Großer Überblick

Migration, Mindestlohn, Bürgergeld: Darauf haben sich Union und SPD geeinigt

Was könnte sich bei einer Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD ändern? Das Sondierungspapier gibt einen Vorgeschmack darauf. Der Überblick.

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, SPD-Chef Lars Klingbeil, CSU-Chef Markus Söder und SPD-Chefin Saskia Esken in Berlin. | © Michael Kappeler/dpa

10.03.2025 | 10.03.2025, 06:38

Der erste Schritt auf dem Weg zu einer schwarz-roten Bundesregierung ist gemacht. Knapp zwei Wochen nach der Bundestagswahl haben die Unterhändler von CDU, CSU und SPD ihre Sondierungen abgeschlossen. In einer ganzen Reihe von Sachfragen sei Einigkeit erzielt worden, sagte CDU-Chef Friedrich Merz in Berlin. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Zurückweisungen an Grenzen

An den Landgrenzen sollen den Angaben von Merz zufolge künftig auch Menschen zurückgewiesen werden, die ein Asylgesuch stellen - allerdings nur in Abstimmung mit den Nachbarstaaten.

Möglich sind Zurückweisungen grundsätzlich nur da, wo es stationäre Grenzkontrollen gibt. Die hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zwar in den vergangenen Jahren sukzessive für alle deutschen Landgrenzen angeordnet. Wer einen Asylantrag stellen will, darf aber in der Regel einreisen.

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Sondierungsgespräche erfolgreich abgeschlossen: Die SPD-Delegation unmittelbar danach in Berlin. - © Selin Jasmin
Sondierungsgespräche erfolgreich abgeschlossen: Die SPD-Delegation unmittelbar danach in Berlin. | © Selin Jasmin

Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesinnenministerium rund 80.000 unerlaubte Einreisen festgestellt, wobei es in etwa 47.000 Fällen zu einer Zurückweisung kam, etwa wenn jemand gefälschte Dokumente vorlegte oder weil nach einer Abschiebung eine Einreisesperre ausgesprochen worden war.

Überstunden

Zudem kündigte Merz an, man werde im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz schaffen. „Und wir werden Überstundenzuschläge steuerfrei stellen, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen.“

Bürgergeld

Das bisherige Bürgergeldsystem soll verändert werden. „Wir werden das bisherige Bürgergeldsystem neu gestalten, hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende“, sagte Merz. Er kündigte an: „Für Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“ SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, wer sich komplett verweigere, könne nicht auf die gleiche Unterstützung setzen, das sei fair und gerecht.

Mindestlohn

Union und SPD halten an der unabhängigen Mindestlohnkommission fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns soll sich diese „sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren“, wie es im Papier heißt. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

Stromsteuer

Zur Entlastung von Unternehmen und privaten Haushalten wollen Union und SPD die Stromsteuer senken. Konkret soll die Stromsteuer auf den in der EU erlaubten Mindestwert gesenkt werden. Das soll zu Entlastungen um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde führen. Union und SPD wollen daneben die Übertragungsnetzentgelte halbieren, ein Bestandteil des Strompreises.

Meinung: Einigung bei Schwarz-Rot: Engelstöne bei der Sondierung reichen noch nicht

Wirtschaftsverbände beklagen seit Langem im internationalen Vergleich hohe Energiekosten. Dies hemme Investitionen in Deutschland. Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox würde eine Senkung der Stromsteuer auf den in der EU erlaubten Mindestwert die Stromkosten um knapp 7 Prozent verringern. Eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 4.000 kWh müsste 93 Euro weniger bezahlen, ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 2.800 kWh könnte mit einer jährlichen Entlastung von 65 Euro rechnen.

Umsatzsteuer in der Gastronomie

Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie sollen dauerhaft auf 7 Prozent gesenkt werden. Das sagte CSU-Chef Markus Söder, und das geht auch aus dem Sondierungspapier hervor. Ziel sei es, Gastronomie und Verbraucher zu entlasten, heißt es dort. Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie war bereits in der Corona-Zeit von 19 auf 7 Prozent gesenkt worden, allerdings nur vorübergehend.

Steuerreform

Auch die Einkommensteuer wollen Union und SPD in einer möglichen gemeinsamen Bundesregierung reformieren. Die „breite Mittelschicht“ solle entlastet werden, geht aus ihrem Sondierungspapier hervor. Außerdem solle die Pendlerpauschale in der Steuererklärung erhöht werden. Details zur geplanten Reform und Zahlen zur Pendlerpauschale enthält das Papier nicht.

Mietpreisbremse

Die Mietpreisbremse soll weiter gelten. Im gemeinsamen Papier von Union und SPD heißt es: „Die Mietpreisbremse wollen wir zunächst für zwei Jahre verlängern.“ Dort, wo die 2015 eingeführte Mietpreisbremse gilt, darf die Miete bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen höchstens auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zuzüglich zehn Prozent erhöht werden. Die Landesregierungen werden durch das Gesetz ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten auszuweisen, in denen die Mietpreisbindung gilt.

