Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben", heißt es unter Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention. 1989, nach zehnjähriger Arbeit der Vertreterinnen und Vertreter der Vereinten Nationen, wurde das Regelwerk zum Schutz der Kinder weltweit beschlossen. Artikel 31 klingt, wie viele andere in der Charta verankerte Rechte, ziemlich selbstverständlich. Ist es aber, wie viele andere Rechte auch, nicht immer. Die Corona-Zeit und zurückliegende Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen haben nicht nur den Alltag der Erwachsenen stark verändert. Auch Kinder und Jugendliche mussten sich einem harten Einschnitt und einer großen Umstellung stellen: Unterricht zu Hause, Freunde konnten sie nur sehr eingeschränkt treffen und/oder nur über digitale Wege erreichen, Sport in Vereinen und sonstigen Gruppenaktivitäten konnten sie gar nicht mehr nachgehen.
UNSICHERHEIT UND FRUST
Mit den Problemen der Corona-Krise hatte und hat auch das Bezirksjugendwerk der AWO OWL zu kämpfen. „Wir mussten zu Beginn des Lockdowns sämtliche Projekte und Angebote wie Ferienfreizeiten und -betreuung abbrechen beziehungsweise absagen", sagt Bildungsreferentin Anna-Lena Friebe. Dennoch wurde versucht, miteinander in Kontakt zu bleiben, sowohl im hauptamtlichen Team, das sofort ins Homeoffice umzog, als auch mit den ehrenamtlich Aktiven und den Kindern und Jugendlichen, die sonst die Angebote des Jugendwerks nutzen und mitgestalten. Zwar wurden digitale Angebote wie Spieleabende, Fotoreisen, politische Workshops und Webinare etwa zu Diskriminierungserfahrungen geschaffen. Aber „auf Dauer ist das natürlich kein Ersatz", sagt Friebe. Was zu Beginn noch verhältnismäßig gut angenommen wurde, sei nach den Lockerungen weniger geworden. Verständlich. Friebe hat bei den Kindern und Jugendlichen viel Unsicherheit und auch Frust gespürt. Anstehende Schulwechsel, Prüfungen, kaum Kontakt zu Gleichaltrigen, das geht auch an jungen Menschen nicht spurlos vorbei.
„Klar, manches klappt gut, manches nicht. Aber wir konnten viele Dinge einfach schnell ausprobieren", sagt Friebe in Bezug auf die digitalen Neuerungen. Für die Zukunft seien Vorstandssitzungen über Videotelefonie sicher eine Option. Zudem wurden die Social-Media-Aktivitäten zuletzt erhöht und auch ein Podcast – bislang zwei Folgen – ist entstanden, in dem zunächst über die aktuelle Lage beim Jugendwerk in der Corona-Zeit informiert und über die Jugendverbandsarbeit und deren Bedeutung im Allgemeinen gesprochen wurde.
EHRENAMT BEDEUTET BEZIEHUNGSARBEIT
Doch zeigt diese Zeit, so Friebe, eben auch viele Probleme und Gefahren auf. Neben den ohnehin erst einmal zu verarbeitenden neuen Strukturen etwa im Schulalltag bei eventuell gleichzeitig fehlender häuslicher Unterstützung, sei oft auch die Infrastruktur nicht gegeben. Technische Geräte, die ein digitales Miteinander ermöglichen, sind in vielen Haushalten kein Standard. „Da fallen Leute natürlich durchs Raster und gerade die Jüngeren erreicht man da eigentlich nicht", sagt Friebe. Sie sieht auch die Gefahr, dass Ehrenamtliche, die sonst aktiv in Gruppen arbeiten, Spiele- oder bildungspolitische Angebote schaffen, sich in dieser Zeit zurückziehen könnten. „Ehrenamt bedeutet auch immer viel Beziehungsarbeit und persönlichen Kontakt. Wenn man merkt, dass es derzeit irgendwie keinen Mehrwert hat und es online nicht so fruchtbar ist, dann ist das natürlich ein Risiko."
