
Bielefeld. Hausbauer, Renovierer und Handwerker kennen sie: Polystyrol-Platten, die zur Wärmedämmung zwischen Mauerwerk und Putz angebracht werden. Vielen sind sie besser bekannt unter dem Markennamen Styropor. Der Kauf dieser Platten und die Verwendung ist kein Problem – aber die Entsorgung ab dem 30. September.
Was ist Hexabromcyclododecan?
- HBCD dient vorwiegend als Flammschutzmittel für Kunststoffe. Es kann Brände entweder ganz verhindern, oder zumindest die Ausbreitung des Brandherdes verzögern.
- HBCD wurde vor allem in Dämmstoffen aus Polystyrol für Gebäude eingesetzt. Seit dem 21. August 2015 ist die Herstellung und Vermarktung von HBCD nicht mehr zulässig
- HBCD ist giftig, vor allem für Gewässerorganismen wie Krebstiere und Algen. Der Stoff ist zudem langlebig, weil er in der Umwelt schlecht abgebaut werden kann.
- HBCD ist gering wasser- und fettlöslich, wird aber in nahezu allen Umweltproben gefunden, auch in der Luft. HBCD reichert sich zudem in Lebewesen an.
- Und HBCD hat das Potenzial, die Gesundheit zu schädigen und die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen. Er kann in Muttermlich enthalten sein.
Ein FAQ zu HBCD gibt es auch auf der Seite des Umweltbundesamtes
Denn die deutsche Umsetzung einer EU-Verordnung deklariert diese Dämmstoffe künftig als Sondermüll, der getrennt gesammelt und entsorgt werden muss. Dies liegt an dem Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan, kurz HBCD, das als langlebiger organischer Schadstoff identifiziert wurde und oft in alten Polystyrol-Platten enthalten ist. Seit dem 21. August 2015 ist die Herstellung und Vermarktung von HBCD nicht mehr zulässig, entsprechende Dämmmaterialien dürfen aber bis 2019 noch in den EU-Ländern hergestellt werden. Die deutschen Hersteller von Fassadendämmungen haben ihre Produktion aber bereits umgestellt - und verwenden das unbedenkliche Polymer-FR als alternatives Flammschutzmittel.
In der Praxis verursacht das Trennungsgebot derzeit große Probleme - vor allem bei Abfall bestehend aus alten Wärmedämmplatten, der bei Sanierungen anfällt. „Die Gesetzesänderung hat Gutes im Sinn, aber sie ist nicht zu Ende gedacht", sagt Martin Lang, Obermeister der Dachdecker- und Zimmerer-Innung Bielefeld. Niemand sei darauf vorbereitet.
Entsorger wissen nicht, wohin mit den Dämmstoffen
Gewerbe und Handwerk wissen nicht, wie sie die Styropor-Platten ab dem 1. Oktober entsorgen können. Denn viele Entsorgungsbetriebe haben momentan einen Annahmestopp erteilt. Der Grund: „Auch wir wissen nicht, wohin damit", sagt ein Unternehmer aus dem Kreis Warendorf. In seinem Wirkungskreis nimmt die örtliche Kreisdeponie das Styropor nicht an.
Wie so viele Anlagen bundesweit – und die Müllverbrennungsanlage (MVA) Bielefeld. Geschäftsführer Rainer Müller erklärt, dass die MVA derartige Monochargen schon in der Vergangenheit nicht angenommen hat. Das leichte und großvolumige Material könne nicht gelagert und gehändelt werden. Und das Verbrennen selbst sei schwierig.
Die bisherige Entsorgung dagegen war einfach und unbedenklich: Der Styropor-Abfall von Baustellen wurde unter den sonstigen Bauabfall gemischt. Bei der Verbrennung wurde HBCD so zerstört. Nun sorgen die Monochargen für Probleme.
Auch neue Materialien werden nicht angenommen
Auch die Tönsmeier-Gruppe mit Hauptsitz in Porta Westfalica klagt angesichts der Gesetzesänderung. Das Vermischungsverbot erschwere die Annahme und Lagerung. Ähnlich geht es dem Unternehmen Drekopf – der Entsorger musste einen Annahmestopp ausrufen.
