Berlin (dpa/jw). Union und SPD haben einen ersten Durchbruch in ihren Sondierungsgesprächen erzielt. Das Ergebnis ist ein Finanzpaket von historischem Ausmaß für Verteidigung und Infrastruktur. Zum einen solle die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für bestimmte Verteidigungsausgaben gelockert werden, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Außerdem solle ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden.
„Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: „whatever it takes“, sagte Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstagabend bei einer Pressekonferenz. Deshalb sollten diejenigen Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen werden, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Die Ergebnisse der Verhandlungen liegen dieser Redaktion aus Verhandlungskreisen vor:
Die wichtigsten Punkte in der Übersicht:
- „Die Verteidigungsausgaben im Einzelplan 14 werden in der Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes innerhalb des Geltungsbereichs der grundgesetzlichen Schuldenbremse abgebildet. Darüber hinaus gehende Ausgaben für Verteidigung im Einzelplan 14 werden nicht bei der Schuldenbremse angerechnet.
- Es wird ein Sondervermögen Infrastruktur Bund/Länder/Kommunen geschaffen, das mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro ausgestattet wird und eine Laufzeit von zehn Jahren hat. Dieses Sondervermögen soll für Investitionen in die Infrastruktur dienen. Dies umfasst insbesondere Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhaus-Investitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung und Digitalisierung. Davon sollen 100 Milliarden Euro den Ländern und Kommunen für die genannten Bereiche zur Verfügung stehen.
- Die Schuldenbremse wird dahingehend konkretisiert, dass den Ländern zukünftig eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des BIP ermöglicht wird. Die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr müssen zügig abfließen. Deshalb werden CDU/CSU und SPD noch im ersten halben Jahr nach der Regierungsbildung ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr, sowie eine Prioritätenliste mit schnell zu beschaffenden Rüstungsgegenständen vorlegen, die die Verteidigungsbereitschaft unseres Landes schnell und effizient erhöhen. Die Prioritätenliste wird in enger Abstimmung mit dem Bundesverteidigungsministerium entworfen.
- Die erforderlichen einfachgesetzlichen Regelungen zu 1, 2 und 3 werden zu Beginn der 21. Wahlperiode umgesetzt.
- Es wird eine Expertenkommission eingesetzt, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickelt, die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht. Auf dieser Grundlage wollen wir die Gesetzgebung Ende 2025 abschließen.“
👉 Die Lage nach der Bundestagswahl 2025 im Liveticker
Wie geht es weiter mit den Plänen? Wer entscheidet darüber? Und wer zahlt das alles? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Welche Chancen haben die Pläne im Bundestag?
Union und SPD können die Pläne nicht allein beschließen, denn für Grundgesetzänderungen wird eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt. Im alten Bundestag ginge das zusammen mit Grünen oder FDP. Die FDP hat eine Reform der Schuldenbremse bisher aber kategorisch abgelehnt. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr etwa kritisierte die Einigung am Dienstagabend: „Schulden für alles Mögliche zulasten der Menschen in Deutschland sind aus meiner Sicht verantwortungslos“. Die Sondierer dürften daher auf die Grünen setzen.
Im neuen Bundestag, der sich am 24. oder 25. März konstituiert, haben Union, SPD und Grüne keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr. Linke und AfD können eine Grundgesetzänderung blockieren - und sie lehnen Sondervermögen beide ab. Deshalb soll der alte Bundestag auf den letzten Metern nochmal zusammenkommen.
Warum ist mehr Geld für die Bundeswehr nötig?

Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ist fast komplett verplant. Bereits klar ist, dass der Weg zur Wehrhaftigkeit noch weit ist. Schon im März 2023 sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl: „Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen, sämtliche Fehlbestände auszugleichen, dafür bedürfte es nach Einschätzung militärischer Expertinnen und Experten einer Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro.“
Zur Größenordnung: Der reguläre Verteidigungsetat besteht aus etwa 53 Milliarden Euro und erfüllt das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nur, weil das bisherige Sondervermögen eingerechnet wird. Allein für das Zwei-Prozent- Ziel sind nach den Worten von Verteidigungsminister Boris Pistorius ab 2028 insgesamt 85 bis 90 Milliarden Euro im Jahr nötig, für Verteidigungsausgaben in Höhe von drei Prozent sind es also 120 Milliarden Euro. Mit dem Weg über eine Ausnahme von der Schuldenbremse wird nun ein Weg beschritten, den Pistorius wiederholt öffentlich gefordert hat.
