
Bielefeld. Eine neue Spiegelreflexkamera soll es sein. Reingeschaut bei Amazon: Morgens kostet sie dort 700 Euro, am nächsten Tag abends plötzlich 1.690 Euro. Eine Differenz von 990 Euro. Größere Online-Händler ändern ihre Preise zum Teil im Minutentakt. Und der Verbraucher? Bekommt von dem „Dynamic Pricing" (dt.: dynamische Preisgestaltung) und von personalisierten Preisen erst einmal nichts mit.
Dabei ist zumindest das „Dynamic Pricing" im Internet mittlerweile allgegenwärtig. Ihm zugrunde liegt ein Algorithmus, der untersucht, wie sich Kunden- und Wettbewerbsverhalten und sonstige Faktoren auf die Zahlungsbereitschaft und den erzielbaren Preis auswirken. Die personalisierte Preisgestaltung geht sogar noch einen Schritt weiter - und analysiert das Surfverhalten des Kunden, bestimmt Standort und Endgerät und passt Angebote entsprechend an. Beispiel: Wenn ein Kunde eine bestimmte Website häufiger besucht, wird ein höheres Interesse vorausgesetzt – und es kann ein höherer Preis verlangt werden.
Andre Wolf von Mimikama, ein Verein zur Aufklärung über
Internetmissbrauch, sagt dazu: „Die verschiedenen Preisangaben für unterschiedliche Endgeräte sind bewusst gestaltet. Man geht beispielsweise davon aus, dass Apple-Nutzer generell einen höheren Preis für Produkte zahlen." Wenn ein Online-Händler also einen Besuch via Apple-Gerät bemerkt, werden die Suchergebnisse anders sortiert. „Eine manipulative Methode", sagt Wolf.
Eine Studie der Preismonitoring-Spezialisten von Minderest aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Preise bei Amazon für einzelne Produkte teils extrem schwanken. Und das binnen weniger Stunden. Untersucht wurden die Preisänderungen bei Produkten im Bereich "Elektronik und Computer" um den Valentinstag herum (12. bis 14. Februar). In diesen drei Tagen registrierte Minderest mehr als eine Million Preisänderungen. Unter anderem auch bei besagter Kamera.
Amazon Deutschland erklärt auf Anfrage, dass das Unternehmen seinen Kunden zu jedem Zeitpunkt das bestmögliche Angebot machen möchte. „Unsere Preise werden von verschiedenen internen und externen Faktoren beeinflusst", so Sprecher Daniel Kälicke. Er verweist auf schwankende Einkaufspreise, Sonderaktionspreise und Preisschwankungen im Marktsegment. „Dabei gelten für alle Kunden die gleichen Preise – unabhängig vom Endgerät, das der Kunde nutzt, oder vom Einwahlstandort." Lediglich Kunden von Amazon Prime erhielten spezielle Angebote.
Auch wenn Händler wie Amazon also eine personalisierte Preisgestaltung abstreiten: Bei einer Stichprobe der Verbraucherzentrale im Jahr 2014 entstand laut Christine Steffen ein anderer Eindruck. In einigen Shops waren die Produkte bei der Bestellung per Tablet oder Smartphone teurer als bei der Bestellung über den Computer. Und zwar teils deutlich.
Die Verbraucherzentrale NRW bemängelt, dass die personalisierte Preisgestaltung intransparent ist. „Es wird nicht klar, ob ich denselben Preis zahle wie alle, oder ob ich nur aufgrund meines Surfverhaltens einen anderen Preis zahlen soll", fasst Steffen zusammen. „Die Entscheidung, ob der Preis für das Produkt ein guter oder ein schlechter ist, wird schwieriger."
Wie sich Verbraucher schützen können
Andre Wolf gibt Tipps, mit denen Verbraucher personalisierte Preise umgehen können: „Cookies und Surfverläufe im Browser entfernen, sodass das Surfverhalten nicht ausgelesen werden kann." Smartphonenutzer hätten die recht einfache Möglichkeit, ihren Browser in die Desktopansicht zu versetzen. „Damit ändern sie automatisch die Angaben in ihrem User-Agent."