Ein weiteres Problem: Auch neue Materialien, die nicht mehr mit HBCD belastet sind, werden von Entsorgern nicht angenommen – weil erst einmal nicht nachweisbar ist, dass sie unbelastet sind. „Das Material sieht genauso aus wie das belastete, es riecht genauso, es fühlt sich genauso an", so Lang. Nur entsprechende Tests in Laboren würden aufklären, die kosten aber 200 Euro aufwärts pro Probe und sind langwierig.
Eine erste Lösung: Das Material wird zwischengelagert. Aber so einfach ist das nicht. „Um gefährlichen Abfall lagern und transportieren zu dürfen, braucht man eine spezielle Genehmigung", sagt Obermeister Martin Lang. Und die haben viele Handwerksbetriebe in der Regel nur für kleine Mengen. „Wir bekommen einen Entsorgungsnotstand." Die Gefahr der illegalen Entsorgung steigt.
Was das für den Verbraucher bedeutet
Hinzu kommt, dass völlig unklar ist, was die Entsorgung künftig kostet.Momentan werden für die Entsorgung von einer Tonne Dämmstoff laut Martin Lang 150 Euro verlangt. „Als künftiger Preis ist gerüchteweise eine Summe von 600 Euro im Umlauf." Andere nennen sogar eine Summe von 2.000 Euro pro Tonne Sondermüll. Bauen könnte somit teurer werden. Betriebe können ihren Kunden keine Kostensicherheit garantieren, und sie haben keinen verlässlichen Preis, mit dem sie kalkulieren können.
Was bedeutet das Ganze für den privaten Renovierer und Verbraucher? Wer nach Renovierungsarbeiten Material entsorgen möchte, muss noch strikter trennen als bisher. In:
- Beton
- sonstiger mineralischer Abbruch wie Steine,
Mörtelrückstände, Hohlblöcke und Ziegelsteine - Altholz; gemischte Bau- und Abbruchabfälle in Form von Folien, Baustoffen aus Kunststoff oder Dachpappe
- Dämmstoffe
Wichtig für Verbraucher ist auch: Teilweise ist HBCD laut Umweltbundesamt auch in Styropor-Verpackungskunststoffen zu finden, beispielsweise für weltweit gehandelte Elektro- und Elektronikgeräte. Momentan wird dieses Styropor von Verbrauchern über den Gelben Sack entsorgt. „Es könnte also sein, dass man Sondermüll an die Straße stellt, der von dafür nicht zugelassenen Müllfahrzeugen abgeholt wird", sagt Lang.
Der Umweltbetrieb in Bielefeld hat auf Anfrage der NW hin am 29. September zugesagt, weiterhin Styropor-Platten an allen Abgabestellen anzunehmen. Doch Leser berichten über gegenteilige Erfahrungen. Und die offizielle Bestätigung folgte: Die drei Wertstoffhöfe der Stadt Bielefeld nehmen keine Abfälle aus Styropor und andere Polystorolabfälle mit HBCD-haltigen Flammschutzmitteln an. Das trifft insbesondere auf Wärmedämmplatten zu, die bei Gebäude-Sanierungsmaßnahmen anfallen. Verpackungsabfälle hingegen, beispielsweise von verpackten Elektrogeräten könnten weiter über die Wertstofftonne beziehungsweise die Wertstoffhöfe entsorgt werden.
Lösung des Problems liegt in der Hand der Länder
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) hat bereits einen Lösungsvorschlag entwickelt, über die die Länder derzeit sprechen. Unter anderem sollen Abfallverbrennungsanlagen, die schon die technischen Voraussetzungen erfüllen und einzelne gefährliche Abfälle bereits verbrennen dürfen, leichter eine zusätzliche Genehmigung erhalten. Niedersachsen hat das schon umgesetzt.
Auch sollen Entsorger eine Genehmigung für die Lagerung des Sondermülls schneller bekommen. Und die zulässigen Mischungsanteile des Abfalls sollen erhöht werden. „Das sind alles Punkte, die von den Ländern schnell umgesetzt werden können", so BDE-Sprecher Alexander Georg-Rackow. „Das liegt nun in deren Hand."