Nathanael Liminski: „Demokratie ist anstrengender geworden“

Herr Liminski, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt, die AfD sei eine &bdquo;gefährliche Nazipartei“. Wir gehen einmal davon aus, dass Sie das genauso sehen. Nathanael Liminski: So ist es. Wenn diese Beschreibung zutrifft, muss eine Demokratie diese Partei dann aushalten, oder sollte sie verboten werden? Das Parteiverbot ist ein Schwert, das unsere wehrhafte Demokratie vorsieht. Ich finde es richtig, dass wir es nicht nur in den Schrank stellen, sondern dass wir uns sehr ernsthaft mit der Frage befassen, wann es gezogen werden muss. Dabei gibt es einiges zu beachten, verfahrensrechtliche Fragen wie die materiellen Voraussetzungen, nämlich verfassungsfeindliche Ziele, planmäßiges Vorgehen und ernsthaftes Gefährdungspotenzial. Was in Potsdam beraten wurde, wäre ein Angriff auf Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ist es richtig, das ernst zu nehmen. Wehrhaftigkeit verlangt Wachsamkeit. Kurzum: Ich bin dafür, dass das Schwert auf dem Tisch bleibt. Der Verfassungsschutz hantiert angesichts der AfD mit dem Begriff &bdquo;Rechtsextremismus“, aber auch mit der Verlegenheitsformel &bdquo;in Teilen rechtsextremistisch“. Könnte es juristisch bereits an dieser Stelle schwierig werden? Man muss aus den beiden NPD-Verbotsverfahren lernen und die Maßstäbe auf die AfD hin anwenden. Die AfD ist sich ganz offenkundig der Gefahr eines Verbotsverfahrens bewusst. Ihre Wahlprogramme werden erkennbar daraufhin formuliert, keinen Anlass für den Verdacht der Verfassungswidrigkeit zu bieten. Das primäre Ziel sollte aber schon sein, die AfD politisch zu schlagen? Deutschlands Demokraten haben zuerst die Aufgabe, diese Partei zu stellen und sie an der Wahlurne zu schlagen. Die Demonstrationen auf unseren Straßen sind ein wichtiges und ermutigendes Signal. Das Ziel muss sein, die Rechtsextremisten zuerst von der Straße und dann aus den Parlamenten zu verdrängen. In einer Zeit wie dieser, in der sicherheitspolitische Erschütterungen und Identitätsfragen im Zusammenhang mit anhaltender Migration auf eine Gesellschaft treffen, die sich erstmals seit Langem um Wirtschaft und Wohlstand sorgt, wittern Extremisten Morgenluft. Vor diesem Hintergrund gehört es zur Verantwortung von Regierungen und Parlamenten, auch ein Verbotsverfahren ernsthaft zu prüfen. In den Unionsparteien gab es gescheiterte Anpassungsversuche wie von Markus Söder, oder Versprechungen von Friedrich Merz, als CDU-Vorsitzender werde er die AfD &bdquo;halbieren“. Seitdem hat sie sich eher verdoppelt. Welche Verantwortung tragen Konservative für den Aufschwung dieser weitgehend völkisch gesinnten Partei? Sie tun jetzt so, als sei die Union ganz allein für die politische Stimmung in Deutschland verantwortlich. Fest steht: Friedrich Merz und Carsten Linnemann (CDU-Generalsekretär, Anm. d. Red.) finden gegenüber der AfD klare Worte. Und ich bin mir sicher: Mit einer unionsgeführten Bundesregierung stünde das Land auch diesbezüglich besser da. Wie kommen Sie darauf? Weil gutes Regierungshandwerk das beste Mittel gegen Populismus ist. Mit ihrer Politik und ihrem Stil stößt die Ampelkoalition Menschen vor den Kopf und verspielt damit Vertrauen – das Wichtigste in der Politik. Mehr noch: Kritik ist nicht erlaubt und wer sie äußert, wird wahlweise degradiert oder dämonisiert. Angesichts dessen meinen umso mehr Menschen in Deutschland, der Politik einen Denkzettel mitgeben zu müssen. Und sie werden ja auch bestätigt. Erst nach den starken Ergebnissen der AfD in Hessen und Bayern hat die Ampel begonnen, das Thema Migration ernsthaft zu diskutieren. Droht die Europawahl im Juni zur großen Abstrafwahl zu werden? Europawahlen wurden leider häufig als Protestwahlen genutzt – vor allem von denen, die sich in den fünf Jahren dazwischen darüber beschweren, dass in Brüssel angeblich nur Quatsch gemacht werde. Wenn Migration und Angst vor wirtschaftlichem Abschwung politisch nicht ernsthaft angegangen werden – durch Handlung, nicht nur durch Haltung – dann könnten wir erleben, dass die Menschen eine weitere Denkzettelwahl für nötig halten und die AfD stärkste Kraft bei der Europawahl wird. Das müssen wir mit allen Kräften verhindern. Wir brauchen im nächsten Europäischen Parlament eine konstruktive Mehrheit dafür, nicht nur dagegen. In diesem Jahr stehen außerdem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen an. Die Ergebnisse könnten Ihrer Partei einiges abverlangen, weil sie bislang an der Devise festhält, weder mit der AfD noch mit der Linken zu koalieren. Sollte die CDU ihr Verhältnis zur Linkspartei überdenken? Die CDU-Verbände im Osten werben erst einmal für ihre Politik, ihr Programm und ihr Personal – und nicht für eine Koalition. Und wenn die Frage einer Koalition kommen sollte, dann würde ich diese erst einmal an die Linke stellen: Bleibt sie bei ihrer ablehnenden Haltung zu EU und Nato? Es ist doch nicht nur die Frage, ob die CDU sich bewegt, sondern ob die Linke sich bewegt. Ist es in der Politik schwieriger geworden, Kompromisse zu schließen? Manchmal habe ich den Eindruck. Das liegt auch an der gesellschaftlichen Fragmentierung. Die Bindekräfte haben nachgelassen, das geht den beiden großen Volksparteien in Deutschland so, das gilt aber auch für andere Institutionen wie Kirchen oder Gewerkschaften. Demokratie ist anstrengender geworden. Umso mehr müssen wir dafür werben, dass der Kompromiss kein notwendiges Übel, sondern das ehrenwerte Ziel von Demokratie ist.

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