Was lässt sich mit dem zusätzlichen Geld für die Bundeswehr bezahlen?

Eine kriegstüchtige Bundeswehr, die Angreifer abschreckt und in einem Kampf bestehen kann, benötigt eine Vollausstattung über 100 Prozent hinaus („Ersatz“), eine umfangreiche Luftverteidigung und Cyberabwehr und eine verbesserte, eigenständige Beobachtung möglicher Gegner („Aufklärung“). Zudem weitreichende Präzisionswaffen („deep precision strike“), Vorräte an Munition, eine Art Drohnenarmee sowie einen funktionierenden Heimatschutz über die bislang geplante neue Division hinaus. Das Personal dafür soll sich auch aus einem neuen Wehrdienst speisen, wobei Kasernen und Unterkünfte derzeit der Engpass sind. Das bisherige Sondervermögen hat eine eng gefasste Zweckbestimmung und beschränkt Investitionen in Infrastruktur. Noch völlig ungeklärt: Deutschland könnte sich im Falle einer Einigung am nuklearen Abschreckungspotenzial Frankreichs und Großbritanniens beteiligen.
Warum braucht der Bund so viel Geld für die Infrastruktur?
Marode Brücken und Schienen, Baustellen auf Straßen: Bei der Verkehrsinfrastruktur gibt es einen riesigen Investitionsstau. „Der Güter- und Personenverkehr wird durch die überalterte Infrastruktur mittlerweile deutlich eingeschränkt, was die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands beeinträchtigt“, heißt es im Jahresgutachten der „Wirtschaftsweisen“. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat errechnet, dass innerhalb von zehn Jahren zusätzliche Mittel von rund 160 Milliarden Euro notwendig sind für das Schienennetz, für Autobahnen und Bundesstraßen, die Brückenerneuerung, Bundeswasserstraßen, für Häfen und den Ausbau des ÖPNV. Der BDI sieht außerdem einen Bedarf von zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur, also für Kitas, Schulen und Hochschulen sowie von 56 Milliarden Euro für Gebäude und Wohnen.
CSU-Chef Markus Söder sprach von einem Wirtschafts- und Infrastrukturpaket „XXL“, das in der Größe einmalig sei in Deutschland. Es gehe auch um die Stärkung der Energieversorgung, um Bau, Kinderbetreuung, digitale Schulen und Krankenhäuser.
Was könnte ein Sondervermögen Infrastruktur bewirken?
Bisher muss bei den Gesprächen über den Bundeshaushalt jedes Jahr über Investitionen in die Infrastruktur verhandelt werden - also nach Kassenlage, abhängig von Konjunktur und Steuereinnahmen. Ein Sondervermögen schafft eine verlässliche Finanzierungsperspektive sowie Planungssicherheit für Auftraggeber, Ingenieurbüros und die Bauwirtschaft.
Sondervermögen böten die Vorteile, finanzielle Mittel zweckgebunden sowie mit klar definierten Zielvorgaben einzusetzen und Planungssicherheit für Infrastrukturprojekte zu schaffen, heißt es beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. „Ein langfristig geschnürtes Paket könnte den Bau einer ökologischen und zukunftssicheren Infrastruktur endlich vom jährlichen Haushaltszank befreien“, sagte Greenpeace-Verkehrsexpertin Lena Donat. Der Interessenverband Allianz pro Schiene sieht die Chance, den gigantischen Sanierungsstau bei der Schiene abzubauen.
Wer muss die Kredite letztlich bezahlen?
Der Staat besorgt sich frisches Geld, indem er Anleihen auf dem Kapitalmarkt ausgibt. Erstmal kommt das Geld also von Anlegern, das können zum Beispiel Pensionsfonds oder Kreditinstitute sein. Einer der größten Investoren der Welt ist etwa der norwegische Staatsfonds. Auf lange Sicht muss der Kredit dann aber getilgt werden. Bei Sondervermögen stellt der Bund dafür einen Zeitplan auf. Beim bisherigen Sondervermögen für die Bundeswehr ist die Tilgung zum Beispiel ab 2031 geplant. Das Geld dafür muss dann aus dem Bundeshaushalt kommen, also aus Steuergeldern und anderen staatlichen Einnahmen.