Berlin (dpa/hebu/epd). Das Bundeskabinett hat das Gesetz zur Einführung eines neuen Wehrdienstes auf den Weg gebracht. Die Ministerrunde billigte auf einer Sitzung im Verteidigungsministerium am 27. August den Rechtsrahmen, der eine Wehrerfassung junger Männer einführt, aber zunächst auf Freiwilligkeit und einen attraktiveren Dienst setzt.
Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wurde nicht vereinbart. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) formuliert aber Grundvoraussetzungen für eine Aktivierung der Pflicht.
Wenn die verteidigungspolitische Lage oder ein Mangel an Freiwilligen eine Wehrpflicht erforderlich macht, muss der Bundestag erst zustimmen. Auch über das jetzt im Kabinett beschlossene Gesetz muss der Bundestag noch entscheiden. Wenn er zustimmt, soll es am 1. Januar 2026 losgehen.
Warum gibt es das neue Gesetz zum Wehrdienst?
Die Bundeswehr benötigt etwa 80.000 zusätzliche, aktive Soldaten. Die Nato hält für Deutschland eine Größenordnung von 260.000 Männern und Frauen in der stehenden Truppe für erforderlich, um einem Angriff etwa Russlands standzuhalten. Fast 183.000 Soldatinnen und Soldaten gehören der Bundeswehr derzeit an (Stand: 31. Juli 2025). Seitens des Bundesverteidigungsministeriums heißt es: Nach einer ersten Grobeinschätzung werden insgesamt ca. 460.000 Soldatinnen und Soldaten für die aktive Truppe und die Reserve benötigt.
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Dabei soll der Wehrdienst vor allem die Grundlage für eine größere Reserve schaffen. Geplant ist, mit 15.000 neuen Wehrdienstleistenden zu beginnen und eine verpflichtende Musterung ab 2027 einzuführen.
Was sieht das neue Wehrdienst-Modell zentral vor?
Der neue Wehrdienst richtet sich an die 18- bis 25-Jährigen. Laut Bundesverteidigungsministerium sei vorgesehen, dass alle Männer und Frauen ab ihrem 18. Geburtstag einen Fragebogen auf QR-Code-Basis erhalten, in dem persönliche Daten und Qualifikationen sowie die Bereitschaft zu einem Dienst bei der Bundeswehr erfragt werden. Die Beantwortung wird mit dem Jahrgang 2008 beginnen und für Männer verpflichtend sein, für Frauen freiwillig. Wer sich bereit erklärt, kann dann rekrutiert werden.
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Gibt es weitere Pflichten beim neuen Wehrdienst?
Ja, ab 1. Juli 2027 soll es wieder eine verpflichtende Musterung geben, an der alle 18-jährigen Männer teilnehmen müssen. Das Verteidigungsministerium will damit ein Lagebild über die gesundheitliche Eignung erhalten.
Welche Angebote werden Wehrdienstleistenden gemacht?
Im Rahmen des neuen Wehrdienstes soll es laut Bundesverteidigungsministerium Verpflichtungszeiten zwischen sechs und bis zu 23 Monaten geben, als länger dienende Zeitsoldaten gibt es Verpflichtungszeiten von bis zu 25 Jahren.
„Wir ermöglichen eine bestmögliche Qualifikation, gerade bei denen, die länger bleiben“, sagt Pistorius und nennt Sprachkurse, Führerscheine und IT-Lehrgänge. Der Sold werde bei 2.300 Euro netto liegen, wobei Unterkunft und ärztliche Versorgung kostenfrei sind.
Pistorius machte deutlich, dass er von einem Erfolg freiwilliger Angebote im Wehrdienst überzeugt sei. Er verwies auf steigende Zahlen - noch bevor zusätzliche Anreize wirken. „Wir haben für dieses Jahr 15.000 angepeilt und sind jetzt im August schon bei knapp 13.000 angelangt“, sagt Pistorius. Ziel sei es, bis 2029 auf jährlich 30.000 zu kommen und dann 110.000 Wehrdienstleistende ausgebildet zu haben.
Warum gelten die Pflichten nur für Männer?
Die im Grundgesetz vorgesehene und 2011 ausgesetzte Wehrpflicht betrifft nur Männer. Würde man auch Frauen verpflichten wollen, müsste man die Verfassung ändern, wofür Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig wären. Da solche Mehrheiten mit AfD und Linkspartei im Parlament derzeit nicht absehbar sind, setzt die Bundesregierung bei den Frauen auf Freiwilligkeit.
Was passiert, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden?
Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, sieht der Entwurf eine verpflichtende Heranziehung vor. Sofern die verteidigungspolitische Lage mehr der Streitkräfte erfordert, solle die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestags die Einberufung zum Grundwehrdienst beschließen können.
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Bundeskanzler Friedrich Merz sagte nach der Kabinettssitzung, die erstmals seit 19 Jahren im Verteidigungsministerium in einem abhörsicheren Raum stattfand, er sei zuversichtlich, dass die Zahl nötiger Freiwilliger erreicht werden könne, verwies aber auch auf die Möglichkeit einer verpflichtenden Heranziehung.
Wie ist die politische Debatte?
Anfang der Woche hatte es noch Verstimmung in der Koalition gegeben, weil Außenminister Johann Wadephul (CDU) zwischenzeitlich Einspruch gegen den Gesetzentwurf eingelegt hatte - mit einem sogenannten Ministervorbehalt. Nach Gesprächen zwischen den Ministerien zog er ihn aber zurück.
Die Union fordert im Gesetz verankerte verbindliche jährliche Zielvorgaben für die Aufstockung der Bundeswehr mit Freiwilligen, deren Unterschreiten Schritte zu einer Wehrpflicht auslösen soll. Die SPD setzt auf Freiwilligkeit.
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Pistorius machte deutlich, dass er durchaus noch mit Änderungen am Gesetz im parlamentarischen Verfahren rechnet. Es gelte die alte Regel: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag in der Regel so, wie es hineingegangen ist. Das wird hier so oder ähnlich auch sein“, so der Verteidigungsminister.
Wie steht der Bundeswehrverband zum Entwurf?
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, beklagte vor der Kabinettssitzung Mängel an dem Gesetzesvorhaben. Der Entwurf sei eine Verbesserung, greifen aber angesichts der Probleme bei der Personalgewinnung „immer noch zu kurz“, sagte Wüstner in Berlin.
Er verwies dabei auch auf die weitgehend stagnierende Personalentwicklung bei den Zeit- und Berufssoldaten, den „Profis“ im Militär. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums betrug deren Zahl zum Jahreswechsel 170.800 Männer und Frauen, mit Stand 1. Juli 171.650 Soldaten.