Vorstoß: Bürger sollen ukrainische Geflüchtete aufnehmen und Geld erhalten

Düsseldorf. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hat eine historische Fluchtbewegung ausgelöst. Viele ukrainische Geflüchtete kommen in Deutschland privat unter, indem Familien sie in ihren Wohnungen aufnehmen. Jetzt gibt es einen Vorstoß, um diese Aufnahmebereitschaft der Zivilgesellschaft zu erhalten und zu stärken. Die Idee: Haushalte und Familien, die freiwillig für einige Monate ukrainische Geflüchtete unterbringen, sollen vom Staat monatlich Geld erhalten. Die NRW-Landespolitik signalisiert Zustimmung. Die aktuelle Fluchtbewegung aus der Ukraine sei historisch "absolut einmalig", sagt Migrationsexperte Gerald Knaus, der Vorsitzender der Denkfabrik "Europäische Stabilitätsinitiative" ist. Bei zehn von elf Menschen, die in diesem Jahr in die Europäische Union geflohen seien, handele es sich um Ukrainerinnen und Ukrainer. Kein Land der Welt verfüge über ausreichend Plätze, um die große Anzahl der Geflüchteten in landeseigenen Einrichtungen unterbringen zu können, sagt Knaus im Gespräch mit dieser Redaktion. Der Migrationsforscher wirbt dafür, vor allem mit Blick auf den Winter, die Zivilgesellschaft noch stärker einzubinden - und macht einen konkreten Vorschlag. Knaus spricht sich dafür aus, dass die Bundesregierung Familien und Haushalte unterstützt, die Ukrainerinnen und Ukrainer im Winter freiwillig für vier bis sechs Monate unterbringen. Knaus schlägt eine Aufwandsentschädigung in Höhe von rund 500 Euro pro Monat sowie eine Betreuungsstruktur vor, also Ansprechpartner bei Fragen und organisatorischen Angelegenheiten. Die Idee orientiere sich am Vorgehen des englischen Staates, der Einwohner mit einer Art "Dankespauschale" bereits finanziell unterstütze. NRW-Ministerium begrüßt Überlegungen für weitere Unterstützungsangebote Umfragen zeigten, dass sich 20 Prozent der Deutschen vorstellen könnten, ukrainische Geflüchtete für einige Zeit privat bei sich unterzubringen, sagt Knaus. Bei einer Wohnungsgröße von mindestens 100 Quadratmetern mache das mindestens 800.000 Haushalte aus. Ein solches Vorgehen entlaste finanziell letztlich auch den deutschen Staat, da die Ukrainer ohnehin Anspruch auf Wohngeld hätten, welches aber aufwändig zu beantragen sei, sagt Knaus und spricht von "realistischen Plänen", für die er aktuell auch direkt beim Bundesinnenministerium werbe. Ohne die weitere Bereitschaft der Zivilgesellschaft wachse das Risiko, dass Kommunen die Geflüchteten erneut in großer Zahl sporadisch in Turnhallen und Zelten unterbringen müssten, sagt Knaus. Das Hilfskonzept solle sich vor allem auf die kommenden Monate konzentrieren. Noch immer sei es das Ziel der meisten Ukrainer, im Frühjahr in ihr Heimatland zurückzukehren. Bis dahin sollten private Haushalte für ihre Aufnahmebereitschaft finanziell unterstützt werden. Laut dem NRW-Flüchtlings- und Integrationsministerium verdient die private Hilfsbereitschaft zur Aufnahme ukrainischer Schutzsuchender – auch in ihren privaten Räumlichkeiten - "große Anerkennung der gesamten Gesellschaft". Vor diesem Hintergrund solle überlegt werden, wie diese Menschen "weiter unterstützt werden können", schreibt das Ministerium auf Anfrage dieser Redaktion. Die Idee einer unbürokratischen Pauschale solle "ernsthaft überlegt werden", meint auch die Regierungsfraktion der CDU im Landtag. Gerade vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Energiepreise könne eine solche Pauschale die Bereitschaft erhöhen, Menschen aus der Ukraine in den eigenen vier Wänden aufzunehmen, sagt der Sprecher für Integration und Flucht, Dietmar Panske. In der aktuellen Zeit "müssen wir bereit sein, auch solch innovative Ansätze zu verfolgen und mindestens auszuprobieren." Migrationsexperte Knaus fordert schnelle Pilotprojekte in großen Städten Auch der Landesintegrationsrat NRW unterstützt die Zahlung einer derartigen Pauschale an Privathaushalte "grundsätzlich", teilen die Vorsitzenden Tayfun Keltek und Ksenija Sakelsek auf Anfrage mit. Diese Unterstützung solle jedoch allen zukommen, die Geflüchtete bei sich aufnehmen, unabhängig von deren Herkunftsland, so der Landesintegrationsrat. Gleichwohl werfe ein solches Modell rechtliche und praktische Fragen auf. "Wie werden die Mittel der Dankespauschale verteilt? Wie erfolgt die Registrierung? Gibt es eine Unterscheidung danach, wie viele Personen aufgenommen werden? Werden Doppelzahlungen vermieden, wenn registrierte Geflüchtete Sozialleistungen erhalten und bereits Miete zahlen? Oder ist die Pauschale als zusätzliches Dankeschön gemeint?", fragt der Landesintegrationsrat. Auch das NRW-Flüchtlings- und Integrationsministerium verweist darauf, dass die private Unterbringungsart vor allem über einen längeren Zeitraum "herausfordernd für alle Beteiligten" sein könne. Es sei daher wichtig, die Grenzen dieser Unterbringungsart nicht zu übersehen. Bielefelds Sozialdezernent Ingo Nürnberger, der die Unterbringung der Geflüchteten in der Stadt verantwortet, begrüßt die Idee. In Bielefeld würden bereits von 3.900 ukrainischen Geflüchteten rund 2.400 privat untergebracht, teilweise auch in Wohnungen mit eigenem Mietvertrag. "Wenn es im Winter wirklich zu einer großen Fluchtbewegung aus der Ukraine kommt, werden wir auf Unterstützung aus der Gesellschaft angewiesen sein. Ich finde, wir sollten das Modell testen und sehen, ob es hilft." Voraussetzung sei natürlich, dass die Geflüchteten von der Stadt registriert und auch sozialarbeiterisch begleitet werden könnten, so Nürnberger. Auch Migrationsexperte Knaus regt an, das Konzept möglichst sofort in einer Stadt wie zum Beispiel Essen oder Düsseldorf auszuprobieren, um zu sehen, wie groß die Bereitschaft sei. "Dass unser Land es schafft, die einzigartige Fluchtbewegung zu meistern, hängt davon, ob es uns gelingen wird, die Aufnahmebereitschaft der Zivilgesellschaft zu erhalten."

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