MEHR ALS WAHRGENOMMEN
Angebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen und ihnen auch den Raum zur Gestaltung und Entfaltung zu bieten, ist wichtig. Das hat sich in der Corona-Zeit gezeigt, in der viel über das familiäre Miteinander und Home-Office nebst Kinderbetreuung berichtet wurde. Das Augenmerk sei vor allem auf den Kindergarten und Schulkontext gerichtet worden, sagt Friebe. „Was die Kinder persönlich im Alltag betrifft, das wurde eigentlich kaum wahrgenommen." Jugendwerks-Geschäftsführerin Lena Börner fügt an: „In der öffentlichen Wahrnehmung werden Kinder und Jugendliche eher als Infektionsherd gesehen. Man muss aber auch sehen, was sie emotional brauchen. Kitas und Schulen sind ja nicht nur reine Aufbewahrungsorte."
BETREUUNGSBEDARF IST EXTREM HOCH
Nachdem also seit Anfang Mai Jugendarbeit wieder offiziell erlaubt ist, haben sich Börner, Friebe und Co. sofort an neue Ideen gemacht. „Da hieß es dann: ,Wir müssen sofort wieder was anbieten, gerade weil wir vorher eben alles abgesagt hatten", so Börner. Dass der Bedarf an Betreuungsangeboten so groß ist, zeigt sich in der Tatsache, dass dafür auch Anfragen aus Berlin und sogar Paris beim Jugendwerk eingetrudelt sind. Mittlerweile wurde für die Sommerferien an einem Alternativprogramm gearbeitet. So wird in den Sommerferien in Schötmar, einem Ortsteil von Bad Salzuflen, vier Wochen am Stück eine fünftägige Freizeit angeboten – inklusive Übernachtung. Die Altersgruppen sind aufgeteilt von 10 bis 13, 12 bis 15 und 14 bis 17 Jahre. Die Gruppengröße ist auf zwölf begrenzt zuzüglich drei Teamer und Teamerinnen. „So sind die lokalen und örtlichen Bestimmungen gut umzusetzen. Wir gehen da schon verantwortungsvoll mit um, denn am Ende haften wir. Wir wollen unserer Verantwortung und unserem Anspruch gerecht werden, solche Freizeiten anzubieten, weil der Bedarf eben so hoch ist", sagt Anna-Lena Friebe. Börner fügt hinzu: „Der Druck auf die Familien ist durch verschiedene Szenarien hoch. Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, für sich Entspannung zu finden und Erfahrungen zu machen, ohne dass Eltern dabei sind." Dabei „hängen" die Teilnehmer nicht nur ab, so Börner. „Es ist wichtig, dass solche Freizeiten pädagogisch sinnvoll sind und vielleicht auch die Möglichkeit bieten, sich auf einer politischen Ebene auseinanderzusetzen und selbst mitzugestalten."
JUNG IN DIE VERANTWORTUNG
So geschehen auch in Versmold, wo eine Gruppe von Kindern im Alter von 9 bis 17 Jahre einen Bauwagen zu einem Freizeit-Treffpunkt umgestaltet. Den Anstoß dazu gab Anna-Lena Friebe, „aber die Ideen und Ausgestaltung kommen von den Kindern". Etwas wütend blickt sie hingegen in den Kreis Gütersloh, wo nun eigentlich zwei neue Angebote hätten anlaufen sollen, unter anderem ein politisches Sommercamp. Doch nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies wurden diese wieder abgesagt. „Da auch die Kitas und Schulen wieder schließen mussten, war das das K.O.-Kriterium für die außerschulische Arbeit", bedauert sie.
An der Ausrichtung für die Zukunft wird das nichts ändern. Börner betont die Wichtigkeit von Kinder- und Jugendverbänden. In der Arbeit, die eben auch von jungen Menschen geleistet wird – der Vorstand besteht aus Personen zwischen 16 und 29 Jahren –, gehe es auch darum, dass junge Menschen „zu eigenständig denkenden Persönlichkeiten werden, die sich für Demokratie einsetzen und was verändern wollen. Das möchten wir vermitteln". Das gilt nicht nur jetzt, sondern wird auch in Zukunft wichtig sein.