Terrorismusexperte: Welche Folgen durch den Ukraine-Krieg in Europa drohen

Herr Neumann, russische Soldaten sollen in der Ukraine an mehreren Orten Zivilisten gefoltert und getötet haben. Kann man hier von Staatsterrorismus reden? Peter Neumann: Ja, den Begriff kann man durchaus wählen. Heutzutage nutzt man den Begriff "Terrorismus" eher im Zusammenhang mit nichtstaatlichen Gruppierungen, die Angst und Schrecken verbreiten und so ihre Ziele durchsetzen wollen. Doch auch staatliche Armeen haben immer wieder Terrorismus genutzt, zum Beispiel die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs, ausgerechnet in der Ukraine.Dieser Taktik scheint sich Russland nun ebenfalls zu bedienen.Definitiv - dabei ist der Hintergrund klar: Russland hat große Probleme, eingenommene Gebiete auch zu kontrollieren. Die Ukrainer leisten enormen Widerstand - deutlich größer, als von Russland bei der Invasion wahrscheinlich angenommen. Die russische Armee scheint den Staatsterrorismus zu nutzen, um den Widerstand zu kontrollieren. Dabei senden die Täter über die Opfer hinaus eine Botschaft an die Bevölkerung und wollen so das Verhalten beeinflussen. Der Westen reagierte nach dem Bekanntwerden der Taten geschockt. Schadet sich Russland mit dem Verhalten nicht selbst? Davon muss man ausgehen. Es gilt: Je schlimmer die Gräueltaten und je offensichtlicher solche Massaker gegen das internationale Recht verstoßen, desto mehr mobilisiert man die Öffentlichkeit im Westen. Der Westen steht noch geeinter zusammen - und zieht noch stärkere Reaktionen in Betracht, um die Ukraine zu unterstützen. Zynisch gesagt: Aus Russlands Sicht ist das Mittel Staatsterrorismus ein gefährliches Spiel.Wieso gehen russische Soldaten dennoch so weit? Es ist ein Ausdruck von Verzweiflung Russlands. Verzweiflung, weil man nicht weiterkommt. Weil es kein Krieg ist, der in wenigen Tagen vorbei ist. Und weil der Widerstand enorm ist. Ich glaube aber nicht, dass dieser Staatsterrorismus wie in Butscha die präferierte Methode Moskaus ist.Dennoch ist diese Form auch eine psychologische Kriegsführung gegenüber der ukrainischen Zivilisation. Wie groß sind da die Aussichten auf Erfolg?Terrorismus ist eine brutale Form der Kommunikation. Es ist leider auch so, dass diese Taktiken bereits Erfolge für Russland gebracht haben. Nämlich in der Vergangenheit in Syrien und Tschetschenien, wo ein gleiches Muster und Vorgehen erkennbar war. In beiden Fällen waren die internationalen Mächte aber bereit, beide Augen zuzuschließen. Daher konnte es damals funktionieren.Hat Russland Erfolg? Und wie ist es jetzt? In der Ukraine ist die Situation anders als in Syrien oder Tschetschenien. Es gibt deutlich mehr Informationen. Die Toleranzschwelle im Westen ist niedriger. Die Aufmerksamkeit ist größer - und auch die Möglichkeit des Westens, in den Krieg einzugreifen. Daher wird dieses Vorgehen jetzt nicht so funktionieren wie zuvor.Sorgt diese Form von Staatsterrorismus wirklich nur für Angst und Schrecken? Sicher ist, dass die Opposition gegenüber Russland noch größer wird. Auf der einen Seite will die russische Armee den Widerstand durch solche Gräueltaten brechen, auf der anderen Seite wird der Widerstand an anderer Stelle durch das Wissen darüber größer. Russland versucht mit Biegen und Brechen ein Gebiet unter Kontrolle zu bekommen, in dem man keine anderen Mittel mehr sieht. Und man tut das mit Methoden, die das gesamte, große Ziel Russlands - der Sieg über die Ukraine - in Gefahr bringen.Welche Auswirkungen hat der Krieg für die Sicherheit in Europa?Es gibt auf russischer und ukrainischer Seite eine Mobilisierung von Auslandskämpfern, teils ist das Interesse enorm. Vergleichbar mit Syrien, als zum Beispiel deutsche Dschihadisten für den IS in den Krieg zogen - oder Menschen in das Gebiet reisten, um gegen die Terrormiliz zu kämpfen. Diese Auslandskämpfer, die in der Ukraine gekämpft haben, können bei ihrer Rückkehr nach Deutschland ein Problem darstellen. So war zum Beispiel zu beobachten, dass auch Rechtsextreme ausgereist sind."Möglich, dass Krieg an anderen Fronten gekämpft wird" Gibt es weitere Risiken? Der Konflikt wird noch länger dauern. Es gibt für keine der beiden Seiten - für die Ukraine erst recht nicht - einen einfachen Ausweg aus dem Konflikt. Es ist daher möglich, dass der Krieg auch an anderen Fronten gekämpft wird. Auch im Westen.Was meinen Sie damit?Sollte der Westen Maßnahmen ergreifen, die für Russland bedrohlich werden, besteht die Gefahr von Vergeltungsschlägen. Solche Schläge in anderen Ländern ist eine Eskalationsstufe, die droht - aber davon abhängt, wie sich der Konflikt entwickelt. Mit der Einschätzung, ob es so weit kommt, bin ich vorsichtig.Der Krieg könnte also Folgen für die westliche Sicherheit haben? Hypothetisch ja. Je nachdem, wie sich der Konflikt entwickelt und welche Handlungen bekannt werden, könnten zum Beispiel russische Botschaften im Westen Ziel von ukrainischen Angreifern werden. Auf der anderen Seite ist vorstellbar, dass Moskau politische Gegner im Westen töten lässt. Moskau hat bereits angedeutet: Eine noch stärkere Beteiligung des Westens für die Ukraine könnte zu Schlägen Russlands führen. Das alles sind aber Eskalationsstufen, die noch nicht erreicht sind und womöglich auch nicht erreicht werden.Gewaltvolle Konflikte, wie zum Beispiel zwischen türkischen Nationalisten und Kurden, finden dennoch auch auf deutschen Straßen statt. Drohen solche Szenen mit Bezug auf den Ukraine-Krieg? Denkbar sind solche Szenen auch hier. Allerdings haben die jüngsten Pro-Putin-Demonstrationen in Deutschland gezeigt, dass das Mobilisierungspotenzial auf russischer Seite bei weitem nicht so groß ist. Auch wenn man nicht ausschließen kann, dass es in Deutschland zwischen pro-ukrainischen und pro-russischen Aktivisten knallt, ist das aktuell noch kein großes Thema.

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