
Vorbereitet war Reinhard Maas mit seinem Handel von Natur-Mode nicht auf die Corona-Krise. Aber wer war das auch schon? „Das waren aufregende Wochen", sagt er rückblickend. „Als wir unsere Läden schließen mussten, wussten wir zunächst nicht, wie es weitergeht." Zu sehr sind die Menschen im März damit beschäftigt, Toilettenpapier, Mehl und Hefe zu hamstern. Mode, auch wenn sie nachhaltig und fair produziert ist, wollen sie erst einmal nicht kaufen, auch online nicht. Folge: Beim Naturtextilhändler Maas Natur brechen die Umsätze ein.
Umsatzsteigerung mit Online-Handel
Trotzdem kann Reinhard Maas mittlerweile positiv zurückblicken. „Wir sind sehr glücklich, dass wir so gut durch die Zeit gekommen sind." Auch dank des neuen Sommerkatalogs, der am 1. April erschienen ist. „Wir haben lange überlegt, ob wir die Veröffentlichung verschieben sollen. Und ihn dann doch rausgeschickt." Mut, der sich bezahlt macht. Auf einmal bestellen die Kunden doch T-Shirts, Kleider und sommerliche Hosen. Maas macht im April ein Umsatzplus von 80 Prozent. Zusammen mit den Umsätzen im Mai können die Einbußen aus dem März wieder ausgeglichen werden. „Wir hatten sogar eine Umsatzsteigerung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum." So kann der Unternehmer das Kurzarbeitergeld seiner Verkäuferinnen auf 100 Prozent aufstocken. Und im Juli ist sogar eine Sonderausschüttung für alle Mitarbeiter drin, „weil die Zahlen passten".
Erfolg durch Multichannel-Ansatz
Erstaunliche wirtschaftliche Ergebnisse in Zeiten von Corona. „Das liegt sicherlich daran, dass wir schon seit langem mehrere Vertriebswege und vor allem seit 2003 unseren Onlineshop etabliert haben. Und wir haben unseren eigenen Versandhandel. Darauf konnten wir nun zurückgreifen."
Maas Natur ist über 35 Jahre hinweg stetig gewachsen. Immer im Sinne des Gemeinwohls und im Einklang mit Mensch und Natur. Trotzdem oder gerade deshalb macht das Unternehmen 2019 einen Umsatz von 20 Millionen Euro. Mittlerweile arbeiten 200 Mitarbeiter in elf Ladengeschäften sowie am Gütersloher Hauptsitz für das Familienunternehmen. Eine Erfolgsgeschichte, die vor mehr als drei Jahrzehnten so keineswegs absehbar war. Denn eigentlich ist Reinhard Maas Sozialpädagoge. Und seine Frau Gisela Kaufmann-Maas Sonderschullehrerin.
Selbständigkeit als Erfolgsgeschichte
Wie also entdecken zwei Pädagogen, dass in ihnen Unternehmerherzen schlagen? „Reine Selbsthilfe", antwortet Maas. 1985 kommt Sohn Philipp zur Welt. Die Eltern möchten ihn nicht in schadstoffbelastete Plastikwindeln wickeln. „Wir waren schon damals in der grünen Ecke unterwegs", sagt Maas und lächelt. Also suchen er und seine Frau nach wiederverwendbaren Windeln, die ökologisch produziert und chemikalienfrei sind – und finden sie in waschbaren Baumwollwindeln. Heute längst keine Seltenheit mehr, gibt es jedoch vor 35 Jahren in Gütersloh und Umgebung keinen einzigen Hersteller oder Händler. Aber in Süddeutschland. Dort vertreibt eine Firma das Gesuchte, allerdings nur an Gewerbetreibende. „Und wir hatten ja kein Gewerbe. Aber wie das so ist: Wenn man etwas will, bekommt man es auch", sagt Maas und zeigt schon damals seine Entschlossenheit, wenn es um Nachhaltigkeit geht.
