Dresden (dpa). Nach dem brutalen Angriff auf den Dresdner SPD-Europapolitiker Matthias Ecke hat sich ein 17-Jähriger der Polizei gestellt. Er habe in der Nacht zu Sonntag die Polizei aufgesucht und angegeben, der Täter zu sein, teilte das Landeskriminalamt (LKA) mit. Die Hintergründe der von vier jungen Männern am Freitagabend verübten Attacken auf Ecke und zuvor bereits auf einen Wahlkampfhelfer der Grünen waren am Wochenende noch unklar - die Ermittlungen dauerten an.
Politiker aller Parteien zeigten sich entsetzt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen. Zwei Bündnisse riefen für Sonntagnachmittag zu Demonstrationen in Berlin und Dresden auf - das Motto: „Gewalt hat keinen Platz in unserer Demokratie!“
Bund und Länder wollen am Dienstag über mögliche Konsequenzen aus der Gewalt beraten. Das kündigte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), an: „Ich werde meinen Länderkollegen den kommenden Dienstag als Termin für ein informelles Treffen auf Ebene der Innenministerkonferenz vorschlagen.“
SPD-Politiker liegt im Krankenhaus
Ecke ist sächsischer SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der 41-Jährige war am Freitagabend attackiert worden. Er habe einen Bruch des Jochbeins und der Augenhöhle sowie Hämatome im Gesicht erlitten, sagte Sachsens SPD-Chef Henning Homann am Sonntagnachmittag. Ecke sei am Sonntag operiert worden, es gehe ihm den Umständen entsprechend gut. Die SPD Sachsen geht davon aus, dass er seinen Wahlkampf fortsetzen wird. Das stehe aktuell aber nicht im Vordergrund stehe, hieß es.
Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe einen Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls verletzt. Laut Polizeiangaben vom Samstag werden die vier Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt - sie sollen dunkel gekleidet gewesen sein. Ein Zeuge habe sie dem rechten Spektrum zugeordnet.
Der 17-Jährige, der sich stellte, sei bisher nicht polizeilich in Erscheinung getreten, berichtete das LKA. Er sei nicht in Gewahrsam, da nicht davon auszugehen sei, dass er untertauche. Die drei anderen Tatverdächtigen sind weiter unbekannt.
Zahlreiche Angriffe gegen Politiker
Auch andere Parteien sind Ziel von Angriffen: Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein AfD-Landtagsabgeordneter nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen. In Dresden attackierten zwei 23-jährige Frauen und ein 28-jähriger Mann am Samstag unvermittelt einen Informationsstand der Partei und beschädigten Aufsteller, Plakate und einen Tisch, wie die Polizei mitteilte. Der Betreiber des Stands wurde nicht verletzt. Die Polizei stellte die Tatverdächtigen nach Hinweisen von Zeugen.
Zudem beschädigte laut Polizei eine Gruppe von 20 Jugendlichen in der Nacht zu Sonntag in Dresden augenscheinlich wahllos 21 Wahlplakate der AfD, der FDP, der CDU und der Linken. Eine Zeugin rief die Polizei, die einen 17-Jährigen ertappte, als er in der Schandauer Straße - wo Ecke und der Grünen-Helfer angriffen wurden - ein Plakat der Linken zerstörte.
Die Vorfälle reihen sich ein in eine bundesweite Folge von Angriffen auf Parteimitglieder vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni: Am Donnerstag waren in Essen der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben attackiert und Fliß geschlagen worden. Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt (Grüne) war vor einigen Tagen in Ostbrandenburgnach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und länger an der Abfahrt gehindert worden.

Die Zielgruppe der Angreifer hat sich zuletzt etwas verlagert: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so sind es nun die Grünen. Für die AfD wurden im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1.219. Für die SPD waren es 420, für andere Parteien weniger -insgesamt wurden 2.790 solche Straftaten gemeldet, wie die Regierung auf eine AfD-Anfrage mitteilte.
Lesen Sie auch: Angriffe auf Grüne – wenn Wut in Gewalt umschlägt
Die Grünen fordern daher mehr Schutz im Wahlkampf. „Die Innenministerinnen und -minister müssen jetzt Konzepte zum bestmöglichen Schutz von Politikerinnen und Politkern und vor allem von ehrenamtlich engagierten Wahlkämpfenden vorlegen“, sagte die Bundesgeschäftsführerin Emily Büning der Deutschen Presse-Agentur. Essenziell sei die Zusammenarbeit mit der Polizei und den Landeskriminalämtern. „Wie werden in unseren Kreisverbänden jetzt noch einmal die Empfehlung verstärken, dass jede Veranstaltung und jede Wahlkampfaktion den Sicherheitsbehörden vorab gemeldet werden sollte.“
Sonderkonferenz der Innenminister am Dienstag
Am Samstag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits eine schnelle Einberufung einer Konferenz für dringlich erklärt. „Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren“, hatte sie mit Blick auf die Gewaltattacken auf die Politiker erklärt.
Sie fügte an, Extremisten und Populisten, die mit völlig entgrenzten verbalen Anfeindungen gegen demokratische Politikerinnen und Politiker ein zunehmendes Klima der Gewalt schürten, trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es immer häufigere Attacken gebe.
Die Grünen in Sachsen haben nach den Angriffen vom vergangenen Wochenende bereits reagiert und schicken ihre Mitglieder nicht mehr alleine zum Plakatieren. Auch in anderen Parteien gibt es solche Überlegungen und Vorgaben mittlerweile.
Politiker verurteilen den Angriff
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich „entsetzt“ und nannte die Angriffe auf Ecke und Fliß sowie die Bedrängung und Behinderung von Vizebundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) vor einer Woche in Ostbrandenburg „unerträglich“. „Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung“, schrieb er in einer Mitteilung. Er appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend zusammenzustehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin: „Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option.“ Solche Geschehnisse hätten auch etwas zu tun mit Reden, die gehalten würden, und mit Stimmungen, die erzeugt würden, erklärte er bei einer SPD-Wahlveranstaltung.
Die sächsischen SPD-Landesparteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel erklärten in einer Mitteilung: „Das gewalttätige Vorgehen und die Einschüchterung von Demokratinnen und Demokraten ist das Mittel von Faschisten.“ Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät hätten, gehe auf, deren Anhänger seien völlig enthemmt. Die SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil schrieben in einer Erklärung von einem „Angriff auf alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die mit Leidenschaft für unsere Demokratie und den Rechtsstaat eintreten“.
„Ein Angriff auf unsere demokratischen Werte“
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zeigte sich an dunkelste Epochen der deutschen Geschichte erinnert. „Es ist schockierend und ein Angriff auf unsere demokratischen Werte, die Attacke auf SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke entsetzt mich zutiefst und ist durch nichts zu rechtfertigen“, schrieb er auf der Plattform X (vormals Twitter) weiter.
Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang schrieb auf X, Gewalt im Wahlkampf sei ein Angriff auf die Demokratie und damit auf alle. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte zu den Angriffen: „Sie sind der widerliche und unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung in den sogenannten sozialen Medien.“
Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schrieb auf X: „Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden.“ Der selbst aus Sachsen stammende Bundespartei- und Bundestagsfraktionschef wünschte Ecke „viel Kraft und rasche Genesung“.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sicherte ihrem Kollegen Ecke Unterstützung und Solidarität zu. Sie sei „entsetzt über den bösartigen Angriff“, schrieb Metsola auf X. Die Verantwortlichen müssten vor Gericht gestellt werden.