Ukraine-Krieg

"Jeder hält seinen Mund": Die gespaltene Bevölkerung im Donbass

Panzerfallen und Straßensperren teilen Bachmut in zwei Bereiche. Doch durch die Frontstadt verläuft noch eine andere Grenze.

Panzerfallen, Straßensperren, Zerstörung: Eine Frau bahnt sich in Bachmut ihren Weg. | © AFP or licensors

15.08.2022 | 15.08.2022, 08:40

Bachmut. Wenn Nadija Gorbunowa über ihre Nachbarn spricht, die in der Warteschlange vor einer Post in der ukrainischen Stadt Mykolajiw stehen, wechselt sie vorsichtshalber die Straßenseite und spricht leiser. Die 58-Jährige vermutet, dass etwa 80 Prozent von ihnen die russischen Truppen unterstützen. Diese sind, weniger als zehn Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Flusses stationiert und sollen auf Befehl des Kreml den Donbass erobern - den industriell geprägten Osten der Ukraine, in dem ihre Heimatstadt Mykolajiw liegt.

"Es gibt keine körperlichen Auseinandersetzungen, aber die Aggressivität der Pro-Russen ist spürbar", sagt Gorbunowa. Ihr Jutebeutel lässt keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie steht: Er zeigt eine ukrainische Heilige, die mit einem brennenden Schwert einen Panzer zerstört. Der Konflikt spaltet die Bewohner der Dörfer und Städte an der Frontlinie, die seit Wochen ein einem unerbittlichen Kampf zwischen ukrainischen und russischen Truppen gefangen sind. "Es gibt hier keine Harmonie und keine Liebe", sagt Gorbunowa.

Das Auseinanderdriften der Menschen im Donbass begann im Jahr 2014, als pro-westliche Ukrainer in der Maidan-Revolution den pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzten und die Demokratie wählten. Und als, im selben Jahr, Russland die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim annektierte. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar kämpfen nun im Donbass ukrainische Streitkräfte gegen pro-russische Separatisten, die von Russland militärisch und finanziell unterstützt werden und bereits einen großen Teil der Region eingenommen haben.

Die Bewohner des Donbass, der aus den Regionen Donezk und Luhansk besteht, sprechen zwar überwiegend Russisch als Muttersprache, ethnisch sind sie jedoch nicht unbedingt Russen. Wie groß die Sympathien für Russland tatsächlich sind, ist schwer abzuschätzen. Die Frontstadt Bachmut ist laut britischem Verteidigungsministerium das Gebiet im Donbass, in dem die russische Offensive im vergangenen Monat am erfolgreichsten war. Ständig hallt Artilleriebeschuss durch die verlassenen Wohnhäuser, Panzerfallen und Straßensperren teilen die Stadt in zwei Bereiche.

Doch durch Bachmut verläuft noch eine andere Grenze: Die Bewohner seien auch "in ihrem Inneren in zwei Lager gespalten", sagt Sergej Nikitin. "Jeder hat seine eigene Meinung, und jeder hält seinen Mund." Seine eigene Überzeugung lässt der 52-Jährige allerdings durchblicken: Er spricht über den "Verfall" in der Ukraine, die Schließung vieler Fabriken seit dem Ende der Sowjetunion und die Möglichkeiten, in Russland Arbeit zu finden. Mychailo Matsojan hörte Nachbarn sagen, "dass es toll wäre, wenn die Russen kämen". Er stellte sie daraufhin zur Rede, erzählt der 38-Jährige. "Es kam fast zu einer Schlägerei, sodass ich gehen musste", sagt er. "Dummköpfen kann man nichts beweisen."

Soledar ist komplett verwüstet

Ein anderer Einwohner, der gerade aus einer Apotheke tritt, will nicht über Politik sprechen. "Wir warten alle auf den Frieden. Ich mache keinen Unterschied. Ich liebe alle", sagt er und eilt davon. Der 56-jährige Soldat Sergej trinkt an einem Straßenkiosk einen Kaffee. "Man trifft hier Menschen, die auf der Seite Russlands stehen", sagt er. "Ich erkläre ihnen, dass nicht wir es waren, die mit Waffen in ihr Land gekommen sind. Ich sage immer: Wenn ich mit Brot zu meinem Nachbarn komme, wird er den Tisch decken. Aber wenn ich mit einer Waffe komme, wird er sich wehren."

Bachmuts Nachbargemeinde Soledar liegt nur einen Steinwurf vom russisch kontrollierten Gebiet entfernt. Es wird vermutet, dass Moskaus Truppen bereits am Stadtrand, vielleicht sogar schon innerhalb der Stadtgrenzen stehen. Soledar wird fortdauernd beschossen und ist komplett verwüstet. Hier sind persönliche Überzeugungen zweitrangig, dafür ist die Lage zu ernst. "Wir warten nur darauf, dass das alles vorbei ist", sagt der 59-jährige Oleg Makeew. "Uns ist egal, ob Ukrainer oder Russen. Wir wollen ein friedliches Leben, sonst nichts." (AFP)