SPD-Chefin Esken: "Ich verstehe die Ungeduld der jungen Menschen"

Frau Esken, aus einer aktuellen Meinungsumfrage geht hervor, dass sich die Menschen in NRW weit weniger um den Krieg in der Ukraine oder um Energiefragen sorgen als um Migration und Bildung. Überrascht Sie dieses Ergebnis? Saskia Esken: Die große Verunsicherung konnten wir als Ampelkoalition ein Stück weit auflösen. Wir haben keinen heißen Herbst und keinen Wut-Winter erlebt, denn wir konnten die Energieversorgung sichern und die Inflation so abfedern, dass sich auch keine schwerwiegende soziale Krise entwickelt hat. Wir haben die Folgen, die sich für unser Land durch den russischen Angriff auf die Ukraine ergeben, vorerst gemeistert. Doch das schreckliche Kriegsgeschehen haben wir alle nach wie vor auf dem Radar. Wie stehen Sie zur Asylfrage? Wir gestalten die Migration, die unser Land fraglos braucht, über eine humanitäre, aber geordnete Asylpolitik auf der einen und eine gezielte Politik für die Zuwanderung von Fachkräften auf der anderen Seite. Auch die jüngste Bildungsstudie verärgert offenbar die Menschen im Land. Bildungsthemen sind mir persönlich und der SPD ein Herzensthema. Dass jedes vierte Kind am Ende der Grundschule nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann, ist für mich ein Skandal. Ebenfalls als problematisch gewertet wird die Mobilität. Warum tut sich Deutschland insgesamt so schwer mit der Verkehrswende? Der Fachkräftemangel ist riesig, es fehlt Fahrpersonal. Auch die Energiepreise setzen den Verkehrsbetrieben zu. Ich habe aber das Gefühl, dass etwas passiert. Das Deutschlandticket bringt eine kleine Revolution in die Strukturen, und es gibt ja auch lokal sinnvolle Neuerungen im ÖPNV, die gerade in ländlichen Regionen ausgeweitet werden sollten. Verstehen Sie die Leute, die sich auf Straßen festkleben, weil ihnen die Klimapolitik nicht weit genug geht? Ich verstehe die Ungeduld, insbesondere der jungen Menschen, in Bezug auf die Klimapolitik. Es sollte aber auch bedacht werden, dass Protestformen, die möglicherweise eher nerven oder gar empören, wenig dazu geeignet sind, Menschen zu überzeugen. Fridays for Future hat hingegen viel Bewusstsein geschaffen und dadurch Einfluss geltend gemacht. Empört hat zuletzt vor allem das Heizgesetz. Was haben Sie gedacht, als Sie den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger in Erding rufen hörten, die Bevölkerung solle sich "die Demokratie zurückholen"? Das war ein populistischer Ausraster. Mit solchem unerträglichen Gerede wird Demokratie zersetzt. Aus meiner Sicht hat die Debattenkultur in Deutschland ohnehin schon schwer gelitten. Es ist gefährlich, wenn Politiker demokratischer Parteien über eine solche Sprache die Menschen aufwiegeln. Manche haben ja geradezu so getan, als würden jetzt überall die Heizungen aus den Kellern gerissen. Wo sehen Sie die Debattenkultur noch gefährdet? Konservative Kräfte verwenden derzeit wieder viel zu oft rechtspopulistische Begriffe. Friedrich Merz hat Migrantenkinder "kleine Paschas" genannt und mit Blick auf Ukraine-Geflüchtete von "Sozialtourismus" gesprochen. Auch Markus Söder hatte schon mal den Begriff "Asyltourismus" in den Mund genommen. Wer so spricht, stärkt am Ende nur die rechtsradikale AfD. Dabei sind wir als demokratische Parteien gemeinsam gefordert, genau an dieser Stelle gegenzuhalten. Ich rate dringend zur rhetorischen Abrüstung. Inwiefern sprechen Sie sich in der SPD über Fragen der politischen Kultur ab? Wir versuchen, stets sachlich zu bleiben – und ich glaube, dass uns das auch meistens gelingt. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben es verdient, dass wir in der Politik konstruktiv streiten statt uns irgendwelche Populismen oder gar Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Hat Kanzler Olaf Scholz zu lange zugeschaut, wie sich seine Koalitionspartner im Heizungsstreit gegenseitig zerlegen? Quergeschossen haben vor allem Leute außerhalb der Fachebene. Einige davon sind offenbar schwer einzufangen. Das ist tatsächlich ein Problem. Hätte es mehr politische Führung gebraucht? Es würde sich stark abnutzen, wenn Olaf Scholz jede Woche auf den Tisch hauen würde. Das wäre nicht besonders wirkungsvoll. Der Bundeskanzler hat einen anderen, einen kooperativen Führungsstil. Ich finde, das ist ein guter und moderner Führungsstil.

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