Faeser zu neuem EU-Asylsystem: „Tiefe Spaltung Europas überwunden“

Frau Faeser, das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) der EU ist jetzt unter Dach und Fach. Wann wird es umgesetzt sein? Und mit welcher Wirkung rechnen Sie? Wir haben nach zweijährigen sehr harten Verhandlungen eine tiefe Spaltung Europas in der Flüchtlingspolitik überwunden. Das ist ein großer Erfolg, auf den ich stolz bin. Jetzt geht es darum, die politische Einigung in Gesetzesform zu bringen und im Frühjahr - also vor der Europawahl - zu verabschieden. Wir erreichen damit einen umfassenden Schutz der EU-Außengrenzen und eine verpflichtende Registrierung aller Ankommenden, die dann nicht mehr einfach weiterreisen können. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, wird ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung direkt von dort zurückkehren müssen. Und erstmals kommen wir zu einer verbindlichen Verteilung von Geflüchteten in der EU. Das sind ganz große Schritte nach vorn, die auch unsere Kommunen dauerhaft entlasten werden. Die CDU fordert nun Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU. Ist das realistisch oder ein Wolkenkuckucksheim? Sowohl der Koalitionsvertrag als auch die jüngste Vereinbarung mit den Ministerpräsidenten enthält einen Prüfauftrag. Und dem kommen wir nach. Es ist aber längst nicht so einfach, wie manche in der Union behaupten. Zunächst muss man ein Land finden, das sich dazu bereit erklärt, Asylverfahren abzuwickeln und dabei humanitäre Standards zum Beispiel zum Schutz von Kindern einzuhalten. Im Übrigen kämen diejenigen, die zum Beispiel als Kriegsflüchtlinge ein Recht auf Schutz haben, dann nach einer Prüfung in diesem Drittstaat auch weiterhin in die Europäische Union. Andere müssten von dem Drittstaat aus in ihre Heimat zurückkehren. Das sind hochkomplexe Fragen, die die Union übrigens in 16 Jahren im Bundesinnenministerium nie angegangen ist. Ein Instrument zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen sind Grenzkontrollen nach Osten und Süden. Kritiker bezweifeln aber, dass sie wirklich helfen. Sind Sie mittlerweile vom Gegenteil überzeugt? Uns hilft, dass wir eng koordiniert mit unseren Nachbarstaaten handeln, die ebenfalls stärker kontrollieren. Damit die Flüchtlinge nicht bei ihnen bleiben. Genau. Zugleich sind die Grenzkontrollen wichtig für die Eindämmung der Schleuserkriminalität. Hier haben wir es mit einer unfassbaren Brutalität und Skrupellosigkeit zu tun, mit der Schleuser Menschenleben aufs Spiel setzen. Sie haben die Kontrollen gerade erst wieder um drei Monate verlängert. Nun sagt aber Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU), sie müssten so lange bleiben, bis andere Maßnahmen wirkten. Wir entscheiden, wenn die Verlängerung ansteht. Wenn wir bis dahin keine anderen Instrumente haben und sich die Zahlen nicht verändern, dann werden wir die Kontrollen weiterführen. Da bin ich pragmatisch. Ich muss mich aber an EU-Recht halten, das Fristen vorsieht. Kommen Sie angesichts der hohen Flüchtlingszahlen überhaupt wieder von diesen Kontrollen runter? Grenzkontrollen sind ein tiefer Eingriff in die Freiheit des Schengen-Raums. Da wollen wir auch wieder hin. Aber solange die Zahlen so hoch sind, kann ich das nicht verantworten. Deshalb arbeiten wir so hart daran, dass die EU-Außengrenzen endlich wirksam geschützt werden. Ihr zweites Hauptproblem ist gegenwärtig die wieder wachsende Gefahr islamistischer Anschläge. Haben Sie das Gefühl, die Sicherheitsbehörden haben die Lage im Griff? Ja, das habe ich. Denn wir arbeiten sehr konsequent daran, und die Bundesländer tun das auch. Wir haben eine verschärfte Sicherheitslage in Deutschland. Wir haben den Islamismus zwar immer auf dem Schirm gehabt. Doch seit dem furchtbaren Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober nochmal mehr. Die Gefahr geht unter anderem von Einzeltätern aus, die im Netz durch Terrorpropaganda radikalisiert werden. Was bedeutet das konkret? Anschläge wie zuletzt in Frankreich oder Belgien sind auch bei uns möglich. Zugleich sehen Sie, welche Fahndungserfolge wir haben und wie wir als Sicherheitsbehörden durchgegriffen haben. Wir haben islamistische Strukturen zerschlagen und bundesweit Razzien durchgeführt. Wir erhöhen weiter den Ermittlungsdruck. Und wir schützen insbesondere jüdische Einrichtungen. Das ist mir persönlich ein unglaublich wichtiges Anliegen. Für mich ist es unerträglich, dass Jüdinnen und Juden Angst haben, ihre Kinder in die Kita oder in die Schule zu bringen. Das muss sich ändern – durch das ganz klare Zeichen des Staates, aber auch unserer ganzen Gesellschaft: Wir stehen an Eurer Seite, wir schützen Euch. Radikale Proteste zeigten sich zuletzt einmal mehr in Berlin-Neukölln. Mit den Silvesterkrawallen in Neukölln hat das Jahr auch begonnen. Sorgen Sie sich, dass das neue Jahr ebenso beginnt? Ich habe die Sorge, dass Silvester wieder ein Tag sein könnte, an dem wir in manchen Städten blinde Wut und sinnlose Gewalt zum Beispiel gegen Polizisten oder Rettungskräfte erleben müssen. Ich weiß, dass sich die Bundesländer mit ihren Polizeien darauf jetzt anders vorbereiten als beim letzten Mal: mit neuen Gefährdungsbewertungen, mit mehr Polizei. Dafür bin ich vor allem den Einsatzkräften, die dort ihren Kopf hinhalten für unsere Sicherheit, sehr dankbar. Denn was in der letzten Silvesternacht passiert ist, haben alle noch sehr genau vor Augen. Für mich ist diese enthemmte Gewalt völlig unbegreiflich und durch nichts zu rechtfertigen. Wie können Jugendliche auf ehrenamtliche Sanitäter Raketen schießen oder Böller werfen? Viele kommen aus denselben Nachbarschaften. Deshalb kann ich nur an alle appellieren, einen friedlichen Jahreswechsel zu feiern und Gewalt – gerade in diesen schwierigen Zeiten – entgegenzutreten. Das heißt, Sie haben auch die Sorge, dass sich die &bdquo;normale“ Randale in diesem Jahr mit Ausschreitungen radikalisierter Palästinenser mischt. Ja. Wir haben mittlerweile an Tagen wie Silvester eine generell steigende Gewaltbereitschaft. Und natürlich müssen wir die Gefahr sehr genau im Blick haben, dass sich das auch mit Radikalisierungen mischt, die wir jetzt angesichts des Nahostkonflikts sehen.

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