Rheinland-Pfalz

„Kraft schwindet“: Malu Dreyer zu ihrem Rücktritt als Ministerpräsidentin

Schon länger wird spekuliert, ob Malu Dreyer bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz bleibt. Der Zeitpunkt des Wechsels kommt nun aber doch überraschend.

Malu Dreyer (63) ist seit 2013 Regierungschefin in Rheinland-Pfalz. | © Arne Dedert

19.06.2024 | 19.06.2024, 15:04

Mainz (dpa/AFP). Deutlich vor der nächsten Landtagswahl 2026 gibt es in Rheinland-Pfalz einen Wechsel an der Regierungsspitze. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zieht sich in wenigen Wochen von ihrem Amt zurück, das sie seit 2013 innehat. Als ihren Nachfolger schlägt Dreyer den derzeitigen Landesarbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD) vor. Die rheinland-pfälzische SPD-Fraktion hat sich einstimmig für Schweitzer als Nachfolger von Malu Dreyer an der Spitze der Landesregierung ausgesprochen. Das sagte Dreyer bei der Verkündung ihres eigenen Rücktritts am Mittwoch in Mainz. Sie sei sich sicher, ihr Amt in die besten Hände zu geben. Die Wahl im Landtag soll am 10. Juli stattfinden.

Malu Dreyer hat ihren angekündigten Rücktritt als Regierungschefin mit schwindender Energie begründet. „Ich gehe mit schwerem Herzen, weil ich mir eingestehen muss, dass meine Kraft nicht mehr ausreicht, um den Anspruch der Bürger gerecht zu werden“, sagte die 63-Jährige am Mittwoch vor Journalisten in der Landeshauptstadt Mainz.

Ihre Entscheidung zum Rücktritt sei ihr schwergefallen. Sie sei in den vergangenen Wochen gereift. „Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf“, sagte Dreyer. Die Begegnungen mit den Menschen hätten ihr viel Kraft gegeben, „aber leider muss ich für mich einfach feststellen, dass diese Kraft endlich ist“. Vor einigen Tagen habe sie die Rückzugsentscheidung getroffen. Es sei „wichtig, zu fühlen, wann der richtige Zeitpunkt zum Gehen“ sei. Amtsmüde sei sie nicht.

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Die 63-Jährige hat Multiple Sklerose (MS) und geht offen damit um. Sie sagte einmal: „Ich leide nicht, ich habe meinen Frieden mit der Krankheit gemacht, kämpfe nicht mehr dagegen an.“

Flutkatastrophe war schmerzhafte Zäsur für Malu Dreyer

Die tödliche Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 bezeichnet sie als Zäsur in ihrem Leben. In den vergangenen Jahren seien viele Krisen aufeinandergetroffen, sagte die SPD-Politikerin bei der Ankündigung ihres Rücktritts am Mittwoch in Mainz. Neben den Fluchtbewegungen seien das etwa die Corona-Pandemie und die „schlimmste Naturkatastrophe unseres Landes im Ahrtal“, sagte Dreyer. „Sie ist auch für mich eine schmerzhafte Zäsur, die auch mein Leben oder das Leben von mir in eine Zeit davor und danach unterteilt.“

All diese Krisen belasteten die Menschen und hätten auch in Rheinland-Pfalz Gräben aufgerissen, sagte Dreyer. Die Ministerpräsidentin war in der Vergangenheit wiederholt dafür kritisiert worden, sich nach der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht entschuldigt zu haben. Schon seit Monaten wird in Rheinland-Pfalz registriert, dass die Zustimmung zur Landesregierung miserabel ist und dass dies womöglich nicht nur mit der Ampelkoalition in Berlin, sondern auch mit dem Agieren von Dreyers Ampelregierung bei der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal zu tun haben könnte. Bei dem Hochwasser starben im Juli 2021 in Rheinland-Pfalz 136 Menschen – die Menschen wurden nicht vor der nahenden Katastrophe gewarnt, was im Nachhinein auch der Landesregierung angelastet wurde.

Dreyers damaliger Innenminister Roger Lewentz (SPD) trat gut ein Jahr nach der Flutkatastrophe zurück, blieb allerdings SPD-Landeschef – ein Posten, den er nun auch aufgibt. Im sonst so beschaulich wirkenden Rheinland-Pfalz veränderte sich das politische Klima nach der Ahrtalflut. „Rheinland-Pfalz ging unter, und die Regierung ging schlafen“, lautete eine gängige Polemik zum Handeln von Dreyers zuständigen Ministern und auch zum Handeln der Ministerpräsidentin in der entscheidenden Nacht. Dreyers zuvor tadelloses Bild der einfühlsamen Landesmutter, die mit ihrem gewinnenden Lächeln die Menschen für sich einnimmt, war fortan beschädigt.

