Detmold/Lage

Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen

NS-Zeit: NRW-Staatsanwälte ermitteln in 16 Fällen. In Lippe müssen sie weiter Geduld haben

Ein 93-jähriger Mann wird in 170.000 Fällen wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. | © DPA

Lothar Schmalen
27.09.2015 | 27.09.2015, 16:55

Detmold/Lage. Bereits im Februar hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen einen 93-jährigen Rentner aus Lage erhoben. Der nicht alltägliche strafrechtliche Vorwurf lautet: Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen. Der Mann soll als SS-Angehöriger Teil der Wachmannschaft der Lager Auschwitz I und II gewesen sein. Der Beschuldigte selbst bestreitet, an den Tötungen beteiligt gewesen zu sein.

Ob es tatsächlich ein Gerichtsverfahren gegen den alten Mann gibt, ist weiter unklar. Staatsanwaltschaft und das zuständige Landgericht Detmold warten immer noch auf ein Gutachten über den körperlichen und geistigen Zustand des 93-Jährigen. Die Verteidigung hatte beantragt, das Verfahren nicht zu eröffnen, weil der Rentner nicht verhandlungsfähig sei.

Zuletzt gab es im Auschwitz-Prozess in Lüneburg gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning mehrfach Probleme wegen der Gesundheit des Angeklagten. Er war wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt. Das Gericht hatte im Juli eine Haftstrafe von vier Jahren ausgesprochen. Vor Gericht hatte Gröning eine Mitschuld am Holocaust eingeräumt.

Drei Fälle beziehen sich auf Frankreich

Die NRW-Justiz ermittelt derzeit in 16 NS-Komplexen. Drei frische Ermittlungen beziehen sich auf Frankreich. Nachdem es in Köln im sogenannten Oradour-Verfahren (ein ehemaliger SS-Mann war wegen Mord und Beihilfe zum Mord bei einem Massaker an Zivilisten angeklagt) zu keiner Verurteilung kam, verfolgt die Schwerpunktstaatsanwaltschaft neue Ansätze. Es gibt noch andere Beschuldigte, in einem Fall ein Mann aus NRW.

Weitere Ermittlungen beziehen sich auf Italien. Es ist aber offen, ob es zu einem Massaker in Civitella zu Anklagen kommen wird. Im Gegensatz zu Massentötungen in Konzentrationslagern muss bei anderen Mordtaten eine direkte Beteiligung an Tötungshandlungen nachgewiesen werden.

Von den 16 Ermittlungskomplexen in NRW beziehen sich auch einige auf Ereignisse, bei denen es überhaupt noch keine Beschuldigten gibt. In diesen Komplexen müsse herausgefunden werden, ob heute noch Lebende an den Taten beteiligt waren.