Kaum etwas tröstet so sehr wie eine Umarmung, nichts ermuntert mehr als ein Schulterklopfen. Denn Berührungen sind für uns Menschen fast so wichtig wie die Luft zum Atmen. Vielen Menschen fehlt gerade diese körperliche Nähe. Im Interview gibt die Expertin Julia Scharnhorst Tipps, wie wir uns Ersatz schaffen.
Warum tun uns Berührungen so gut, Frau Scharnhorst?
Julia Scharnhorst: Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen und zum sozialen Kontakt gehören Berührungen. Man kann sagen: Berührungen sind für uns Menschen ein biologisches Grundbedürfnis. Werden wir berührt, wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Das sogenannte „Kuschelhormon" erzeugt das Gefühl von Geborgenheit und Zufriedenheit. Stress und Angst werden reduziert. Streicheleinheiten sorgen aber auch dafür, dass der Stoff Serotonin zum Einsatz kommt. Er sorgt im Gehirn für das, was wir als Glücksgefühl kennen. Daher wird es auch Glückshormon genannt.

Können Berührungen heilen?
Scharnhorst: Berührungen können eine Menge bewirken, aber keine Krankheit heilen. Corona können wir also nicht wegkuscheln. Wer sich beim Handauflegen entspannt, tut seinem Körper damit aber sicher nichts Schlechtes. Genau wie Massagen und Umarmungen kann es unterstützend und vorbeugend wirken. Denn Berührungen stärken unser Immunsystem. Wir sind insgesamt gesünder, wenn wir zum Beispiel schmusen.
Wie bedeutend sind leichte Berührungen im Alltag?
Scharnhorst: Es kommt darauf an, mit welchem Hintergrund solche Berührungen stattfinden. Es gibt nämlich auch Körperkontakt, den wir als unangenehm empfinden – zum Beispiel wenn der Chef andauernd seine Hand auf unsere Schulter legt. Dann gibt es noch Körperbereiche, die nicht jeder anfassen darf, wie etwa der Bauch. Dass uns jemand die Hand auf den Bauch legt, erlauben wir meistens nur dem Partner, den eigenen Kinder und Eltern. Umarmen wir aber einen guten Freund, der uns zufällig über den Weg läuft, reicht das aus, um Gefühle wie Dankbarkeit, Zuneigung und Ermutigung zu vermitteln.
Was passiert, wenn man nicht berührt wird?
Scharnhorst: Ein gesunder Mensch muss sich in Zeiten von Corona keine Sorgen um seine psychische Gesundheit wegen eines Mangels an Berührung machen. Psychisch erkrankte oder demente Menschen, die allein mit Worten nicht mehr erreicht werden, leiden aber jetzt besonders. Generell ist es jetzt wichtig, dass wir uns regelmäßig mit nahestehenden Menschen austauschen. Das stabilisiert die psychische Gesundheit. Fühlt man sich sehr einsam, muss man sich Kuschelersatz schaffen, indem man es sich zum Beispiel mit einem Kuscheltier oder einer Kuscheldecke auf dem Sofa gemütlich macht. Ein Kleidungsstück von einem Menschen den man liebt hilft, etwas Nähe zu spüren. Auch eine warme Badewanne kann helfen.
Inwiefern sind „echte" Begegnungen bedeutungsvoll?
Scharnhorst: Es gibt gesellige Menschen, die gerne rund um die Uhr von anderen Menschen umgeben sind. Es gibt aber auch Menschen, die sind gerne mal alleine. Die kommen mit der aktuellen Situation wahrscheinlich etwas besser klar, als die geselligen Menschen. Doch egal welcher Charaktertyp, irgendwann reicht es nicht mehr, sich allein vom Fernseh-Programm berieseln zu lassen. Wir Menschen brauchen den aktiven Austausch, denn dieser gibt uns Stabilität im Leben. Und gerade jetzt in Zeiten von Corona, fehlt uns Sicherheit.
Wie überstehen wir die Zeit der sozialen Distanz?
Scharnhorst: Menschen können die Isolation wesentlich besser überstehen, wenn sie es freiwillig machen. Wenn wir uns zum Beispiel bewusst sagen: „Ich will ein Stück dazu beitragen, dass die Gesellschaft möglichst gesund bleibt", ertragen wir die aktuelle Situation viel besser, als wenn wir uns gezwungen fühlen. Gehen wir also mit einer positiven Einstellung an die Sache heran, fällt es uns leichter.
Was können Berührungen und Begegnungen jetzt ersetzen?
Scharnhorst: Seelische Berührungen funktionieren auf Distanz, durch digitalen Kontakt zum Beispiel. Es ist wichtig, dass wir uns mit anderen Menschen aktiv austauschen, über Gefühle sprechen, unsere Zuneigung und Liebe bekunden. Das schafft Nähe. Dabei ist es wichtig, dies auf verschiedenen Kanälen zu tun. Im Video-Chat etwa kann ich sehen, wie mein Gegenüber reagiert, ich nehme Mimik wahr. Das sorgt für einen intensiveren Kontakt. Wir können auch Kontakt auf Distanz haben: Ich beobachte, wie Menschen über mehrere Grundstücke hinweg zusammen Sport treiben. Und vielleicht schließt man dabei sogar neue Freundschaften, zum Beispiel mit den Nachbarn. Bleiben solche Kontakte oder Aktionen auch noch nach der Corona-Krise erhalten, würden wir aus dem Ganzen auch noch etwas Positives mitnehmen.
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