Wirtschaft

Wie Werbung und Marketing unsere Kaufentscheidung beeinflussen

Ein Marketingexperte, ein Wirtschaftswissenschaftler und ein Handelsverband-Vertreter geben Einblicke

Werbung ist Information - aber eben nicht nur. | © dpa

Björn Vahle
11.12.2016 | 22.12.2016, 17:12
Guido Lohman, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Werbe- und Marketingagentur 3D-Werk. - © 3D-Werk
Guido Lohman, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Werbe- und Marketingagentur 3D-Werk. | © 3D-Werk

Bielefeld. Weihnachtszeit ist Einkaufszeit. November und Dezember machen allein im Einzelhandel ein Fünftel des Jahresumsatzes aus. Und Weihnachtszeit ist Werbezeit. Denn obwohl wir in dieser Zeit ohnehin mehr Geld ausgeben, will natürlich jede Marke, dass wir es bei ihr tun. Also wird geworben, was das Zeug hält. Wie frei sind wir also wirklich in unseren Kaufentscheidungen? Eine Spurensuche.

Guido Lohmann ist nach eigenen Angaben "kein Weltverbesserer", hat kein Problem damit, für seine Kunden ein Opportunist zu sein. Seit 2011 leitet er die Bielefelder Werbe- und Marketingagentur 3D-Werk, die international agierende Kunden berät.

In seiner Welt hat ein Kunde, wenn er etwas kauft, "seinen Job" gemacht. Er sagt: "Jede Kaufentscheidung, die wir treffen, ist das Produkt unzähliger Einflüsse, aber mitnichten eine freie."

"Dann hat die Werbung etwas falsch gemacht"

Information
3D-Werk wurde 2011 gegründet als Marketingagentur für den sogenannten "Point of Sale", also den Verkaufsort von Produkten. Das Kernprodukt sind Daten. Für Auftraggeber analysiert die Agentur den Verkaufsort im Markt, auf der Messe und anderswo. Nicht personalisierte Daten über Nutzerverhalten werden aufgezeichnet und als Grundlage für Empfehlungen verwendet, wie der "Point of Sale" besser genutzt, aufgebaut, sichtbar gemacht werden kann. Außerdem verkauft die Firma Konzepte für Verkaufsstationen. Ihr jüngstes Projekt für den Computerzubehör-Hersteller Logitech hat den Marketing-Preis "Superstar" gewonnen.

Ihn habe schon als jugendliche Aushilfe im Betrieb seines Stiefvaters fasziniert, welche Prozesse im Kopf von Menschen vorgehen, bevor sie kaufen. Wir sind vorgeprägt, ohne es zu merken, ist seine These. Von Eltern, Freunden, dem Internet, sogar den eigenen Gewohnheiten. "Wenn Oma immer von ihrer Miele-Waschmaschine geschwärmt hat, nach welcher Marke gucken Sie wohl, wenn Sie selbst eine brauchen?"

Es sei sogar zu beobachten, dass es Menschen schwer falle, ein qualitativ möglicherweise gleichwertiges Produkt als solches zu akzeptieren. Das, so Lohmann, habe mit Gewohnheit zu tun, aber auch mit einem Gefühl von Sicherheit, von "Ich-weiß-was-ich-bekomme". Dann macht er es persönlich. "Welche Automarke fahren Ihre Eltern?", fragt Lohmann mich. Ich sage es ihm. "Und welche fahren Sie?", fragt er weiter. Kleinlaut muss ich zugeben, dass es dieselbe ist.

Sollte ich wirklich so sehr auf Marken geprägt sein? Wo ich mir doch einrede, jede größere Investition (und die beginnen bei meinem Geiz ab 20 Euro aufwärts) sorgfältig abzuwägen und mich über Qualität zu informieren. Lohmann wird deutlich: "Wenn Sie wirklich eine unbeeinflusste Entscheidung treffen, dann hat die Werbung etwas falsch gemacht."

Konsumenten "lernen" Marken

Professor Reinhold Decker. - © Reinhold Decker
Professor Reinhold Decker. | © Reinhold Decker

Denn, so sagt er, "Marken sind für Menschen wie Anker. Wenn die Welt um sie herum sich auch ständig verändert: Die Marken bleiben."

Etwas sachlicher formuliert es Reinhold Decker. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld - und spricht von einem Lernprozess, dem "wiederholten Wahrnehmen von Informationen und dem Verinnerlichen bestimmter Marken-Assoziationen". Werbung konditioniert also - wenn sie erfolgreich ist - durch Wiederholung auf die Marken.

Wer so ein stabiles "Markenbild" aufgebaut hat, muss nicht einmal mehr ausschließlich für sein Produkt werben. Bestes Beispiel: Apple. Deren Werbespots können auch einfach kurze unterhaltsame Geschichten erzählen - und zum Schluss das Markenlogo einblenden. Die Assoziationen zu den Produkten stellt der Konsument her.

Erstkontakt: Willkommen zuhause

Lohmann nennt noch ein anderes Beispiel für ferngesteuerte Kaufanreize: Den Supermarkt. "Die analysieren ihre Kunden schon seit Jahrzehnten. Vom Feinsten." Das hat mittlerweile dazu geführt, dass in den meisten Märkten der Erstkontakt von Kunde und Markt in der Obst- und Gemüseabteilung stattfindet, in der Bremszone. Hier werden alle Sinne angesprochen. Viele Farben und eine heimelige Atmosphäre sollen das hektische Draußen, aus dem die Kunden hereinkommen, vergessen lassen. Kurz: Ein gutes Gefühl vermitteln.

