
Bielefeld. Im Schlaf- oder Liegewagen über Nacht die Metropolen Europas bereisen, das könnte schon bald ein Teil der deutschen Eisenbahngeschichte sein.
Im Dezember will sich die Deutsche Bahn von allen Nachtzügen trennen und das Angebot an ausländische Partnerbahnen abgeben. Doch viele europäische Eisenbahnunternehmen haben gar kein Interesse daran. So droht dem Nachtzug durch Gütersloh und Bielefeld wohl mit dem Fahrplanwechsel im Dezember das Aus. Aktuell verkehrt der als City Night Line bezeichnete Zug jede Nacht um 1:12 Uhr ab Gütersloh und 1:24 Uhr ab Bielefeld nach Warschau und Prag über Berlin – in den frühen Morgenstunden wieder zurück.
Naheliegend, dass die polnische Eisenbahngesellschaft Polskie Koleje Panstwowe (PKP) oder die tschechische Bahn ºeské dráhy (ºD) den Zug weiterführen. Beide Unternehmen sind schon heute ab der Landesgrenze für den Zug verantwortlich. Anna Zakrzewska von der PKP erteilt dieser Hoffnung eine Absage: „Wir werden den Nachtzug im Dezember einstellen."
Etwas hoffnungsvoller klingt die Antwort der ºD: „Für uns ist es zu kompliziert und nicht wirtschaftlich, einen Nachtzug über Tschechien hinaus allein zu betreiben." Aber: Man halte am Nachtzugverkehr fest und verhandle mit der österreichischen Bundesbahn (ÖBB) über die Weiterführung. Im Gespräch seien außerdem neue Nachtzugverbindungen – allerdings nicht durch Deutschland. Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht das Problem des deutschen Nachtzugverkehrs im alten Wagenpark. „Die Nachtzüge der DB waren und sind voll. Die Deutsche Bahn hat kein Problem mit den Fahrgästen, sondern eins mit den Kosten", sagt der Pro Bahn Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann.
Ein Stichprobe der Redaktion stützt diese These: Wer aktuell versucht, ein Schlafwagenticket von Bielefeld nach Berlin zu lösen, muss frühzeitig buchen – die meisten Plätze sind schnell ausgebucht. Pro Bahn erklärt, die Bahn sei nicht bereit, in neues Wagenmaterial zu investieren. Die Liegewagen stammen aus den 80er Jahren. Nachts fahren will die Bahn weiterhin, aber nicht mit Schlaf- und Liegewagen, sondern nur mit gewöhnlichen ICE-Sitzwagen und Fernbussen.
Pro Bahn sieht einen wesentlichen Stolperstein in der Politik: So werden für grenzüberschreitende Fahrkarten in Deutschland die volle Mehrwert- und Stromsteuer fällig. Airlines als direkte Konkurrenten des Zugverkehr müssen hingegen für grenzüberschreitende Flüge weder Mehrwertsteuer noch Kerosinsteuer zahlen.
Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Bahn bereits den Nachtzug nach Kopenhagen eingestellt und den City Night Line nach Amsterdam bis Köln verkürzt. An beiden Linien war auch die tschechische Bahngesellschaft beteiligt. Die frei werdenden Wagen fahren heute zwischen Tschechien und der Slowakei. Wie wirtschaftlich diese Nachtzüge sind, dazu will sich die ºD sich nicht äußern, weil zwei Mitbewerber in der gleichen Region fahren.
Grundsätzliches Interesse an einer Weiterführung deutscher Nachtzüge hat bislang nur die ÖBB geäußert. Auf der Bilanzpressekonferenz sagte ÖBB-Vorstandschef Christian Kern: „Wir glauben, dass das ein attraktives Geschäft ist." Die Fahrgastzahlen seien im Vorjahr um vier Prozent gestiegen.
Aktuell kaufe die ÖBB neue Schlaf- und Liegewagen für 230 Millionen Euro, um den Nachtzugverkehr auszubauen – insbesondere zwischen Österreich und Italien. Die ÖBB betreibt auch Nachtzüge von Hamburg und Düsseldorf über Nürnberg nach Wien.
Zur Zukunft des Nachtzugverkehrs in Deutschland wollten sich weder DB noch ÖBB mit Hinweis auf laufende Verhandlungen gegenüber dieser Zeitung äußern. Aus Insiderkreisen heißt es aber, es seien Schienentrassen für Nachtzüge nach Hamburg, Berlin, Düsseldorf und München angemeldet worden – allerdings nicht für die Strecke von Ostwestfalen nach Osteuropa.
Nachtzüge in anderen Ländern
- Die russische Staatsbahn setzt auf ihrer Nachtzugverbindung von Moskau über Erfurt und Berlin nach Paris ab dem Spätsommer modernere Schlafwagen ein.
- In den Sommermonaten betreibt Georg Verkehrsorganisation den Berlin-Night-Express zwischen Berlin und Malmö.
- Zwischen London und Schottland verkehrt der sogenannte „Caledonian Sleeper" – seit 1. April 2015 mit 72 neuen Wagen.
- Innerhalb von Russland, Norwegen und Schweden sind Nachtreisezüge wegen der Größe dieser Länder ein wichtiges gern genutztes Verkehrsmittel