Bundeskanzler Scholz vor historischer Aufgabe

Bielefeld. Die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew und Moskau kann eine entscheidende Bedeutung im Kampf für den Frieden haben. Er trägt dabei aktuell eine große Verantwortung, aber als deutscher Kanzler auch eine historische. Angesichts der ultimativen Forderungen Moskaus, die die Souveränität der Nationen mit der Forderung nach alten Einflusszonen aussetzen, und der Umzingelung der Ukraine von drei Seiten aus mit inzwischen geschätzten 200.000 Soldaten, schweren Waffen und entsprechender Infrastruktur, ist es schwer erkennbar, wie ein Verhandlungserfolg unter Wahrung des Völkerrechts möglich sein sollte. Es dürfen Hitlers Taten in Russland nicht vergessen werden. Noch viel mehr Opfer der Nazi-Verbrecher gab es aber in der Ukraine und in Polen, die auch beide wie das Baltikum Opfer des Hitler-Stalin-Paktes waren. Die Behauptung des russischen Botschafters, dass &bdquo;die Ukraine mit Waffen, Truppen und Sondereinheiten vollgepumpt wird“, ist völlig falsch und angesichts des russischen Aufmarsches und der Besetzung der Ostukraine und der Krim schon seltsam. NATO hat sich seit 1990 an Vereinbarungen gehalten Auch hat die NATO sich an alle Vereinbarungen seit 1990 gehalten. Es gab und gibt keine Vereinbarung der NATO und Deutschlands, dass Polen, das Baltikum und andere nicht aufgenommen werden. Das weiß ich aus Gesprächen mit Helmut Kohl, aber auch mit dem damaligen polnischen Botschafter Skubischews. Nach den drei Teilungen Polens durch St. Petersburg, Berlin und Wien und der letzten von 1939 durch Hitler und Stalin, die gemeinsam den Überfall auf Polen durchführten, konnten wir Deutschen schwerlich den Polen den gesuchten Schutz in der NATO verweigern. Die NATO hat bis zum völkerrechts- und vertragswidrigen Einmarsch in der Ukraine und der ständigen Verletzung des Luftraums des Baltikums in allen neuen NATO-Gebieten einschließlich Ostdeutschlands keine ständigen Truppen- und Waffenstationierungen vorgenommen.Dass die NATO Russland umzingele, ist falsch von allen Stationierungen her, aber auch deshalb, weil nur sechs Prozent der russischen Grenzen an die NATO grenzen. Die NATO-Aufnahmen der Ukraine und Georgiens haben 2008 Deutschland und Frankreich auf dem Bukarest Gipfel verhindert. Es gibt keine konkrete Absicht, dies zu ändern. Moskau weiß das. Es dürfen aber im 21. Jahrhundert nach der KSZE-Schlussakte und der Charta von Paris nicht mehr Einflusszonen von Staaten festgeschrieben werden oder Kriege als Druckmittel eingesetzt werden. Auch haben Länder wie die Ukraine das Recht, Handels- und Wirtschaftsverträge etc. mit wem auch immer zu unterschreiben. Putin will zum zaristischen Kolonialismus zurückkehren In einem langen Essay hat Putin im vergangenen Sommer geschrieben, dass Länder wie die Ukraine und Weißrussland aus ethischen und historischen Gründen kein Recht auf Eigenständigkeit hätten. Das ist in der Sache falsch. In Wirklichkeit will er zum zaristischen Kolonialismus zurückkehren. Auch muss Putin auf die nationalistische Karte setzen. Eine wirtschaftlich und sozial erfolgreiche demokratische Ukraine ist schon jetzt bedrohlich für seine Macht, da er seinen Bürgern auf diesen Gebieten keinen Fortschritt bieten kann. Der Bundeskanzler kann Putin anbieten, die bis 2014 geplanten Hilfsmaßnahmen der EU für Russland zu verwirklichen. Russland hat eine Reihe von Abrüstungsverträgen, die dann Trump leider gekündigt hat, gebrochen. Die heute in Kaliningrad stationierten russischen Atomraketen bedrohen unmittelbar sieben EU-Staaten. Biden und die NATO sind bereit, durch entsprechende Abrüstungsverträge die gegenseitige Sicherheit zu gewährleisten. Wenn Putin guten Willens ist, hat der Bundeskanzler gute Chancen auf einen Durchbruch. Dabei müssen aber auch die NATO und die EU mit allen ihren Möglichkeiten positiver und negativer Art eingebracht werden. * Der Autor ist Berater der Münchner Sicherheitskonferenz. Elmar Brok ist zudem Vizepräsident der Christlich Demokratischen Internationale.

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