Krieg in der Ukraine

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Ex-Merkel-Berater Erich Vad: "Wir sollten uns vor einer Eskalation hüten"

Der ehemalige Brigadegeneral Erich Vad warnt angesichts des Ukraine-Krieges vor Moskaus Möglichkeiten – und erklärt seine wohl größte Fehlprognose.

Erich Vad während seiner Zeit als militärischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel (2010 im afghanischen Kundus). | © picture alliance / dpa | Kristina Dunz

20.01.2023 | 21.01.2023, 14:43

Herr Vad, der SPD-Politiker Boris Pistorius wurde im Bundestag als Verteidigungsminister vereidigt. Was halten Sie von seiner Berufung?

Erich Vad: Die Personalie kam für mich überraschend, weil sein Name öffentlich nicht gehandelt wurde. Als langjähriger niedersächsischer Innenminister kennt er sich aus mit Sicherheitsfragen. Pistorius ist zudem ein Politprofi, er hat sein Ministerium gut und straff geführt. Das ist eine gute Voraussetzung, aber keine Erfolgsgarantie für das Verteidigungsressort.

Unternehmensberater Erich Vad bei einer Veranstaltung 2021. - © picture alliance / AAPimages / Timm
Unternehmensberater Erich Vad bei einer Veranstaltung 2021. | © picture alliance / AAPimages / Timm

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Der Minister steht vor der schwierigen Aufgabe der militärischen "Zeitenwende". Wie kann die Neugründung der Streitkräfte gelingen?

Es ist jetzt erst mal wichtig, das Budget für die Bundeswehr hochzufahren. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro allein wird nicht reichen, um die Bundeswehr als Ganzes zu ertüchtigen. Zweitens müssen wir aufpassen, dass die notwendige militärische Unterstützung für die Ukraine nicht jedes Maß übersteigt. Sonst gerät die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands an den Nullpunkt.

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, sagt, das Budget müsste auf 300 Milliarden Euro aufgestockt werden.

In diese finanzielle Richtung müsste es gehen.

Sie waren Anfang der 1990er Jahre Stabschef der Panzerbrigade 21 in Augustdorf. Die Bundeswehr ringt heute mehr denn je mit Material- und Beschaffungsproblemen. Wie steht es um die Moral unter den Soldatinnen und Soldaten?

In dieser Frage geht es um die Wehrmotivation der Deutschen insgesamt. Es stimmt bedenklich, dass nur wenige Deutsche bereit sind, mit der Waffe in der Hand für ihr Land zu kämpfen, nach Umfragen weniger als 20 Prozent. Wie soll eine Parlamentsarmee wie die Bundeswehr angesichts dieser Stimmungslage in der Mitte der Gesellschaft stehen? In Wahrheit ist sie weit davon entfernt. Die Deutschen müssen eine stärkere Bereitschaft spüren, etwas fürs Land zu tun.

Verteidigungsminister Pistorius hat immerhin gedient. Wird ihm das im Amt helfen?

Nicht unbedingt. Karl-Theodor zu Guttenberg war Unteroffizier, Thomas de Maizière sogar Oberleutnant der Reserve, beide haben im Amt aber nicht gerade reüssiert. Peter Struck hingegen hat nicht gedient, war aber, ähnlich wie Volker Rühe, ein guter Verteidigungsminister. Das ist allerdings lange her.

Pistorius hat gleich neue Töne angeschlagen. Deutschland sei "indirekt" am Krieg in der Ukraine beteiligt, sagte er. Was meinen Sie?

Dabei sollte es bleiben. Deutschland sollte sich nicht direkt in diesen Krieg hineinziehen lassen. Durch undosierte Waffenlieferungen sind wir schon auf einer Rutschbahn. Ich rate zur Vorsicht. Moskau ist bei Weitem noch nicht am Ende seiner militärischen Möglichkeiten. Die Russen haben trotz ukrainischer Erfolge ganz klar die militärische Eskalationsdominanz.

Am heutigen Freitag (20.1.) treffen sich auf der US-Luftwaffenbasis in Ramstein die Verteidigungsminister der westlichen Verbündeten, um über weitere Waffen zu sprechen. Was sollte Deutschland jetzt leisten?

Waffenlieferungen sind schon richtig, aber eben maßvoll. Auch wenn der Druck aus der Ukraine steigt, sollten Leopard-2-Panzer ausschließlich im europäischen Verbund geliefert werden, als Export über andere Länder oder gemeinsam mit unseren Partnern.

Leopard-Panzer könnten helfen, damit die Ukraine den Krieg zumindest nicht verliert. Was ist aus Ihrer Sicht das Kriegsziel?