Laut Wolf darf sich der Verbraucher aber nicht allein auf technische Maßnahmen verlassen. Er rät: „Preise beobachten, vergleichen und gegebenenfalls, sollte ein Verdacht bestehen, mit einem zweiten Endgerät selbiges Produkt anschauen." Auch Christine Steffen von der Verbraucherzentrale NRW empfiehlt, Preise über einen längeren Zeitraum zu vergleichen. „Bei einem entsprechenden Kaufdruck ist das natürlich nicht möglich." Die dynamische Preisgestaltung komplett umgehen? „Das kann der Kunde nicht."
Dynamische Preise im stationären Einzelhandel
Die Technik macht es möglich, dass die dynamische Preisgestaltung auch im stationären Einzelhandel möglich wäre. Die Elektronikkette MediaSaturn stellt nach eigenen Angaben alle deutschen Märkte nach und nach auf elektronische Preisschilder um. Mit ihnen lassen sich Produkte alle fünf Minuten neu auszeichnen.
Auch die neu eröffnete Filiale in der Bielefelder Innenstadt hat die Schilder schon. Kurz vor der Eröffnung im Februar hatte Geschäftsführer Rolf Bekowies gegenüber der NW erklärt, dass er sich damit ständig an die Onlinepreise anpassen möchte, die sich wiederum an den Mitbewerbern orientieren.
Also kurzfristige Preisänderungen auf Kosten der Kunden? „Unser Anspruch ist definitiv nicht, Preise in Tankstellen-Manier permanent zu ändern und den Kunden zu verwirren", so eine Sprecherin von MediaSaturn auf aktuelle Anfrage. „Wenn Preisanpassungen notwendig sind, werden diese außerhalb der Ladenöffnungszeiten umgesetzt." MediaSaturn spricht sogar von einer höheren Preissicherheit, die Kunden dank der neuen Schilder haben. „Er kann sich darauf verlassen, dass immer der aktuelle Preis am Produkt angebracht ist."
Für das Unternehmen seien die elektronischen Preisschilder „die schnellste und einfachste Variante der Preisauszeichnung". Es müssen keine Schildern mehr ausgedruckt, zugeschnitten und ausgetauscht werden. „Mit den elektronischen Preisschildern können Preise unmittelbar aus unserem Warenwirtschaftssystem heraus verändert werden." Es gehe darum, Abläufe zu digitalisieren und zu modernisieren. Künftig sollen die elektronischen Schilder auch zusätzliche Informationen über die Produkte anbieten.
Die Verbraucherzentrale NRW hat die dynamische Preisgestaltung im stationären Einzelhandel bislang nicht beobachten können. „Die Vermutung liegt nah, dass die Händler damit vorsichtig sind - um das Vertrauen der Kunden nicht zu verlieren", so Christine Steffen.
Kommentar
Intransparente Preistricks des Online-Handels sind lästig. Das eigentlich entspannte Shoppen vom Sofa aus wird unnötig schwer. Denn die Händler bieten nur eine Momentaufnahme, der Kunde kann sich auf sie nicht verlassen, er verliert das Vertrauen.
Selbst wenn ich als Kunde weiß, was ich wo kaufen will, wird die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt zum Glücksspiel. Zwar gibt etwa der Preisbeobachtungsdienst Spottster Tipps für Verbraucher: Elektronikhändler sind mittwochs am günstigsten, Möbel und Einrichtungsgegenstände am Dienstag und Mittwoch, Schuhe am Donnerstag, Beautyprodukte freitags, so Gründerin Freya Oehle in einem Interview mit brandeins. Doch ein kluger Algorithmus ist nicht dauerhaft vorhersehbar, sondern passt sich an.
Dem Verbraucher hilft nur eines: Selbstschutz. Preise vergleichen, zu verschiedenen Tageszeiten, über einen längeren Zeitraum hinweg und über verschiedene Endgeräte. Ein Aufwand, der nicht sein muss.