Es war einmal – so fangen Märchen an. Und es wäre märchenhaft schön, wenn auch diese Geschichte mit „Es war einmal" anfangen könnte. Aber es muss leider heißen: „Es ist schon wieder". Es ist nämlich schon wieder massive Corona-Zeit in Gütersloh, obwohl es ja so aussah, als würde alles besser. Darum sollte diese Geschichte eigentlich erzählen, wie mir die Eisdiele in meiner Nähe den ersten Lockdown im Frühjahr versüßt hat. Stattdessen muss ich jetzt ergänzen, dass ich die Eiskreateure genau am 17. Juni 2020 in die Pflicht genommen habe, mir auch Teil zwei dieser noch immer unwirklich scheinenden Zeit zu verschönern. Es heißt nun also wieder mal: mit Eis durch die Krise.
GUTES WETTER UND WECHSELNDE SORTEN
Warum aber ausgerechnet mit Eis? Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass der Beginn der Corona-Pandemie in der Region mit dem Beginn der Gute-Wetter-Zeit zusammentraf. Das erste Eis des Jahres ist immer etwas besonderes – und es fiel in diesem Jahr erstmal aus. Wegen Corona mussten die Läden schließen. Allerdings las ich eines morgens in meinem bevorzugten Social-Media-Kanal, dass die Eisdiele um die Ecke – die, bei der das Eis selbst hergestellt wird, bei der es nur wenige Sorten gibt, die dann auch noch regelmäßig wechseln – sich mit dem Ordnungsamt darauf verständigt hatte, öffnen zu dürfen. Alles natürlich unter den vorgegebenen Bedingungen: Abstand, Schutzmaske und noch mal Abstand. Aber das war mir alles egal, schließlich kam ich so dann doch noch zu meinem ersten Eis. Schokolade. Eine riesengroße Kugel, die ihren Preis schon alleine wegen dieser Größe Wert ist. Apropos Preis: Die Mehrwertsteuersenkung wird sich hier wohl nicht so sehr bemerkbar machen. Das macht aber auch nichts, so viel Eis könnte ich wahrscheinlich nicht mal in zehn Jahren essen, dass sich das rechnen würde. Das funktioniert in anderen Bereichen besser. Ich brauche aber gerade verstärkt Eis für die gute Laune.
EIS MACHT SO GLÜCKLICH WIE EIN LOTTOGEWINN
Forscher des Psychiatrischen Instituts in London haben übrigens herausgefunden, dass Eis tatsächlich glücklich machen kann: Sie haben Eisessern mit bildgebenden Verfahren beim Genießen ins Gehirn geschaut und festgestellt, dass dabei dieselben Bereiche aktiviert werden, als wenn man seine Lieblingsmusik hört oder im Lotto gewinnt. Im Fall von Eis wird diese Aktivität durch die positiven Empfindungen im Zusammenspiel von Temperatur, Cremigkeit und Süße ausgelöst, so die Forscher. Mein Glücksempfinden beim Eisessen rührt also vermutlich daher, dass mein Gehirn zumindest in dieser Angelegenheit vollständig normal funktioniert.
Ich stand da also Anfang April mit meiner ersten Kugel Eis in der Waffel, leckte – und setzte mich mit einem gedehnten „mmmmmmmmh" auf eine der Bänke auf dem Platz vor der Eisdiele. So weit weg vom Laden wie möglich, weil man das dort gekaufte Eis zu dieser Zeit nicht mehr direkt davor verzehren durfte. Alles nicht so einfach. Aber trotzdem: Genau in diesem Moment war die Welt, die mich wegen Corona kurzzeitig verunsichert hatte, wieder in Ordnung. Um mich herum saßen – mit viel Abstand – Gleichgesinnte mit ähnlich verzücktem Gesichtsausdruck. Ich war plötzlich nicht mehr alleine in meiner aufgezwungenen Pandemie-Situation, die Menschen um mich herum unterhielten sich, Hunde flitzen über die Wiese, Kinder lachten. Ich hatte mein Gefühl der Normalität wieder. Die kühle Kugel wurde zum alle-paar-Tage-Ritual. Und alle paar Tage wuchs das Gefühl, dass jede Krise irgendwann mal vorbei ist. Auch diese.
ES FÜHLTE SICH FAST AN WIE NORMALITÄT
Auch jetzt, im (kleinen) Lockdown Nummer zwei, ist es wieder das Eis, das die Stimmung hebt. Ich habe in der Zwischenzeit sogar zufällig irgendwo eine Charakterstudie über Eissorten, ihre Esser und die Art, wie sie genießen, gelesen – so dass ich nun einen ganz anderen Blick auf die Menschen um mich herum habe. Demnach sollen Löffler sehr auf Ordnung und feste Regeln bedacht sein, Beißer schnell zum Genuss wollen und Lecker ihre Impulse so gut unter Kontrolle haben, dass sie sich dadurch dauerhafteren Genuss verschaffen können. Schokoladeneis-Esser sollen optimistisch und leidenschaftlich sein, Zitronen-Liebhaber unternehmungslustig und humorvoll, Vanille-Fans bodenständig und verständnisvoll, Erdbeer-Esser begeisterungsfähig und temperamentvoll und Nuss-Fans Familienmenschen. Daraus ergeben sich allerlei Kombinationen: Der unternehmungslustige Schnellgenießer zum Beispiel ist der Erdbeereis-Beißer. Der Vanille-Löffler ist an Bodenständigkeit und Ordnungssinn wohl nicht zu überbieten. Der leckende Schoko-Fan hat es so richtig raus. Er ist leidenschaftlich, gut gelaunt und weiß den Genuss so lange wie möglich durchzuziehen.
Aber da geht noch mehr. Und ich werde es herausfinden. Gerne auch ohne Lockdown – das sei nur mal so gesagt, falls irgendjemand vorhaben sollte, die Pandemie-Regeln zu unterwandern oder so auszulegen, wie es ihm selbst am besten passt und es deswegen eine dritte Welle geben wird.
Denn dann könnte es wohl passieren, dass ich meine schokoladig gute Laune sehr schnell verliere.