Offiziell ist der gewünschte militärische End-State nirgends definiert. Mir fehlt bei unseren Waffenlieferungen das politische Konzept. Wenn wir nicht in einen dritten Weltkrieg rutschen wollen, müssen wir die Lage realistisch bewerten: Weder wird die Nuklearmacht Russland ganz und gar zu besiegen sein noch wird die Ukraine die Donbassgebiete oder die Krim militärisch zurückgewinnen können.

Sie werfen den Grünen vor, dass sie sich von einer Friedens- zu einer Kriegspartei gewandelt hätten. Was entgegnen Sie den Leuten, die die Grünen nie als eine pazifistische Partei, sondern vor allem als eine der Menschenrechte gesehen haben?

Der Begriff der wertebasierten Außenpolitik hat schon etwas. Wenn wir ihn aber richtig ernst nehmen, müssten wir weltweit intervenieren, auch im Jemen, im Irak oder Syrien. Die Hauptaufgabe unserer Außenpolitik sollte nicht interventionistisch angelegt oder der Ruf nach immer mehr Waffen sein, sondern Interessenausgleich, Verständigung und Konfliktbewältigung zielen. Das fehlt mir.

Sie gehören zu den Menschen in Deutschland, die sich von Beginn an gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen haben – ohne ebenjenen Interessenausgleich zwischen Russland, dem Aggressor, und der Ukraine. Ist der Grundsatz "Diplomatie endet nie" aus der Zeit gefallen?

Nein, er gilt immer noch. Es gibt Gesprächskanäle, es gibt eine Geheimdiplomatie. Das haben wir in dem Getreideabkommen gesehen. Das ist gut so. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Militärisch sind wir in einer Pattsituation. Das hat auch der amerikanische Generalstabschef Mark Milley gegenüber CNN gesagt.

Sie sehen eine "weitgehende Gleichschaltung" der deutschen Medien – nicht im staatlichen Auftrag, die Medien hätten sich nach Ihren Worten "selbst gleichgeschaltet". Warum verwenden Sie diesen historisch belasteten Begriff?

Dieser Begriff ist hart, zugegeben, vielleicht etwas zu hart. Aber ich sage ja "weitgehend", wie Sie richtig zitieren. Ich habe einfach mit Blick auf eine sehr emotional geführte Debatte in Deutschland das Gefühl, dass es sehr vielen Medien primär um die wünschenswerte Unterstützung für die Ukraine geht als um eine ausgewogene Berichterstattung und vor allem darum Wege zu finden, aus diesem brandgefährlichen Krieg herauszufinden.

Sie sagen, militärische Fachleute würden "weitestgehend aus dem Diskurs ausgeschlossen". Auf Ihrer Homepage findet man eine lange Liste von Beiträgen großer Medien, die Sie zitieren. Wie passt das zu Ihrer Kritik?

Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass unsere Medien objektiver berichten. Die Ukrainer sollen ihren Freiheitskampf erfolgreich führen. Die mediale Begleitung finde ich jedoch stellenweise zu einseitig. SPD-Chef Lars Klingbeil sagt auch, dass ihm wegen der ständigen Forderungen nach Waffen beinahe schwindelig werde. Die Mehrheit der Bevölkerung ist schon länger und auch laut aktueller Umfrage gegen weitere Waffenlieferungen.

Klingbeil hat zu Kriegsbeginn in Christopher Clarks "Die Schlafwandler" gelesen. Parallelen zu 1914 sehe er nicht, sagte er uns in einem Interview. Sie sehen durchaus Parallelen. Was hätten Sie der Regierungspartei SPD angesichts des Krieges geraten?

Deutschland sollte sich vor einer Eskalation hüten, denn dazu gehören immer mindestens zwei Parteien. In Europas Hauptstädten ist man fast euphorisch in diesen Krieg hineingegangen, das erinnert mich an 1914. In der heutigen Ukraine sehen wir längst einen Abnutzungskrieg – ähnlich wie im Ersten Weltkrieg. Dem fielen Millionen junger Soldaten zum Opfer – ohne politischen Sinn und Verstand. Das gilt es heute zu verhindern.

Am ersten Kriegstag, dem 24. Februar 2022, sagten Sie, militärisch gesehen sei "die Sache gelaufen". Ihre Bewertung war, dass "es nur um ein paar Tage gehen wird und nicht mehr". Sie gelten als einer der profiliertesten Militärexperten des Landes. Worin lag der Irrtum?

Zu Beginn des Krieges waren so gut wie alle Experten der Meinung, dass der Krieg nur sehr kurz sein würde. Manche sprachen von einer Neuauflage eines „Sechstagekrieges“, wie 1967 im Nahostkonflikt. Ich habe das damals auch so eingeschätzt. Die militärische Lageentwicklung in einem Krieg folgt nicht einem Drehbuch. Sie ist nur schwer voraussehbar. Krieg ist unkalkulierbar. Das gilt auch für den weiteren Verlauf des Ukrainekrieges. Deshalb ist statt emotionaler Kriegsrhetorik politische Klugheit angebracht.