Neubauer über Demonstrationen: „Mutiger Beginn in diesem sehr schwierigen Jahr“

Was passiert gerade auf Deutschlands Straßen und Plätzen? Das, was wir auf der Straße erleben, ist eine geteilte Euphorie über den Gedanken, dass wir tatsächlich etwas gegen rechte Gefahren und Demokratiefeinde machen können. Ähnlich wie bei den Klimaprotesten sagen die Menschen: Die Welt ist schlecht, aber sie muss nicht so bleiben. Wir können etwas ändern. Eine Botschaft dieser großen Proteste in Sachen Demokratie ist, dass wir als Menschen, als Gesellschaft bereit sind, uns reinzuhängen. Dass wir uns die Mühe machen, in diesem Wahljahr über Politik zu sprechen: mit der Familie, mit den Freunden, mit den Kindern, auf der Arbeit, in der Schule, wo auch immer. >>> Lesen Sie auch: Proteste gegen rechts: Wo in OWL demonstriert wird Wie ist das Momentum aufrechtzuerhalten? Können wir für einen Moment anerkennen, wie viel bereits passiert ist? Gott sei Dank sind so viele Menschen gerade auf der Straße! Ich werde jetzt viel gefragt: Was soll das bringen? Keine Demonstration wird alleine den Faschismus und den rechten Populismus aus dem Land vertreiben. Das ist auch gar nicht der Auftrag. Diese Demonstrationen sind viel mehr: ein Ausgangspunkt für Bewegungen in der Gesellschaft und Politik in diesem Land, in Richtung Zusammenhalt, Solidarität und einer ganz dringend überfälligen Skandalisierung der rechtsextremen und rechtspopulistischen Kräfte, die wir die ganze Zeit um uns herum erleben und an die wir uns viel zu lange gewöhnt haben. Die Demos haben es möglich gemacht, ein AfD-Verbot ernsthaft zu prüfen. Und zusätzlich ist die Forderung an alle demokratischen Parteien, kategorisch die Mehrheitsbeschaffung mit Stimmen der AfD auszuschließen. Das sind alles wichtige Entwicklungen. Fürs Erste haben wir die Zeit der Resignation und Ratlosigkeit überwunden. Also muss es jetzt nicht jede Woche bis zur Europawahl im Juni und den Landtagswahlen im September Demonstrationen geben? Wir rufen für dieses Wochenende nach Berlin auf, am Wochenende des 25. Februar wird wieder groß dezentral aufgerufen. Da werden wieder Menschen im ganzen Land auf der Straße sein. Aus meiner Protesterfahrung kann ich sagen: Ein riesengroßer Effekt von Demonstrationen ist, dass Menschen sehr gerne darüber sprechen, dass sie auf einer Demonstration waren. Es fühlt sich nämlich gut an, weil es gelebte Demokratie ist. In diesen Gesprächen entfalten Proteste eine große Wirkung. Denn wir müssen nicht auf die eine Superheldin warten, die unsere Probleme löst. Vielmehr braucht es Millionen ganz normaler Menschen, die kleinteilige Arbeit machen. Die nachhaken, wenn der Kollege komische Sachen erzählt oder die 16-Jährige fragen: Weißt du, dass du dieses Jahr zum ersten Mal bei der EU wählen darfst? Das ist ja das Wunderbare an einer Demokratie. Sie ist im besten Falle auch da so lebendig, wo es nicht laut und hunderttausendfach auf der Straße bebt. Was hat Fridays for Future als Bewegung mit Erfahrung und der Organisationskraft konkret getan? Wie geht es weiter? Wir sind an vielen Orten Teil der Bündnisse, die diese Kundgebungen möglich machen. Es ist ein Gemeinschaftswerk, was gerade auf den Straßen passiert. Solche Proteste fallen aber nicht einfach vom Himmel, sondern dahinter steckt auch eine soziale Infrastruktur: Leute kennen sich, wissen, wie man Technik beschafft und Bühnen baut, wie man ein großes Plenum organisiert, wie man die Netzwerke erweitert und Redelisten organisiert. Fridays for Future ist einer der großen Akteure in diesem Land geworden, die diese soziale Infrastruktur mit am Leben gehalten haben. Eine lebendige Zivilgesellschaft zaubert man nicht herbei, das ist richtig harte Arbeit. Ich bin froh und dankbar, dass wir in der Bundesrepublik eine Zivilgesellschaft haben, die auch von der Klimabewegung mit aufgebaut und belebt wird. Sind Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus überhaupt die Aufgabe der Klimabewegung? Für uns hängt das eng zusammen. Wir werden gegen die Klimakrise nicht kämpfen können, wenn die Faschisten uns die Demokratie einreißen. Es ist kein Zufall, dass es die AfD ist, von allen Parteien, die die Klimawissenschaft leugnet und Wissenschaftlerinnen delegitimiert und Aktivistinnen kriminalisiert und bedroht. Gleichzeitig rauben Klimakatastrophen uns Gelder, die wir sonst in die Demokratie stecken könnten. Gerechter Klimaschutz ist so auch immer Demokratieschutz. Das hängt ja alles zusammen. Was wir jetzt machen, um die Brandmauer gegen Rechts zu stärken, ist für uns auch eine Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt uns wirksam für Klimaschutz einsetzen können. Was kann aus den Demonstrationen noch werden? Sie stärken im besten Fall die lokalen Bündnisse, denen sich gerade ganz viele Menschen anschließen und die eine Ressource sein können, wenn es zum Beispiel darum geht, dafür aufzurufen, zur Wahl zu gehen. Demonstrationen haben nicht nur einen Aufmerksamkeitseffekt, sondern auch einen Mobilisierungseffekt. Deswegen wird das ganz wichtig bleiben in diesem Jahr. Was wir gerade auf der Straße erleben, ist ein sehr mutiger Beginn in diesem sehr schwierigen Jahr.

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