Berlin. Die neue Regierung steht, aber in der SPD wird weiter über die künftige Ausrichtung der Partei debattiert. Auch um das Thema Staatsfinanzen gibt es bereits interne Differenzen. In einem dreiseitigen Thesenpapier, das nw.de vorliegt, fordert ein Bündnis von zwölf jüngeren Bundestagsabgeordneten der SPD die Parteispitze zu einer Abkehr von „neoliberalen Ideen" und zu einem grundsätzlichen Schwenk in steuer- und sozialpolitischen Fragen auf.
Unter den Kritikern – alle sind jünger als 45 und neu im Parlament – sind auch zwei aus OWL: Wiebke Esdar (34) aus Bielefeld und Elvan Korkmaz (32) aus Gütersloh.
Das Papier trägt den Titel: "SPD - linke Volkspartei im 21. Jahrhundert". Der Großteil der Unterzeichner errang ein Direktmandat im eigenen Wahlkreis - auch deshalb müssen sie weniger Rücksicht auf die offizielle Parteilinie nehmen. Sie sehen das Papier als Debattenbeitrag über die Ausrichtung ihrer Partei. „Dabei wollen wir bewusst nicht nur die aktuelle Legislaturperiode in den Blick nehmen, sondern den Weg, den die SPD in den nächsten 20 Jahren gehen muss", sagt Esdar.
Kritik an der "schwarzen Null"
Viele ihrer Forderungen stehen allerdings im Gegensatz zur Linie der Großen Koalition. So stellen sich die Autoren ganz klar gegen die „schwarze Null", das Leitbild eines ausgeglichenen Haushalts, dem sich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verschrieben hat.
„Damit wollen wir nicht einzelne Personen kritisieren, sondern dass die SPD den Sparkurs der CDU mit vertritt", sagt Esdar. „Die schwarze Null ist kein finanzpolitisches Programm und kein eigenständiges Ziel." Esdar und ihre Mitstreiter, zu denen sowohl GroKo-Gegner als auch Befürworter gehören, halten an Steuererhöhungen für Spitzenverdiener fest. Sie fordern ein Ende der rigorosen Sparpolitik zugunsten von Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur.
„Dass wir so gut durch die Finanzkrise gekommen sind liegt auchan der Lohnzurückhaltung und Ausweitung des Niedriglohnsektors der letzten 20 Jahre", so Esdar. Diese Strategie habe Deutschland zwar international wettbewerbsfähig gemacht und für mehr Beschäftigung gesorgt, jedoch um den hohen Preis der Zunahme von prekärer Arbeit und Ungleichheit. Abseits vom Wahlkampf sei es jetz an der Zeit, wirklich für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Esdar: „Wir wollen nicht, dass diese Gesellschaft auseinanderfliegt."
Transparenter machen, wie entschieden wird
In dem Papier der jungen Parlamentarier finden sich aber noch weitere Ideen: Eine Stärkung der EU insgesamt und die Vision eines europäischen Mindestlohns. Zudem sprechen sich Esdar und ihre Mitstreiter dafür aus die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlich aktiven Bewegungen zu verstärken. Als Beispiele nennen sie "Pulse of Europe" oder die Frauenbewegung in Polen.
Außerdem solle die SPD politische Entscheidungsprozesse transparenter machen. Esdar: „Wir wollen dafür werben, dass die Ausschüsse im Bundestag öffentlich tagen." Es sei nicht nachvollziehbar, warum in der Kommunalpolitik jeder Ausschuss und jede Ratssitzung zumindest einen öffentlichen Teil haben, auf Bundesebene über so wichtige Themen wie Bidlung aber nur geheim gesprochen werde.
"Wollen Politik, die konkret ist"
In dem Thesenpapier zeigt sich, wie groß die Skepsis vieler junger Sozialdemokraten gegenüber dem Bündnis mit der Union ist. Künftige Koalitionsoptionen kommen in dem Papier zwar nur indirekt vor. Der Willen auf Dauer ohne GroKo handlungsfähig zu sein, wird aber mehr als deutlich. So heißt es, das Ziel der SPD müsse sein, eine „Zukunftsdebatte in der Partei zu führen, in die Gesellschaft zu tragen und am Ende parlamentarische Mehrheiten diesseits von CDU und CSU möglich zu machen".
Die Zwölfer-Gruppe, die ihren Vorstoß auch als Beitrag zu einer grundsätzlichen Diskussion über mehr Generationengerechtigkeit versteht, will jetzt in der Partei Mitstreiter für ihre Ideen finden. Oder wie die Gütersloherin Elvan Korkmaz sagt: „Wir wollen einen aktiven Parlamentarismus und sehen jetzt die Chance als junge Abgeordnete gemeinsam nach vorne zu gehen. Wir wollen eine Politik, die konkret ist, und nicht nur Reden in Berlin schwingen."