Jugend in der Pandemie

Auslandsaufenthalt trotz Corona?

Die Corona-Pandemie zehrt an den Kräften – auch oder vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hier und da gewöhnt man sich zwar an die Maßnahmen, doch können Sorgen durch die Krise noch verstärkt werden. Das muss nicht sein.

Probleme auch in jungen Jahren: Psychische Probleme sind keine Seltenheit. Darüber zu sprechen hilft, dass sie im Erwachsenenalter nicht zum manifestierten Problem werden. Ein Tabuthema sollte es auf jeden Fall nicht sein.  | © istock

28.10.2020 | 29.10.2020, 16:35

Maike hat sich nach ihrem Abitur auf Reisen begeben. Ein Jahr lang hat sie die Welt erkundet, war in Neuseeland, in Australien und Südostasien. Sie ist wiederkommen mit etwas Wehmut, aber auch mit großer Vorfreude auf ihr beginnendes Studium …

Vor einem, zwei, drei oder mehr Jahren wäre das eine realistische Geschichte. Doch 2020? Da gibt es wohl kaum viele Maikes, die diesen Plan in die Tat umsetzen. Da gibt es auch keine Abifeiern, da gibt es nur reduzierte oder gar keine Ferienangebote für Kinder und Jugendliche und da gibt es nicht einmal dauerhaften Präsenzunterricht an Schulen oder Betreuung in Kitas.

Wenig Ferien- und Freizeitangebote während Corona

Das alles kann Stress verursachen und ohnehin vorhandene Sorgen und Ängste verstärken. Und die sind da, unabhängig von der Altersgruppe. Auch bei den ganz Kleinen. Nur, zu oft redet niemand darüber. Schon gar nicht mit einem Psychologen oder einer Psychologin, oder? Dabei ist eine psychologische Beratung oder gar Therapie kein Tabuthema. Sollte es zumindest nicht sein. Sie kann dabei unterstützen, dass sich Krankheits- und Störungsbilder nicht manifestieren. „Wenn ich Zahnschmerzen habe, gehe ich zum Zahnarzt. Und wenn man psychische Probleme hat, dann geht man eben zu einem anderen Arzt. In der Regel gehen Ängste oder Depressionen nicht von alleine weg", sagt Kerstin Bosse aus Bielefeld. Sie ist Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. In ihrer Praxis hat sie Kontakt mit 2- bis 21-jährigen Menschen. „Ich erlebe da in den vergangenen Jahren schon eine deutliche Veränderung", sagt Bosse in Hinblick auf die höhere Akzeptanz von Psychotherapien. Selbst Freunde von jungen Patienten seien von diesen positiv beeinflusst worden und hätten schon bei ihr Hilfe gesucht. Wichtig sei oft auch, was Eltern vorleben. Selten, sagt Bosse, gebe es Fälle, in denen die Patientinnen und Patienten das Thema nicht gern mit anderen teilen. „Gerade sozial ängstlichen Personen ist so etwas dann oft peinlich, aber auch weil ihnen vieles anderes auch sehr unangenehm ist", sagt sie.

Doch wie geht man beispielsweise mit Ängsten um? Bosse sieht hier die Konfrontation als Mittel der Wahl. Das könne mit einer Desensibilisierung beginnen: In einer Art Hierarchie wird geschaut, was am meisten und was eher weniger Angst bereitet. „Dann würden wir uns den unteren Bereich angucken, was sich Patienten vielleicht zutrauen mögen, und da fängt man an, erste kleine Erfolgserlebnisse zu sammeln. Das kann man erstmal auch gedanklich machen oder hier im Rollenspiel und irgendwann geht es sozusagen in die Realität." Allein „nein" zu sagen, falle vielen Jugendlichen schwer. Das traue man sich am ehesten mal bei einem Freund oder einer Freundin, wenn man sagt, ,Nein, heute kann ich nicht, weil ich lieber mein Buch lesen möchte‘, nennt Bosse ein simples Beispiel. „Man sucht sich eine leichte Situation heraus und nähert sich so an. Auf die kleinen Erfolge kann man dann aufbauen", erklärt sie.

