Bielefeld/Lübbecke (dpa/afp/groe/ww). Die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gehörte zu den Grünen-Politikerinnen, die weit über die Grenzen ihrer Partei hinaus geschätzt wurden. Mit einem gesunden Machtinstinkt ausgestattet, galt sie als Vermittlerin zwischen scheinbar unüberwindlich geltenden Positionen. Am Mittwoch ist die gebürtige Lübbeckerin mit 79 Jahren gestorben.
Sie sei im Kreise der Familie nach langer schwerer Krankheit friedlich gestorben, sagte ihr Sohn Johann Vollmer am Donnerstag.

Die promovierte evangelische Theologin Vollmer war 1983 als eine der ersten Abgeordneten der Grünen in den Bundestag eingezogen. 1984 gehörte sie zu der damaligen Fraktionsleitung, die erstmals nur aus Frauen bestand (Feminat). Von 1994 bis 2005 war sie Vizepräsidentin des Parlaments. Sie trat danach nicht mehr für die Wahl als Abgeordnete an, arbeitete als Publizistin und widmete sich ehrenamtlichen Tätigkeiten. Vollmer lebte viele Jahre in Bielefeld.
Der Bundestag unterbrach am Donnerstag eine laufende Debatte über das 49-Euro-Ticket für eine Schweigeminute. Die amtierende Präsidentin Yvonne Magwas (CDU) sprach Vollmers Familie das Mitgefühl des Parlaments aus und bat die Abgeordneten um ein kurzes Innehalten in Gedenken an Vollmer.
> > > Antje Vollmers Stimme der Versöhnung wird fehlen
Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die aktuell selbst Vizepräsidentin des Bundestages ist, twitterte: "Sie war von Beginn an dabei und hat Vieles von dem durchgekämpft, wovon wir heute profitieren. Die weibliche 3-er Spitze war legendär. Und sie hat ihren eigenen Kopf behalten, unbeugsam! Danke Antje."
Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen aus Bielefeld, würdigte Vollmer gegenüber dieser Zeitung als streitbare Persönlichkeit: "Die Nachricht vom Tod unserer langjährigen Parteifreundin und Weggefährtin Antje Vollmer macht mich sehr traurig. Antje hat unsere grüne Partei von Anfang an mit geprägt. Sie gehörte 1983 der ersten Bundestagsfraktion an. Sie war Mitglied des ersten weiblichen Fraktionsvorstands. Als Bundestagsvizepräsidentin lag ihr die Stärkung unserer Demokratie am Herzen. Sie ist viele Wege zum ersten Mal gegangen, die für viele Frauen in der Politik heute selbstverständlich sind. Antje Vollmer war eine aufrechte Persönlichkeit, streitbar, mit Standpunkt und voller Engagement und Diskursfreude. Sie wurde geschätzt dafür, ihre Meinung und Überzeugung konsequent zu vertreten. Mein Mitgefühl und meine Anteilnahme gilt ihrer Familie, ihren Freundinnen und Freunden und ihren Weggefährten."
Auch die Politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, erinnerte an Vollmer. „Meine Gedanken sind bei ihren Hinterbliebenen. Mein herzliches Beileid“, schrieb Büning.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas würdigte Vollmer auf Twitter als "engagierte Vorkämpferin für echte Gleichstellung und mutige Mahnerin mit klarer Haltung".
Der ehemalige CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier würdigte Vollmer auf Twitter mit den Worten: "Antje Vollmer war eine unbequeme Mahnerin, eine unbeirrbare Humanistin und eine bedeutende politische Persönlichkeit. Sie hat viel dazu beigetragen, die Grünen von einer linken Protestbewegung zu einer demokratischen Parlamentspartei zu machen. Ihr Tod ist ein großer Verlust."
Ministerpräsident Hendrik Wüst würdigte die Verstorbene: „Mit Antje Vollmer verlieren wir eine engagierte und streitbare Demokratin, die sich stets für Frieden und Dialog zwischen den Völkern eingesetzt hat. Ihr unermüdlicher Einsatz für den Pazifismus, war er manchmal auch unbequem, wird fehlen. Mein Mitgefühl gilt ihrer Familie und ihren Angehörigen.“

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erklärte: „Die Nachricht vom Tode Antje Vollmers trifft mich sehr. Sie war eine engagierte, mutige und streitbare Persönlichkeit. Als starke Frau, die politische Verantwortung nicht als Selbstzweck sah, sondern sie mit Nachdruck bereit war, auszufüllen, wird sie in Erinnerung bleiben. Schon früh mahnte sie die Grünen, sich den gesellschaftlichen Realitäten zu stellen, sich nicht nur mit theoretischen Debatten zu begnügen, sondern ganz konkret Politik zu gestalten. Als Grüne der ersten Stunde hat sie unglaublich viel für die Partei erreicht. Sie war im besten Sinne eine Unbeugsame. Das wird bleiben. Meine Gedanken sind bei Ihrer Familie und denen, die ihr nahe standen.“
Persönliche Worte fand auch Kerstin Müller, ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag: „Ich habe Antje Vollmer sehr geschätzt. Sie hat sich stets für das Gesamte verantwortlich gefühlt, zugleich konsequent und strategisch ihre Anliegen verfolgt und auch gegen Mehrheitsmeinungen in Partei und Gesellschaft vertreten. Sie wird fehlen – auch mir ganz persönlich.“
Michael Vesper, Gründungsmitglied der Grünen und Ex-Minister, kannte Vollmer nach eigenen Angaben seit Anfang der 80er Jahre, "als sie in Bielefeld für den Bundestag antrat und überraschend in denselben einzog". Vor allem von 1983 bis 1990 hätten Vollmer und er in Bonn zusammengearbeitet. „Ich bin sehr traurig über Antjes Tod", sagt Vesper. "Sie war nicht immer bequem, auch für ihre eigene Partei. Sie war eine Vordenkerin und auch eine Vorfühlerin, was politische Themen und deren Relevanz angeht.“
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur und Ex-Umweltminister von Schleswig-Holstein, sagte: „Eine wichtige und unbequeme Vordenkerin hat uns verlassen. Ihre Impulse werden fehlen.“
Antje Vollmer war Mitglied des Kreisverbandes Bielefeld und von 1983 bis 1990 Bundestagsabgeordnete mit Wahlkreisbüro in Bielefeld. Ihr Tod hat tiefes Bedauern und Trauer bei den Grünen Bielefeld ausgelöst. „Antje Vollmer war eine beeindruckende und gradlinige Persönlichkeit. Unvergessen ist sie mir als Bundestagsvizepräsidentin und natürlich als Mitglied des ,Feminats', des rein weiblichen Fraktionsvorstandes in den 80er Jahren. Ihr Tod ist für die Partei und die Gesellschaft ein großer Verlust“, schreibt Christina Osei, Co-Vorsitzende der Grünen-Ratsfraktion und Landtagsabgeordnete.
„Die gebürtige Lübbeckerin Antje Vollmer war überzeugt und überzeugend: Als Demokratin, als Theologin, als Abgeordnete. Sie stritt leidenschaftlich für Frieden, Menschenrechte und eine solidarische Gesellschaft - in der Regel mit ostwestfälischer Hartnäckigkeit. Wir werden sie schmerzlich vermissen", würdigte Achim Post, SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Minden-Lübbecke, Antje Vollmer.