Neuwahl in Deutschland? Das passiert, wenn die Ampel zerbricht

Berlin. Der Ampelkoalition steht das Wasser bis zum Hals: Bei SPD, Grünen und FDP wird über ein vorzeitiges Ende spekuliert. Wir erklären, warum gerade jetzt darüber gesprochen wird und wie der Weg zu Neuwahlen formal ablaufen würde. Wieso wird über ein vorzeitiges Aus der Ampelkoalition spekuliert? Das liegt am Haushalt und am Streit über die Wirtschaftspolitik. Statt zusammen über die Zukunft der Wirtschaft zu beraten, veranstaltete Kanzler Olaf Scholz (SPD) einen Industriegipfel im Kanzleramt und die FDP von Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Art Gegengipfel im Bundestag. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte dieser Redaktion, Scholz und Lindner sollten &bdquo;an die Werkbank“ zurückkommen und zitierte damit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. SPD-Chefin Saskia Esken kritisierte, dass der Finanzminister den ausgeglichenen Haushalt über alles stelle und nicht akzeptiere, &bdquo;was die Einnahmesituation des Staates verbessern könnte“. Die Sozialdemokratin sagte dieser Redaktion, es brauche eine &bdquo;starke Streckung der Kosten des Netzausbaus und damit eine Senkung der Netzentgelte“. Lindner betonte auf Anfrage, es bestünden noch &bdquo;unterschiedliche Auffassungen in der Sache“. Offen ist zudem, ob die Ampel die Haushaltslücke von mehreren Milliarden Euro schließen kann. Ende November soll der Haushalt für 2025 eigentlich beschlossen werden. Wie läuft die Vertrauensfrage ab? Mit der Vertrauensfrage kann ein Bundeskanzler überprüfen, ob er noch eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat. Das Mittel wurde in der Vergangenheit genutzt, um Neuwahlen einzuleiten oder die Abgeordneten der eigenen Regierungsfraktionen zur Räson zu rufen. Sollten die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen dem Regierungschef die Mehrheit entziehen, bittet er im nächsten Schritt den Bundespräsidenten darum, den Bundestag aufzulösen. Wenn der Bundespräsident zustimmt, hat er 21 Tage Zeit für die Auflösung. Dann müsste es innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen geben. Möglich ist auch, dass die Fraktionen in dem 21-tägigen Zeitraum eine neue Mehrheit bilden und sich auf einen neuen Regierungschef einigen. Darauf könnte auch der Bundespräsident hinwirken. Kommentar zur Wirtschaftskrise: Wir brauchen Investitionen in Deutschlands Zukunft Was ist das konstruktive Misstrauensvotum? Hier sind die Bundestagsfraktionen am Zug: Sie können dem Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen. Wichtig: Die Fraktionen müssen sich gleichzeitig auf einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin einigen - deswegen ist das Misstrauensvotum &bdquo;konstruktiv“. Der Bundespräsident müsste den Kanzler entlassen und den neuen Regierungschef ernennen. Ein konstruktives Misstrauensvotum könnte auch die Opposition, also die Unionsfraktion, anstreben, wenn sie mit anderen Fraktionen eine Mehrheit bilden könnte. Das scheint derzeit nicht der Fall zu sein. Warum wird über den März als möglicher Zeitraum für Neuwahlen spekuliert? Viele im politischen Berlin gehen davon aus, dass der November und Dezember entscheidend für die Zukunft der Ampel sind. Das liegt vor allem am Haushalt, der regulär im November beschlossen werden soll. Eine Verschiebung nach hinten ist aber möglich. Hinzu kommt der Parteitag der Grünen vom 15. bis 17. November, auf dem eine neue Spitze gewählt wird, und der Dynamik in die Lage bringen könnte. Sollte es zu einer gescheiterten Vertrauensfrage kommen, könnten Neuwahlen theoretisch im Frühjahr stattfinden. Aus der Union wurde dafür als Termin der 2. März verbreitet. Dann wählt Hamburg ohnehin eine neue Bürgerschaft, womöglich lässt sich die Bundestagswahl am selben Tag durchführen oder aber eine Woche später am 9. März. Solche Szenarien kursieren auch in der Ampel. Allerdings wäre es auch möglich, dass die SPD und Grüne als Minderheitsregierung fortbestehen, falls die FDP die Ampelkoalition verlässt. Wie oft ist es bislang zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen? In der Geschichte der Bundesrepublik gab es bislang drei Mal Neuwahlen infolge einer gescheiterten Vertrauensfrage. 2005 hatte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensfrage gestellt. Die Hartz-IV-Reformen sorgten in seiner rot-grünen Regierung für heftigen Ärger, außerdem verlor die SPD in Nordrhein-Westfalen die Landtagswahlen. Schröder wollte einen Neustart. Sein Kalkül ging aber nur teilweise auf: Zwar verlor er - wie angestrebt - die Vertrauensfrage am 1. Juli. Aber die Union landete in der Bundestagswahl am 18. September auf Platz eins. Übrigens: 2001 hatte Schröder bereits die Vertrauensfrage gestellt und diese mit einer Sachfrage verknüpft: die Beteiligung Deutschlands am Afghanistan-Krieg infolge der terroristischen Anschläge am 11. September auf die USA. Sein Ziel war, die Vertrauensfrage trotz des Widerstands in der rot-grünen Koalition zu gewinnen und damit auch die Entsendung von Truppen abzusichern. Schröder hatte Erfolg. Und die anderen Male? 1982 stellte Helmut Kohl die Vertrauensfrage, um sich bei nachfolgenden Neuwahlen die Unterstützung in der Bevölkerung zu sichern. Zuvor war der CDU-Politiker durch ein konstruktives Misstrauensvotum gegen seinen Vorgänger Helmut Schmidt (SPD) zum Kanzler gewählt worden. Sein Plan ging auf: Die sehr guten Umfragewerte seiner schwarz-gelben Koalition realisierten sich in der Bundestagswahl. 1972 stellte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die Vertrauensfrage, um die Patt-Situation im Bundestag zu beenden. Zuvor hatten mehrere Abgeordnete die Koalition verlassen - aus Protest gegen die Ostpolitik. Die Neuwahl gewann die SPD. Wäre die Union regierungsbereit? Die Union steht derzeit auf Platz eins der Umfragen mit deutlichem Abstand zur AfD und SPD. Zwar haben CDU und CSU mit der Kür von Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten die wichtigste Personalentscheidung getroffen, in Kernfragen stehen sie programmatisch aber noch relativ blank da. Dazu gehört die Rentenpolitik. Das Wahlprogramm wird gerade ausgearbeitet, soll auf einer Klausur im Mai festgezurrt und auf dem Parteitag im Juni beschlossen werden. Um für einen früheren Wahltermin fertig zu sein, müsste die Union diesen Prozess im Schnelldurchlauf durchführen. &bdquo;Die Weihnachtsferien würden ausfallen - das ist klar“, heißt es in der CDU. Wahrscheinlich sei, dass die Union mit einem &bdquo;kleineren Wahlprogramm“ in die Wahl ginge.

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