Kurzerhand meldet das Ehepaar ein kleines Gewerbe an und bestellt für den Eigenbedarf sowie für Freunde. „Das nahm immer mehr zu, über Hebammen traten weitere Eltern an uns ran, wir verschickten bald die ersten Pakete", erinnert sich Maas. „Und dann kam der Punkt, an dem wir uns entscheiden mussten." Zwar ist es dem Paar damals zunächst zu risikoreich und teuer, einen Laden zu eröffnen. „Aber wir starteten mit einem Versand. Zu der Zeit sehr ungewöhnlich." Die Wickelkiste ist geboren – und damit unwissentlich der Grundstein für ein erfolgreiches Unternehmen gelegt.
Maas Natur: Sortiment im Onlineshop wächst
Die Nachfrage steigt, der Katalog, anfänglich ein auf der Schreibmaschine getippter und in der Uni Bielefeld kopierter 16-Seiter, wird dicker. „Unser Sortiment wuchs gemeinsam mit unserem Sohn." Das Ehepaar nimmt erst nachhaltig gefertigte Baby- und Kindermode mit auf, dann folgt Naturmode für Erwachsene. Und 1999 baut es an der Werner-von-Siemens-Straße in Gütersloh-Isselhorst neu. Bis heute ist in dem rotgeklinkerten Gebäude auf der Ecke zur Osnabrücker Landstraße der Hauptsitz des Unternehmens untergebracht. Alles unter einem Dach: Laden, Lager, Büros und Callcenter. „Wir führen einen kompletten Versandhandel", sagt Maas. „So haben wir schon früh die richtigen Weichen gestellt."
Online-Shop in Bielefeld: Maas Natur Mode boomt
„Maas-Mode gibt es nur bei uns – nicht woanders", betont Reinhard Maas. Nicht in anderen Modeläden, nicht auf Onlinemarktplätzen. Eine bewusste Entscheidung, erklärt er. „Davor würde es mir grauen. Mein Freiheitsdrang ist zu groß, ich möchte mich von den großen Händlern nicht abhängig machen." Die Freiheiten, die ein inhabergeführtes Familienunternehmen bietet, nutzen Reinhard Maas und seine Frau von Anfang an, um ganz im Sinne der Nachhaltigkeit zu handeln und zu wirtschaften. In Maas-Mode werden nur Materialien von artgerecht gehaltenen Tieren und Naturfasern verarbeitet, die einen ökologischen Ursprung haben und nicht schadstoffbelastet sind. „Kleine Ausnahme: Bei Wäsche und Socken, die Form brauchen, verwenden wir jeweils zwei bis drei Prozent Elasthan."
Ganz im Sinne der Unternehmensphilosophie – „Der Natur verpflichtet, offen für Neues" – verfolgt das Ehepaar einen ganzheitlichen Ansatz. Wichtig sind nicht nur die Materialien, sondern auch die Arbeitsbedingungen. „Wir schauen ganz genau, wo die Waren herkommen und wie sie gefertigt wurden." Die Kunden schätzen das, sagt Reinhard Maas. Immer mehr Verbrauchern sei diese Transparenz wichtig, besonders seit der Katastrophe in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im April 2013. „Es gibt eine andere Sensibilität, ein Umdenken findet statt", beobachtet Maas.
Dazu gehört auch, dass die Kunden immer mehr Interesse an langlebiger Mode haben. Mit nur zwei Kollektionen im Jahr steuert Maas bewusst der Fast Fashion entgegen. Größtenteils werden sie von den vier unternehmenseigenen Designerinnen entworfen, darunter ist Maas Tochter Nora. Nachhaltig ist auch der plastikfreie Versand. Oder dass die Label nicht an Bändchen aus Kunstfasern, sondern an einem Baumwollfaden hängen. Oder dass vier E-Autos auf dem Betriebshof parken.
Wenn Reinhard Maas von all diesen Ideen für ein möglichst nachhaltiges Unternehmen erzählt, ist sein Stolz herauszuhören. So manche Herausforderung hat er schon gemeistert, die Corona-Krise ist eine davon. „Angst darf man nicht haben." 70 Prozent der Käufe wickelt Maas Natur derzeit über den Onlineshop ab. Aber auch in den Läden kaufen die Kunden trotz Maskenpflicht gerne ein. „Sie halten sich zwar nicht so lange auf, aber sie kaufen." Gerade ist der Herbstkatalog erschienen. „Ich bin sehr optimistisch, dass es für uns weitergeht."