
Bielefeld. In einem staubigen Unterschlupf zwischen zerbombten Häuserruinen liegt er im Dreck. Martin Klamper, wie er sich seit seinem Einsatz nennt, liegt auf der Lauer. Beobachtet, wie sein spanischer Kamerad ein Haus stürmt. Ein lauter Knall. Dann war er nicht mehr da.
Klamper hat 13 Monate in Syrien gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft - freiwillig. Seine Beweggründe waren simpel. "Ich wollte einfach helfen und etwas Gutes tun", erklärt Klamper.
Der gebürtige Bielefelder hatte weder familiäre, noch religiöse oder politische Bezüge und Interessen, an dem Bürgerkrieg im Nahen Osten teilzunehmen. Wieso reiste er trotzdem nach Syrien?
Aus Überzeugung. Rückblickend erklärt er seine Entscheidung: "Mir war klar, dass ich den Krieg nicht beenden kann", sagt Klamper. "Aber für die Kurden dort war unser Einsatz von großer Bedeutung." "Wir haben mit Ihnen geredet, gekocht oder getanzt. Wir haben Ihnen wieder ein Stück Hoffnung und Lebensfreude gegeben." Sein Einsatz in Syrien sollte ihn noch sehr prägen - und verfolgen.
Viel Anerkennung, aber wenig Unterstützung
Rückblick ins Jahr 2016: Auf die Probleme in Syrien und im Irak wird der 22-Jährige während seiner Zeit bei der Bundeswehr aufmerksam. Im April des Jahres verpflichtet sich der ruhige und besonnen wirkende Jugendliche für 24 Monate beim Bund. "Ich wollte mich beruflich umorientieren."
Stationiert ist der damals 20-Jährige bei der Marine in Wilhelmshaven. Dort ist er Teil der Operation Sophia. "Unsere Aufgabe war es, Schleuser im Mittelmeer zu bekämpfen", sagt Klamper. Zusammen mit seinen Kameraden rettet er Flüchtlinge vor dem Tod.
Klamper ist das aber zu wenig. Es sei, als bekämpfe man die Spitze eines Eisbergs, sagt er heute. "Wir haben zwar viele Leben gerettet, aber nicht die Ursache des Problems bekämpft." Er will die Wurzel des Übels bekämpfen - in Syrien.
Sein Vorhaben stößt bei seinen Bundeswehrkameraden auf Anerkennung, aber auf wenig Unterstützung. "Mein befehlshabender Offizier sagte mir, dass er mein Vorhaben persönlich gut findet", erinnert sich Klamper. Als Offizier der Bundeswehr könne er es aber nicht gut heißen. Kollegen machen ihm die Gefahren und Konsequenzen noch einmal deutlich. Im Frühjahr 2017 quittiert Klamper dennoch seinen Dienst.
Vom irakischen Silemani zum Hauptlager der kurdischen Miliz
Tod und politische Verfolgung erwarten ihn, auch wenn er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß. Er ist fest entschlossen. Zweifel oder Angst kommen bei dem introvertierten Bielefelder nicht auf, als er sich auf den Weg zum Flughafen macht. Sein Rucksack ist gepackt, er hat keine Ahnung, wie lange er wegbleiben wird. Sein Flug geht zunächst in das irakische Silemani. Von dort reist der 22-Jährige weiter zum Hauptlager der kurdischen Miliz in Shingal, das rund 50 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegt. "Dort werden die Truppen auf Einsätze vorbereitet und in die Einsatzorte entsandt."
Offiziell reist er als Rucksack-Tourist in den Irak. Eine Geschichte, die die Beamten am Flughafen-Schalter der Passkontrolle stutzig macht. Kein Zufall. Immer mehr Internationalisten kommen in den Irak oder nach Syrien, um gegen den IS zu kämpfen. Alleine aus Deutschland waren es laut Bundesinnenministerium bislang 240 Menschen.
"Die Beamtin sagte, wenn ich in den Irak fliege, um mich einer Miliz anzuschließen, muss ich bei meiner Rückkehr mit dem Knast rechnen." Für Klamper gibt es aber schon lange kein Zurück mehr.
Nur ein schlechtes Gewissen plagt ihn. "Meinen Eltern erzählte ich, dass ich als freiwilliger Helfer einer Hilfsorganisation arbeiten wollte." Von seinen Plänen, gegen den IS zu kämpfen, ahnen sie nichts.
"Ich fragte mich, ob ich dort sterben werde"
Klamper schließt sich im Frühjahr 2017 der Volksverteidigungseinheit Yekîneyên Parastina Gel - kurz YPG an. Die YPG wird als bewaffneter Arm der kurdisch-syrischen Partei der Demokratischen Union (PYD) betrachtet, die gegen die Islamisten im Land kämpft.

Sein erster Einsatz ist in der Stadt Rakka, der damaligen Hochburg der IS-Miliz im Norden Syriens. "Bei meiner Ankunft sah man von weitem bereits Rauchwolken aufsteigen. Das Rattern der Maschinengewehre hallte durch die Straßen. Häuser waren nur noch Ruinen", beschreibt Klamper. "Alarm, Alarm" schallt es durch das zerbombte Haus, in dem sich Klampers Truppe verschanzt. "Alles ging so schnell. Ich fragte mich, ob ich dort sterben werde", sagt der junge Bielefelder.