Obendrein läuft morgens andere Musik als abends. Die Theorie: Morgens kaufen eher ältere Menschen ein, nachmittags und abends die jüngere Generation, nach der Arbeit. Also dudeln morgens mehr Oldies und nachmittags eher Charts.

All das hat nichts mit der Qualität oder den Preisen der Waren zu tun. Aber es macht das Einkaufen zum Erlebnis, gibt ein gutes Gefühl. Und lässt uns so mehr Geld ausgeben, als vielleicht nötig wäre. So zumindest der gewünschte Effekt. Lohmann: "Dass Sie für Markenpizza mehr bezahlen müssen, liegt meistens daran, dass der Hersteller mehr Geld für seine Pizza-Werbung ausgibt."

"Sonst würden sie es nicht machen"

Dass sich diese Investitionen lohnen, lässt sich schon daran ablesen, dass sogar Discounter wie Aldi mehr auf das "Wie" am Verkaufsort achten - und die Märkte danach strukturieren. Reiner Palettenverkauf zu günstigen Preisen scheint also nicht mehr zu reichen.

Zumindest stellt Lohmann das so dar. Aber ist das wirklich so? Thomas Kunz mag sich nicht festlegen. Der Sprecher des Handelsverbands Ostwestfalen in Bielefeld beschreibt die Frage danach als eine Henne-Ei-Situation. Wollten die Kunden das Event-Einkaufen oder hat es der Handel erfunden? Wer weiß. Fest steht für ihn nur: "Der Kunde erwartet es heute."

Wirtschaftsprofessor Decker fügt hinzu: "Wir haben uns zunehmend daran gewöhnt, beim Einkaufen unterstützt zu werden." Das geworben werde, sei im Grunde ja auch von Vorteil für den Konsumenten. "Sonst wüssten wir von bestimmten Produkten gar nicht, dass es sie gibt."

Vom Erfolg des Konzepts "willkommener Kunde", zum Beispiel in Supermärkten, ist Thomas Kunz allerdings überzeugt. "Das scheint dem Handel etwas zu bringen, sonst würde es nicht gemacht." Zahlen darüber, wie viel mehr durch solche Vermarktung der eigenen Filialen verdient wird, gibt es beim Verband allerdings nicht.

Was ich will, weiß das Geschäft

Die interaktive Verkaufsstation von Logitech, an dem Kunden verschiedene Produkte testen und vergleichen können. Anhand der Nutzung ermittelt das System, welches Produkt dem Kunden mit größter Wahrscheinlichkeit gefällt. - © Arkadiusz Goniwiecha/3D-Werk
Die interaktive Verkaufsstation von Logitech, an dem Kunden verschiedene Produkte testen und vergleichen können. Anhand der Nutzung ermittelt das System, welches Produkt dem Kunden mit größter Wahrscheinlichkeit gefällt. | © Arkadiusz Goniwiecha/3D-Werk

Lohmann kann allerdings einen Einblick geben, in welche Richtung es in Zukunft gehen könnte. Mit einer von ihm entwickelten Verkaufsstation, an der man Produkte, die eine Erklärung brauchen, detailliert und auf die Bedürfnisse abgestimmt erklärt bekommt, sie selbst in bestimmten Szenarien ausprobieren kann. Damit habe der Hersteller nach eigener Aussage in einer Filiale den Absatz der gezeigten Produkte um einen zweistelligen Prozentsatz gesteigert.

Denn die Station erkennt über Kamera und verschiedene Sensoren außerdem, was für ein Kunde vor ihr steht. Geschlecht, ungefähres Alter, Nutzung der Station, ausprobierte Produkte: All das liefert ihr Anhaltspunkte dafür, welches Produkt uns gefallen könnte. Laut Lohmann geht die Station mit europäischen Datenschutz-Richtlinien konform.

Hinzu kommt, dass Kunden ohnehin zunehmend gläsern werden. Das Internet der Dinge hilft dabei genauso wie jedes Nutzerkonto, jede Aktion in sozialen Netzwerken, jeder Google-Suchbegriff. Und selbst wenn dabei keine 100-prozentig zutreffende Empfehlung für ein tatsächlich dringend benötigtes Produkt herauskommt: Die Fantasie der Kunden ist beflügelt.

Illusion zerstört, aber...

Müssen wir uns also von dem Gedanken verabschieden, eine eigenständige Kaufentscheidung treffen zu können? Zumindest muss uns klar sein, wieviel Einfluss Werbung, Marketing und Geschäfte darauf haben. Und dieser Einfluss ist legitim, der wirtschaftliche Gedanke aufseiten der Werbenden, das eigene Geschäft so erfolgreich wie möglich zu gestalten, ist legitim.

Reinhold Decker sagt aber mit Blick auf den Kunden: "Man muss sich im Klaren darüber sein, dass wenn Werbung von Unternehmen betrieben wird, dann hat das in letzter Konsequenz immer auch den Grund, das Produkte verkauft werden sollen." Trotzdem bleibt es natürlich den Kunden überlassen, für welches Produkt sie sich entscheiden.

Dafür braucht es Informationen, und die liefert - in Teilen - auch die Werbung. Decker stellt klar: "Werbung, wie schön auch immer gemacht, zwingt uns nicht zu handeln. Die Frage ist nur: Wie bekomme ich die Werbung von der objektiven, neutralen Information getrennt?" Wichtig sei deshalb, aufzuklären, wie Werbung funktioniert.

Von Werbung beeinflusst oder nicht: Welche Marke und welchen Händler Kunden mit ihrem Kauf unterstützen, haben sie selbst in der Hand. Das unterstreicht auch Professor Decker. "Das was sich geändert hat, ist die digitale Welt, die uns immer stärker mit Werbung überflutet. Insofern sind wir stärker beeinflusst. Aber entscheiden tun wir frei."