Detmold

Große Emotionen nach dem Urteil im Auschwitz-Prozess

Vier Nebenkläger bedanken sich bei ihren Anwälten und den Richterinnen für die Worte der Wahrheit über das Konzentrationslager

Im Fokus der Medien: Der Angeklagte Reinhold Hanning und Andreas R. Scharmer, einer seiner beiden Verteidiger. | © Oliver Krato

18.06.2016 | 19.06.2016, 11:20

Detmold. Hedy Bohm kämpft mit den Tränen: "Ich hoffe, dass meine Eltern jetzt vielleicht in Frieden ruhen können." Sie spricht leise und betont in den voll mit Journalisten besetzten Saal, in den das Internationale Auschwitz Komitee zusammen mit den Nebenkläger-Anwälten Thomas Walther und Cornelius Nestler im Anschluss an das Detmolder Urteil eingeladen hat. Es ist einer der emotionalsten Momente des letzten Auschwitz-Prozesstages. Eine halbe Stunde zuvor hatte Richterin Anke Grudda das Urteil gegen den 94-jährigen ehemaligen SS-Wachmann Reinhold Hanning verkündet: Fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen im Konzentrationslager Auschwitz.

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Leon Schwarzbaum, der seine gesamte Familie in Auschwitz verlor, verliest vor den Journalisten einen persönlichen Brief, den er Reinhold Hanning übergeben hat: "Nicht die irdische, sondern die göttliche Gerichtsbarkeit wird Sie richten", habe er ihm geschrieben. Vor Gott werde er die Wahrheit sagen müssen, die er im Prozess verschwiegen habe.

"In diesem Prozess haben die Toten eine Stimme bekommen. Ich bin dankbar, dass endlich einmal jemand zur Rechenschaft gezogen wird. Damit habe ich nicht mehr gerechnet. Herr Hanning hat seine Strafe gekriegt", ist die zweite Überlebende Erna de Vries, an deren Seite ihre Enkelin sitzt, noch völlig überwältigt.

Auch Bill Glied kämpft mit seinen Gefühlen: "Ich habe immer gedacht, ich bin ein pragmatischer Mensch. Aber das alles hier heute von einem deutschen Gericht zu hören, hat mich fast zum Weinen gebracht. " In der Urteilsbegründung, so erläutert Glied, habe die Richterin die historische Wahrheit über Auschwitz genau benannt: "Ich danke Ihnen allen, dass sie mir helfen, ein Kapitel in der fürchterlichen Geschichte von Auschwitz zu schließen, auch wenn das Buch noch offen ist", wendet sich Bill Glied an die Anwälte Walther und Nestler, aber auch das Gericht und die Öffentlichkeit. Der Nebenkläger aus Toronto ist ebenso wie Hedy Bohm extra noch einmal aus Kanada angereist, um der Urteilsverkündung beizuwohnen.

Beide werden begleitet von Familienmitgliedern: Hedy Bohm von ihrer Tochter Vicky, Bill Glied von seiner Tochter Tamara, seine Enkelin Samantha und deren Verlobten Rafael. "Hier sitzen gleich mehrere Generationen am Tisch. Es sind wunderbare Menschen. Das ist der Sieg über den Vernichtungskrieg der Nazis", verdeutlicht Thomas Walther, der insgesamt 26 Nebenkläger im Prozess vertritt. Walther spricht von einem "historischen Tag": "Es war nicht zu spät, Gerechtigkeit für die Menschen, die ermordet wurden, zu erkämpfen", betont er. Der Vizepräsident des Auschwitz Komitees, Christoph Heubner betont, die Urteilsverkündung sei eine "ausgezeichnete Geschichtsstunde auch für junge Menschen" gewesen. Gerade heute sei die Frage aktueller denn je, was junge Menschen dem Hasse gegen Minderheiten entgegenzusetzen hätten.

Hedy Bohm ist immer noch überwältigt von den Worten der Richterin: "Ein Traum, den ich nie gewagt hätte zu träumen, ist in Erfüllung gegangen."