drauf, ist aber gar nicht drin."

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