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Ohne die nun in Aussicht gestellte Verlängerung würde die Mietpreisbremse als Instrument für den Mieterschutz nach dem 31. Dezember 2025 nicht mehr zur Verfügung stehen. Union und SPD vereinbarten außerdem einen Ausbau des sozialen Wohnungsbaus.

Arbeit in der Rente und Renteneintritt

Wer in der Rente noch freiwillig arbeitet, soll nach dem Willen von Union und SPD bis zu 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen können. „Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei“, heißt es im gemeinsamen Sondierungspapier.

Man wolle zusätzliche finanzielle Anreize schaffen, damit sich freiwilliges längeres Arbeiten mehr lohne, heißt es dort. „Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente.“ Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll möglich bleiben.

Absicherung von Selbstständigen

Selbstständige sollen besser fürs Alter abgesichert werden. „Wir werden alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen“, heißt es im Sondierungspapier. Andere Formen der Altersvorsorge sollten aber weiterhin möglich bleiben.

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Mütterrente

Die sogenannte Mütterrente soll in einer möglichen schwarz-roten Bundesregierung ausgeweitet werden: Müttern sollen auch für vor 1992 geborene Kinder drei statt wie bisher maximal zweieinhalb Erziehungsjahre bei der Rente angerechnet werden. Derzeit werden nur für Kinder, die 1992 oder später geboren sind, bis zu drei Jahre angerechnet.

Kaufanreiz für E-Autos

Die schleppende Nachfrage nach Elektroautos wollen und Union und SPD in einer möglichen gemeinsamen Regierung wieder stärker ankurbeln. Die E-Mobilität durch solle durch „einen Kaufanreiz“ gefördert werden, hieß es am Samstag in Berlin. Eine bestehende Kaufprämie war Ende 2023 wegen Haushaltsnöten von der Ampel-Koalition abrupt gestoppt worden, danach sackte die Nachfrage spürbar ab.

Steuervergünstigungen für Landwirte

Januar, 2023: Bauernproteste im Kreis Paderborn. (Archivbild) - © Niklas Tüns
Januar, 2023: Bauernproteste im Kreis Paderborn. (Archivbild) | © Niklas Tüns

Zurückgenommen werden soll das von der Ampel-Koalition beschlossene Aus für Steuervergünstigungen für Landwirte, das wochenlange Bauernproteste - auch in OWL - ausgelöst hatte. Die Agrardiesel-Rückvergütung solle „vollständig“ wieder eingeführt werden.

Deutschlandticket

Das Deutschlandticket im Nahverkehr wird in dem Sondierungspapier als Grundlage für Koalitionsverhandlungen ebenfalls genannt - aber vorerst nur vage. „Wir beraten über die Fortsetzung des Deutschlandtickets sowie den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs“, heißt es darin. Die Finanzierung des Tickets für Busse und Bahnen ist vorerst nur bis Ende 2025 durch staatliche Zuschüsse gesichert.

Doppelpass

Das von der Ampel-Koalition reformierte Staatsangehörigkeitsrecht soll dem gemeinsamen Papier von CDU, CSU und SPD zufolge weiter Bestand haben. Demnach einigten sich die Parteien im Grundsatz darauf, die verkürzten Wartefristen für eine Einbürgerung und den Doppelpass für Nicht-EU-Bürger beizubehalten.

Geprüft werden soll, ob es verfassungsrechtlich möglich wäre, Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, falls sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.

Das von SPD, Grünen und FDP beschlossene neue Staatsangehörigkeitsrecht war erst am 27. Juni in Kraft getreten. Es sieht vor, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nun schon nach fünf statt bisher acht Jahren besteht - vorausgesetzt der Antragsteller erfüllt alle Bedingungen. Dazu zählt beispielsweise, dass jemand seinen Lebensunterhalt grundsätzlich selbst bestreiten kann.

Familiennachzug Geflüchteter

Der Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus soll befristet ausgesetzt werden. Das würde unter anderem viele Menschen aus Syrien betreffen. Wie lange der Familiennachzug ausgesetzt werden soll, ist noch nicht bekannt. Aktuell gilt für Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten ein Kontingent von maximal 1.000 Einreisen pro Monat.

Humanitäre Aufnahmeprogramme

Neue freiwillige humanitäre Aufnahmeprogramme soll es nicht geben. Bereits existierende Bundesaufnahmeprogramme wie das für gefährdete Afghaninnen und Afghanen sollen soweit wie möglich beendet werden.

Abschiebungen

Geplant sind zudem gesetzliche Regelungen, mit denen die Zahl der Abschiebungen erhöht werden soll. CDU, CSU und SPD einigten sich auch darauf, die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern. Allerdings könnte es hier im Bundesrat Widerstand von Ländern mit Grünen-Regierungsbeteiligung geben.

Pflege

Angesichts immer weiter steigender Milliardenkosten wollen Union und SPD „eine große Pflegereform“ auf den Weg bringen.

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Wahlrecht

Eine erneute Reform des eben erst geänderten Bundestagswahlrechts soll geprüft werden. Kritik gab es vor allem, weil bei der Wahl am 23. Februar einige Direktkandidaten, die ihren Wahlkreis gewonnen hatten, kein Mandat erhielten.