Soziale Kontakte während des Lockdowns

Kommen Jugendliche oder Eltern mit ihren Kindern, dann wird in ein paar Probestunden zunächst geschaut, ob die Lage therapiebedürftig ist. „Meistens ist das der Fall, manchmal sind aber auch andere Beratungsstellen ausreichend." Je kleiner die Kinder, desto eher riefen die Eltern an – manchmal im Auftrag von Erziehungsberatungsstellen, Kindergärten oder Schulen. Auch begleiten Eltern ihre Kinder je jünger diese sind. „Die Therapie ist aber natürlich für die Kinder." Hochgerechnet gebe es für jede vierte Stunde noch ein Gespräch mit der Bezugsperson. Dass selbst Kinder ab dem zweiten Lebensjahr den Weg mit ihren Eltern in die Praxis finden, ist dabei nicht ungewöhnlich. „Es kann sein, dass auch sie sehr ängstlich sind, dass sie viel weinen, nachts nicht schlafen, nicht reden. Das kann psychologische Gründe haben und mit Ängsten zusammenhängen. Es ist wichtig, früh einzugreifen, damit sich das nicht manifestiert und im Erwachsenenalter zum Problem wird."

Bei Jugendlichen stellt sich die Situation oft anders dar. „Da kommt es durchaus vor, dass sie sich auch von alleine melden. Manchmal wollen sie gar nicht, dass die Eltern einbezogen werden. Ab 15 Jahre können Jugendliche je nach Reife und Einsichtsfähigkeit den Antrag auf Psychotherapie bei der gesetzlichen Krankenkasse alleine unterschreiben", erklärt Bosse.

Während der Corona-Pandemie waren und sind die Sitzungen ein wichtiger Bezugspunkt für die Kinder und Jugendlichen. Geschlossen war die Praxis gar nicht. „Viele waren froh, dass sie kommen konnten. Lange Zeit war ja kaum Kontakt zu anderen möglich. Kleinere Kinder beispielsweise hatten überhaupt keine Spielpartner. Für manche war gerade die Zeit des Lockdowns sehr schlimm", sagt Bosse. Sind Patientinnen und Patienten nicht gekommen, dann hat das laut der Psychologin vor allem an der Angst gelegen, sich bei der Anfahrt in Bus oder Bahn anzustecken.

Hilfsangebote zur Überbrückung der Corona-Krise

Einen Anstieg an Anfragen, der sich aus der Pandemie begründet, hat Bosse aber nicht erlebt. „Vorrangig wird das nicht genannt, wenn die Leute sich hier melden. Während der Gespräche merkt man allerdings schon, dass das durchaus ein Faktor ist", sagt Bosse. Insbesondere sozial unsichere Jugendliche haben mehr Schwierigkeiten damit umzugehen, meint sie. Viele können nicht dem nachgehen, was sonst Freude macht. Große Treffen sind kaum möglich, Reisen ist schwierig und in der Schule haben manche vielleicht ohnehin Probleme und haben durch das teilweise veränderte Lehr- und Lernverhalten Angst vor den negativen Auswirkungen. „Auf all das setzt sich Corona sozusagen oben drauf."

Die Corona-Zeit erfordert eine neue Form der Anpassung. Für alle. „Da staut sich auch Frust auf und auch Jugendliche können hier lernen damit umzugehen und sich zu fragen, ‚was kann ich denn stattdessen machen? Welche Alternativen gibt es?‘" Bosse versucht, das Positive in den Vordergrund zu stellen, auch wenn Corona die Symptome verstärken kann. „Wir können es aber alle nicht ändern und es hilft auch nicht, dann noch in die Symptomatik hineinzugehen. Im Gegenteil, ich finde, es kann auch eine neue Kraftquelle sein für Neues."

Denn gerade für den Herbst und Winter, die kalten und dunklen Tage benötigt man gute Kraftreserven. Im Herbst steigt die Zahl der Anfragen für eine Therapie stets, meint Bosse. Das hänge zum einen mit der dunkleren Jahreszeit zusammen und auch mit neuen Herausforderungen, denen sich beispielsweise Schülerinnen und Schüler stellen müssen. „Die Sommerferien waren meist schön, man hat die Zeit genossen. Doch dann stehen schon bald wieder Prüfungen an, die Anforderungen steigen und es prasselt mehr auf einen ein. Da steht das Telefon kaum still." Hilfe anzunehmen, fällt nicht immer leicht. Die Offenheit dafür scheint aber gestiegen. Ein Tabuthema? Ein Zeichen der Schwäche? Nein, das ist es nicht.