Knapp zwei Monate kämpft der 22-Jährige gegen den "Daesh", arabisch für Abschaum, wie die Islamisten von den Kurden bezeichnet werden. Die Kämpfe sind heftig. Der IS verfügt über gut ausgebildete Soldaten. Ende Oktober 2017 ist der IS aus Rakka vertrieben. Klamper bleibt unverletzt und will wieder nach Deutschland zurück.Noch heute trägt Klamper Metallsplitter einer Mörsergranate in sich
Ein spanischer Kamerad will jedoch weiter nach Afrin im Nordwesten Syriens ziehen. "Ich wollte nicht dorthin, denn dort führt man Kämpfe gegen die Türkei und nicht gegen den IS." Dort seien die Kämpfe noch heftiger. Sein Freund besteht darauf. "Ich wollte ihn nicht im Stich lassen." Sein einmonatiges Aufenthaltsvisum ist da sowieso schon lange abgelaufen.
"In Afrin war es sehr schlimm. Ich habe so viel Blut gesehen", berichtet Klamper. Der kampferprobte Bielefelder ist für die YPG als Scharfschütze im Einsatz. Verschanzt sich in einem Versteck unter einem Baum, bis er von der türkischen Armee entdeckt wird.
"Sofort wurden Mörsergranaten auf mich abgefeuert." Klamper erinnert sich an ein kurzes Pfeifgeräusch. Eine Mörsergranate schlägt rund zehn Meter neben ihm ein. Wieder ein Pfeifgeräusch. Nur noch fünf Meter. "Ich dachte, ich muss hier sofort weg." Wieder ein Pfeifgeräusch. Bevor Klamper weglaufen kann, explodiert eine Granate unmittelbar neben ihm.
Der 22-Jährige wird am Gesäß, Rücken und Bein schwer verletzt. Kann sich nicht mehr bewegen. "Ich dachte, dass ich sterbe." Weitere Mörserschläge bleiben aus. "Der Feind muss wohl gedacht haben, dass ich tot sei."
Schwer verletzt wird er nach zwölf Stunden geborgen. Kommt ins Krankenhaus, wird notoperiert. "Noch heute habe ich Metallsplitter in mir", sagt der Bielefelder. Sein spanischer Freund wird bei einem Bombenanschlag getötet.
"Ich wusste, dass die Polizei auf mich wartet"
Im Krankenhaus hat Klamper Zeit zum Nachdenken. Er beschließt, wieder nach Deutschland zurückzukehren. "Ich wusste, dass die Polizei auf mich wartet." Ein Flug nach Paris und eine Einreise nach Deutschland mit dem Zug wären der sicherere Weg gewesen.
Trotzdem entscheidet sich Klamper für einen Flug nach Frankfurt am Main. "Falls sie mich schnappten, sollte es am Flughafen sein." Er will seinen Eltern den Anblick ersparen, wie er von der Polizei verhaftet wird. Bei seiner Rückkehr im August dieses Jahres erwartet ihn am Flughafen Frankfurt bereits die Kriminalpolizei.
Gegen Klamper wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation ermittelt
Seit drei Monaten ist Klamper nun wieder in Deutschland. Am Flughafen findet die Bundespolizei in seinem Rucksack Aufnäher der YPG. "Die Beamten sagten zu mir, dass sie wissen, dass ich nicht für, sondern gegen den IS gekämpft habe." Dennoch müssen sie Klamper vorläufig festnehmen.
Die Polizei verhängt eine Ausreisesperre, stellt sein Handy sicher. Gegen ihn läuft ein Verfahren nach Paragraphen 129a und 129b Strafprozessordnung (StPO): Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Seinen Reisepass und Personalausweis hat er noch nicht wieder. "Ich kann mich für keinen Job bewerben."
Paragraf 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.
Wie die Ermittlungen weitergehen, ist bislang ungewiss. Klampers Anwalt sagt, der 22-Jährige könnte zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verurteilt werden. "Es ist auch möglich, dass das Verfahren eingestellt wird." Auf Anfrage von nw.de bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld und beim Bundeskriminalamt können die Behörden keine personenbezogen Auskünfte geben.
Der 22-Jährige bereut nichts
Obwohl Klampers Anwalt ihm aus verteidigungstaktischen Gründen davon abgeraten hat, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, ist es dem 22-Jährigen ein Bedürfnis, seine Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen. "Deutschland soll erfahren, was dort passiert", sagt Klamper. "Ich sah, wie ein Mann ein komplettes G36-Kit der Bundeswehr verkaufte. Da fragt man sich, wo bekommen die Menschen dort diese Waffen her?"
Ob Klamper wieder nach Syrien reisen würde? Die Frage lässt er unbeantwortet.
Deshalb gilt die YPG als terroristische Organisation:
Die YPG werden oft als syrische Fraktion der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) angesehen. Ziel der PKK ist je nach Lesart die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates oder ein „Demokratisches Autonomes Kurdistan" innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen. Die Führung der YPG gab trotz deren Nähe zur PYD und PKK an, unabhängig zu sein und nicht der PKK anzugehören. Ausgebildet und bewaffnet werden die Milizionäre von den militärischen Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit vielen Jahren im Südosten der Türkei für die kurdische Autonomie kämpft und dort, wie in Deutschland auch, als Terrororganisation gilt.
Der Syrien-Krieg:
Der Bürgerkrieg in Syrien ist eine seit 2011 andauernde, bewaffnete Auseinandersetzung verschiedener Gruppen. Auslöser des Konflikts war ein friedlicher Protest gegen das autoritäre Regime Assads. Es kam zu einer wachsenden Einflussnahme des Auslands, neben dem Zustrom von Waffen kämpften auch immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner in Syrien. Das Land zerfiel in Gebiete, die entweder von der Regierung Assads, Oppositionsgruppen, Kurden oder von Islamisten beherrscht wurden.
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