Lars Klingbeil zum Ukraine-Krieg

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SPD-Chef: "Es gehört zu unserer Pflicht, einen Flächenbrand zu verhindern"

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten erklärt beim Redaktionsgespräch das außenpolitische Leitmotiv seiner Partei, die angesichts der Ukraine nicht so uneinig sei, wie sie manchmal wirkt.

Lars Klingbeil, 1978 in Soltau geboren, Vater Soldat, Mutter Einzelhandelskauffrau, ist seit 2021 Co-Vorsitzender der SPD. | © Barbara Franke

04.05.2022 | 04.05.2022, 05:00

Herr Klingbeil, der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat die vorläufige Absage von Bundeskanzler Olaf Scholz zu einer Kiew-Reise auf seine Weise kritisiert und Scholz vorgeworfen, die "beleidigte Leberwurst" zu spielen. Wie finden Sie das?

Lars Klingbeil: Ich finde, dass Olaf Scholz die Situation klar geschildert hat: Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist mit einer sehr großen Mehrheit der Bundesversammlung wiedergewählt – er ist der Politiker Nummer eins in diesem Land. Es ist schade, dass sein geplanter Besuch von der ukrainischen Regierung nicht gewünscht war.

Gehen Sie davon aus, dass Kiew sich noch korrigiert?

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Unser Fokus liegt darauf, dass dieser Krieg gestoppt wird. Darauf konzentrieren wir uns. Wir zeigen als Bundesrepublik jeden Tag, dass wir eng an der Seite der Ukraine stehen. Wir zeigen das mit harten Sanktionen gegen Russland, wir zeigen das durch Waffenlieferungen und auch durch unsere enge Abstimmung mit den internationalen Partnern.

Was bringen solche Besuche grundsätzlich?

Darüber möchte ich nicht philosophieren. Noch mal, es sollte in der öffentlichen Debatte darum gehen, was der Ukraine jetzt hilft und wie Putin und seine Vasallen gestoppt werden können. Dafür arbeitet Bundeskanzler Olaf Scholz gerade jeden Tag, stimmt sich in Europa und in der NATO ab.

Dass CDU-Chef Friedrich Merz nach Kiew gereist ist, finden Sie überflüssig?

Es liegt an Friedrich Merz, wie er diese Reise gestaltet. Wenn er dorthin gefahren ist, um nach dem gemeinsamen Antrag von Ampel und Union im Bundestag zu zeigen, dass die demokratischen Parteien in Deutschland die Ukraine gemeinsam unterstützen, dann ist das ein gutes Signal. Wenn er sich parteipolitisch profilieren will, schadet das dem Ansehen Deutschlands.

Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, dass in der SPD über die Konsequenzen dieses Krieges nicht überall Einigkeit herrscht. Wo steht Ihre Partei?

Wir stehen als SPD geschlossen hinter dem Kanzler und seiner Politik. Europa war viele Jahrzehnte lang der Garant für Frieden und für Stabilität. Dass von einer Großmacht wie Russland ein Angriffskrieg ausgeht – das hätte bis vor wenigen Wochen niemand gedacht. Das ist aber ja nicht nur für die SPD, sondern für alle Parteien, für ganz Europa eine völlig neue Lage. Der Umgang damit wird für meine Politikergeneration die größte Herausforderung werden.

Sie sagten vor diesem Interview, dass sie gerade Christopher Clarks "Die Schlafwandler" lesen, Untertitel: "Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog". Sehen Sie Parallelen?

Nein, die sehe ich nicht. Aber es gehört zu unseren Pflichten, einen Flächenbrand in Europa zu verhindern. Das heißt, wir müssen immer durchdacht und abgestimmt agieren, um keinen dritten Weltkrieg zu riskieren.

Kann die Lieferung schwerer Waffen, für die der Bundestag sich mit großer Mehrheit ausgesprochen hat, zu einem Frieden führen?

Die harten Sanktionen und der politische Druck gegen Russland, die Waffenlieferungen und die Widerstandsfähigkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer können am Ende dazu führen, dass Russland ernsthaft an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Das ist jedenfalls unsere Hoffnung als westliche Verbündete.

Ist ein Sieg gegen die Atommacht Russland überhaupt möglich?

Es geht darum, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt. Wir werden die imperialistischen Großmachtfantasien von Putin nicht einfach hinnehmen. Die Grenzen in Europa können mit Gewalt nicht verschoben werden. Klar ist auch: Wie die Bedingungen für eine Lösung aussehen, wird die Ukraine selbst formulieren.

Wieso entsteht der Eindruck, dass die kleineren Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, sich mit Waffenlieferungen leichter tun als die SPD?

Was in der Koalition passiert, passiert in enger Absprache. Und gerade über die Waffenlieferungen wird ja ressortübergreifend im Bundessicherheitsrat gemeinsam entschieden. Sicher, manche außerhalb der Regierung schwingen sich nun zu Militärexperten auf, obwohl sie die Bundeswehr bislang nur kannten, weil sie gegen sie demonstriert haben. Aber entscheidend ist, was wir konkret für die Ukraine tun. Und das ist sehr viel.

Ralf Fücks, ehemaliger Vorstand der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung, kritisierte die Bundesregierung, indem er sagte, dass in kaum einem anderen NATO-Land die Parteinahme für die Ukraine so stark von der Furcht gebremst worden sei, von Moskau als "Kriegspartei" eingestuft zu werden. Hat er da einen Punkt?

Diese Sicht teile ich nicht. Wir haben unsere Entscheidungen immer international koordiniert. Der Eindruck, dass Deutschland langsamer sei als andere, ist einfach falsch. Die NATO-Länder haben sich mit der Ukrainekonferenz in Ramstein gemeinsam für die Lieferung schwerer Waffen entschieden. Die Niederlande zum Beispiel können schwere Waffen liefern, weil wir sie mit Munition und Ausbildung unterstützen.

Werden das Industrieland Nordrhein-Westfalen und die Menschen, die in diesem Land leben, diesen Zustand auf lange Sicht aushalten, wenn man auf die Energiekosten schaut?

In der Koalition haben wir zwei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, die eine erhebliche finanzielle Erleichterung der Bürgerinnen und Bürger herbeiführen werden. Nehmen wir die Einmalzahlungen von 300 Euro oder die Abschaffung der EEG-Umlage. Wir haben die Lage genau im Blick. Es kann sein, dass wir bei den Entlastungen noch weitere Schritte gehen werden.