Kanzler Scholz würdigt Dreyer als volksnahe Politikerin

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den angekündigten Rücktritt der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer „mit sehr großem Respekt“ zur Kenntnis genommen. Der Kanzler habe „größte Wertschätzung“ für Dreyer als Regierungschefin einer erfolgreichen Ampel-Koalition, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Mittwoch in Berlin. „Er schätzt sie sehr als verlässliche und volksnahe Politikerin, die sich nicht ohne Grund hoher Beliebtheit erfreut.“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat Dreyer als überzeugte und leidenschaftliche Demokratin gewürdigt, deren Wirken auch über die Grenzen ihres Landes hinaus geschätzt werde. Zugleich sprach er der SPD-Politikerin seinen Dank für „den konstruktiven, mitunter auch strittigen, aber stets vertrauens- und respektvollen Austausch“ aus. Darüber hinaus habe ihn immer persönlich beeindruckt, wie Dreyer bei allen gesundheitlichen Herausforderungen ihre wichtige Aufgabe angegangen sei. „Darum ist sie ein Vorbild für viele Menschen, die mit Einschränkungen umgehen müssen“, bekräftigte Wüst.

Wochen der Entscheidung in Rheinland-Pfalz

Die Wahl des neuen Ministerpräsidenten soll am 10. Juli stattfinden. Die nächste Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ist turnusgemäß im Frühjahr 2026. Schweitzer hätte damit die Chance, bereits als profilierter Regierungschef in diese Wahl zu gehen.

Politikwissenschaftler Uwe Jun bescheinigte Dreyer am Mittwoch, einen guten Zeitpunkt für den Rücktritt gewählt zu haben. Knapp zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz habe ihr Nachfolger genug Zeit, sich in das Amt einzuführen, sagte Jun. Schweitzer trete in „sehr große Fußstapfen“. Es sei für ihn keine leichte Aufgabe, weil Dreyer sehr hohe Popularitätswerte habe.

Der 50-jährige Alexander Schweitzer (SPD) soll die Nachfolge von Malu Dreyer antreten. - © Arne Dedert/dpa
Der 50-jährige Alexander Schweitzer (SPD) soll die Nachfolge von Malu Dreyer antreten. | © Arne Dedert/dpa

Der aus dem südpfälzischen Landau stammende Schweitzer ist seit der Regierungsbildung nach der Landtagswahl 2021 wieder im rheinland-pfälzischen Kabinett vertreten. Der 50-Jährige war bereits in den Jahren 2013 und 2014 Minister gewesen, zwischenzeitlich war er dann Fraktionschef der SPD im rheinland-pfälzischen Landtag.

Künftiges Duell in Rheinland-Pfalz steht: Schweitzer gegen Schnieder

Mit dem nun angekündigten Rückzug der im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße geborenen Dreyer dürfte das in der Landespolitik künftig zentrale Duell stehen: Schweitzer gegen Gordon Schnieder von der CDU. Sowohl in der seit 1991 durchgängig im eigentlich strukturkonservativen Rheinland-Pfalz regierenden SPD als auch bei der Union hatte es immer wieder geheißen, dass nach der Europa- und Kommunalwahl auf die personelle Aufstellung für 2026 geschaut werden solle.

Bei der CDU war in der vergangenen Woche bekannt gegeben worden, dass Schnieder, der schon länger CDU-Fraktionschef im Landtag in Mainz ist, demnächst auch Chef der Landespartei werden soll. Der bisherige Amtsinhaber Christian Baldauf kündigte an, selbst nicht mehr anzutreten und Schnieder bei einer Sitzung des Landesvorstands am 9. Juli als seinen Nachfolger vorzuschlagen.

Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz regiert geräuschlos

18. Juli 2021: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (Mitte), gehen durch das vom Hochwasser verwüstete Dorf Schuld in der Nähe von Bad Neuenahr-Ahrweiler. - © Christof Stache/POOL AFP/dpa
18. Juli 2021: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (Mitte), gehen durch das vom Hochwasser verwüstete Dorf Schuld in der Nähe von Bad Neuenahr-Ahrweiler. | © Christof Stache/POOL AFP/dpa

Die 63 Jahre alte Dreyer ist seit 2013 Regierungschefin in Rheinland-Pfalz. In dem Amt folgte sie damals auf Kurt Beck, führte zunächst eine rot-grüne Landesregierung an und seit 2016 eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP an, die – anders als die auf Bundesebene – weitgehend geräuschlos agierte. Es ist im politischen Mainz ein offenes Geheimnis, dass Dreyer mit vielen Gesprächen einen wesentlichen Teil dazu beiträgt.