Grünen-Fraktionschefin: So wird der Ukraine-Krieg unser Leben verändern

Frau Haßelmann, die Bundesregierung bereitet sich auf einen möglichen Erdgas-Lieferstopp aus Russland vor. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat eine Frühwarnstufe eines Notfallplans ausgelöst. Was heißt das konkret? Britta Haßelmann: Die Versorgungssicherheit ist gegeben. Es gibt keine Versorgungsengpässe. Die Bundesregierung und insbesondere unser Wirtschaftsminister Robert Habeck arbeiten derzeit rund um die Uhr daran. Es geht jetzt darum, Vorsorgemaßnahmen zu erhöhen, um für den Fall einer weiteren Eskalation Wladimir Putins vorbereitet zu sein. Mit Ausrufung der Frühwarnstufe ist ein Krisenteam zusammengetreten, das die Versorgungslage fortlaufend bewertet. Auf dieser Grundlage können weitere Maßnahmen ergriffen werden, falls nötig. Wie verändert die neue Energiepolitik das Leben in Deutschland? Für uns alle geht es darum, aus den fossilen Energien so schnell wie möglich komplett auszusteigen. Es geht um den Ausbau der Erneuerbaren Energien, um Energieeinsparungen und -effizienz. "Worin die Atom-Gefahr liegt, zeigt doch gerade der Ukraine-Krieg" Können Sie sich in dieser Lage vorstellen, dass deutsche Atomkraftwerke vorübergehend wieder hochgefahren werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Unsere Atomkraftwerke werden wir auf gar keinen Fall wieder hochfahren. Wir schalten derzeit die letzten ab. Ein Ausstieg vom Ausstieg wäre weder energiepolitisch noch sicherheitspolitisch vertretbar. Wegen des Ukraine-Kriegs hält Belgien länger an der Kernkraft fest als geplant. Handelt die Regierungskoalition in Brüssel umsichtiger als die in Berlin? Dass zwei uralte Reaktorblöcke in Tihange und Doel trotz des geplanten Atomausstiegs 2025 weiterlaufen sollen, ist eine riskante Entscheidung. Es ist völlig unverantwortlich, was da gemacht wird. Worin die Gefahr liegt, zeigt doch gerade der Ukraine-Krieg: Atomkraftwerke sind weder gegen Flugzeugabstürze geschützt noch gegen gezielte Angriffe von außen. Wie gravierend sind die Abhängigkeiten innerhalb der Europäischen Union von russischem Uran? Russland liefert größere Mengen an Uran nach Europa. Auch in der Europäischen Union ist man in der Kernkraft weitgehend abhängig von russischen Lieferungen. Um die Versorgungssicherheit stattdessen auch über Erdgas zu gewährleisten, ist Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar geflogen – keine leichte Abwägung. "Die Kritik aus der Ukraine kann ich verstehen" Katar hat Hoffnungen auf kurzfristigen Ersatz für russisches Gas gedämpft. So richtig liefern könne das Land erst in drei Jahren. Wie gehen Sie damit um? Es sind schwierige Zeiten. Hinter uns liegen jahrelange verfehlte Energiepolitik – von Schröder bis Merkel. Wir haben uns in dieser Frage von Wladimir Putin abhängig gemacht. Die folgenschweren Auswirkungen spüren wir jetzt. Im Notfall werden wir unsere Reserven genau abwägen müssen. Das geschieht in sorgfältiger Vorbereitung. Sollte der Bundestag nach diesem Krieg die Verwicklungen deutscher Politikerinnen und Politiker zum russischen Staatspräsidenten noch einmal sorgfältig aufarbeiten? Wir haben von Beginn an gesagt, dass etwa Nord Stream 2 energiepolitisch aber auch geostrategisch eine falsche Entscheidung ist. SPD und CDU/CSU hatten dazu hartnäckig eine andere Position vertreten. Daher ist es richtig, wenn wir uns kritisch mit der früheren Russlandpolitik und den engen Beziehungen einiger zu Putin auseinandersetzen, um daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Militäreinsätze gelten in Ihrer Partei allenfalls als "ultima ratio". Sie haben den Hilferuf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag gehört. Lässt die Regierung sein Land hängen? Die Kritik aus der Ukraine kann ich verstehen. Das Land wird angegriffen, Menschen, darunter viele Kinder, sterben täglich. Unsere Regierung tut in einer politisch brisanten und gefährlichen Situation das, was für uns machbar ist. Wir liefern Waffen. Wir haben in der EU, mit den G7 und im transatlantischen Bündnis härteste Sanktionen vereinbart. Das gab es noch nie. "Dieser Mann gehört vor den Strafgerichtshof" Eigentlich hatte sich die Ampel-Koalition einiges vorgenommen, dann kam der Krieg. Sind Sie von der Realität eingeholt worden? Dieser Krieg mit all dem Leid für die Menschen in der Ukraine ist für alle politisch Beteiligten eine riesige Herausforderung. Putin hat nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte Friedensordnung angegriffen. Wegen seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine gehört dieser Mann vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Unsere Regierungskoalition muss nun innen- wie außenpolitisch schwerwiegende Entscheidungen treffen. Wir sind handlungsfähig. Hat Olaf Scholz inzwischen seine Rolle als Kanzler gefunden? Er ist wie die gesamte Regierung voll im Krisenbewältigungsmodus und hat seine Rolle als Kanzler gefunden. Der Druck ist enorm. Gleichzeitig tut der Bundeskanzler viel dafür, den politischen Kurs der Regierung öffentlich zu erklären. Außenministerin Annalena Baerbock wurde für ihren Auftritt vor der UN-Vollversammlung von vielen Seiten gelobt. Was sagen Sie jenen, für deren Geschmack sie manchmal zu emotional reagiert? Ihre Klarheit in der Sache, ihre Haltung, ihr Mut lassen sie sehr rational sein – da seien Sie sicher. Ich verstehe allerdings auch nicht, warum Empathie in dieser Lage ein Nachteil sein soll. Ich bin jeden Tag froh, dass Annalena Baerbock deutsche Außenministerin ist. Ich bin auch jeden Tag froh, dass Robert Habeck unser Wirtschaftsminister ist.

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