
Essen. Als Luisa Neubauer ans Mikrophon tritt, ist es mucksmäuschenstill im Hauptsaal der Gruga-Halle. Mehr als 2.000 Aktionäre hören der 23-jährigen Göttinger Studentin, die viele als das Gesicht der deutschen "Fridays-for-Future"-Bewegung bezeichnen, zu. Und die junge Frau nimmt vor den Aktionäre des Energiekonzerns RWE kein Blatt vor den Mund. "Kein Konzern in Europa trägt mehr Verantwortung für den Klimawandel als RWE", sagt sie. Und dann direkt an die Aktionäre gerichtet: "Wie können Sie das weiter zulassen? Machen Sie was auch Ihrer Verantwortung und werden Sie nicht zu Komplizen der Konzernleitung."
Der Dachverband der kritischen RWE-Aktionäre hatte der
Klimaschutz-Aktivistin ermöglicht, in der Aktionärsversammlung des
nordrhein-westfälischen Energiekonzerns zu sprechen, indem sie ihr
Stimmrechte übertragen hatten. Damit stand ihr ein Rederecht zu.
Konzern-Chef Schmitz betonte in seiner Reaktion auf die Rede von Luisa
Neubauer, dass RWE sich ausdrücklich zu den Pariser Klimazielen und zum
Kohlekompromiss bekenne. Außerdem habe RWE den CO2-Ausstoß in den
letzten fünf Jahren um 34 Prozent reduziert.
Bewohner von Tagebaudörfer fordern Konzernleitung auf, Bagger zu stoppen
Auch mehrere Bewohner von Dörfern, die in naher Zukunft dem Braunkohle-Tagebau im Rheinland zum Opfer fallen werden, meldeten sich zu Wort und forderten die Konzernleitung auf, die Bagger zu stoppen, damit ihre Dörfern erhalten bleiben könnten. Sie kritisierten vor allem, dass Mitte Mai die Kirche im Dorf Manscheid am Tagebau Hambach entweiht und abgerissen werden soll.
Schon der Beginn der RWE-Aktionärsversammlung war begleitet von Protesten der Klimaschutz-Bewegung. Während in der Gruga-Halle RWE-Chef Rolf-Martin Schmitz den Umbau des nordrhein-westfälischen Energiekonzerns zur "Neuen RWE" mit immer mehr Stromproduktion aus erneuerbarer Energie erläuterte, protestierten draußen vor der Halle lautstark nicht nur Schüler und Studenten der "Fridays for Future"-Bewegung (FFF), sondern auch Aktivisten, die sich für den Erhalt des Hambacher Forsts im rheinischen Braunkohle-Revier einsetzen. "Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut", skandierten rund 1.000 Fridays-for-Future"-Schüler.
"Friday for Future" fordert einen Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromung bis 2030, während die Kohlekommission der deutschen Energiewirtschaft dafür zeit bis 2038 einräumt. Im Vorfeld der Hauptversammlung hatten Schüler den U-Bahn-Aufgang an der Gruga-Halle blockiert.
Auch das katholische Hilfswerk Misereor, das sich weltweit in
Entwicklungsprojekten engagiert, fordert den Energiekonzern RWE zu
einem schnelleren Strategiewandel auf. Als einer der größten
CO2-Emittenten müsse das Unternehmen einen substanziellen Beitrag zum
Einhalten des Pariser Klimaabkommens leisten, erklärte
Misereor-Klimaexpertin Kathrin Schroeder im Vorfeld der
Aktionärsversammlung. Auch müsse RWE die Auswirkungen des Kohleabbaus
auf Umwelt und Menschenrechte in Ländern wie Südafrika und Kolumbien
genauer prüfen, so das Hilfswerk. Ein neuer Misereor-Bericht fasst
kolumbianische Gerichtsurteile zusammen, in denen
Menschenrechtsverletzungen durch den Steinkohletagebau Cerrejon in
Kolumbien festgestellt wurden. Es sei "hochproblematisch", dass deutsche
Energiekonzerne auch nach dem Endes des Steinkohleabbaus in
Deutschland an der Steinkohleverbrennung festhielten, sagte Schroeder.
Ein neuer Misereor-Bericht fasst kolumbianische Gerichtsurteile zusammen, in denen Menschenrechtsverletzungen durch den Steinkohletagebau Cerrejon in Kolumbien festgestellt wurden. Es sei "hochproblematisch", dass deutsche Energiekonzerne auch nach dem Endes des Steinkohleabbaus in Deutschland an der Steinkohleverbrennung festhielten, sagte Schroeder.
Bis 2030 will RWE den CO2-Ausstoß um 50 Prozent verringern
RWE steht vor der Übernahme der Sparte Erneuerbare Energie von E.ON und würde damit mit einem Mal Europas drittgrößter Produzent von Strom aus erneuerbarer Energie, beim Strom aus Offshore-Wind sogar weltweit die Nummer 2. Kritiker wenden allerdings ein, dass auch nach der Übernahme und der Gründung der neuen Tochter "RWE Renewable" der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion lediglich bei 14 Prozent liege. 2018 betrug der Anteil des RWE-Stroms aus Stein- und Braunkohle noch 54 Prozent.
Laut Kompromiss der Kohlekommission soll die Braunkohle-Verstromung bis 2022 um 3 Megawatt reduziert werden. Die Hauptlast dieser Reduktion wird RWE tragen müssen. Bis 2030 will RWE, so Konzernchef Schmitz, den CO2-Ausstoß um 50 Prozent reduzieren. RWE fordert für jedes vom Netz genommene Megawatt mindestens 1,2 Milliarden Euro Entschädigung.