Ukraine-Konflikt

Abzug von Botschaftspersonal aus Kiew: Baerbock warnt vor Panikmache

Die USA sprechen von einer Vorsichtsmaßnahme. Doch die Lage scheint ernst. Kiew kritisierte den Rückruf der Mitarbeiter als „übertriebene Vorsicht".

24.01.2022 | 24.01.2022, 12:41

Washington (dpa). Die US-Regierung verringert angesichts der angespannten Lage im Ukraine-Konflikt mit Russland ihre Botschaftspräsenz in Kiew. Die freiwillige Ausreise nicht unmittelbar benötigter Beschäftigter wegen der anhaltenden Bedrohung durch russische Militäraktionen sei genehmigt worden, teilte das US-Außenministerium mit. Familienangehörige von Diplomatinnen und Diplomaten wurden aufgefordert, die Ukraine zu verlassen.

Auch Großbritannien zieht Mitarbeiter aus seiner Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Als Reaktion auf die wachsende Bedrohung durch Russland würden einige Beschäftigte und Angehörige aus der Botschaft zurückgerufen, teilte das Außenministerium in London am Montagmorgen mit.

Die Ukraine hat die Reduzierung des US-Botschaftspersonals in Kiew als „übertriebene Vorsicht" der USA bezeichnet. „Wir halten einen solchen Schritt der amerikanischen Seite für verfrüht", teilte das Außenministerium am Montag in der Hauptstadt Kiew mit. Die Sicherheitslage habe sich „nicht grundlegend verändert".

Baerbock warnt vor Panikmache

Das Auswärtige Amt arbeitet an Krisenplänen für Botschaftsmitarbeiter und andere deutsche Staatsangehörige in der Ukraine, sieht derzeit aber keinen Anlass für umfangreiche Rückholaktionen. Die Rückreise nach Deutschland könne aber auf freiwilliger Basis erfolgen, sagte ein Außenamtssprecher am Montag in Berlin. Die Möglichkeit zur freiwilligen Rückreise gelte auch für Angehörige von Mitarbeitern deutscher Organisationen wie etwa des Goethe-Instituts oder der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Kosten für die Rückreise würden vom Auswärtigen Amt beziehungsweise von anderen Arbeitgebern getragen.

Nach Angaben von Baerbock sollte es auch an diesem Montag wieder eine Sitzung zur Krisenvorsorge mit Blick auf deutsche Staatsangehörige geben. Solche Sitzungen gebe es regelmäßig, sagte sie. Baerbock warnte dabei auch vor den möglichen Folgen von Panikmache. Man sei in einer Situation, wo das Auswärtige Amt und Unternehmen weiter vor Ort arbeiteten, wo man vor allen Dingen die Unterstützung der Ukraine - auch die wirtschaftliche Unterstützung - in den Mittelpunkt stelle. Deswegen dürften die Vorbereitungen nicht zu einer Verunsicherung mit Blick auf Investitionen in die Ukraine genutzt werden.

Eine "Vorsichtsmaßnahme"

Es handle sich bei den Maßnahmen die US-Botschaft betreffend um „Vorsichtsmaßnahmen", sagte eine hochrangige Beamtin des US-Außenministeriums. Auf die Frage, warum diese Entscheidung ausgerechnet jetzt getroffen worden sei, verwies das Ministerium auf die Warnung des Weißen Hauses aus der vergangenen Woche, wonach es jederzeit zu einem Einmarsch Russlands in die Ukraine kommen könne.

Die Ausreise des nicht vor Ort notwendigen Personals sei freiwillig. Familienangehörige seien jedoch dazu verpflichtet, das Land zu verlassen. Über den Schritt war bereits seit einigen Tagen spekuliert worden.

Entsendung von US-Soldaten?

Wegen der Spannungen mit Russland verstärken eine Reihe von Nato-Mitgliedstaaten ihre Militärpräsenz in Osteuropa: Das Bündnis erklärte am Montag, es sollten zusätzliche Kampfflugzeuge und Marineschiffe in die Ostsee und in osteuropäische Länder wie Litauen oder Bulgarien entsandt werden.  Der Erklärung zufolge wollen Nato-Staaten wie Dänemark, Spanien und die Niederlande ihre Militärpräsenz in Osteuropa aufstocken, die USA und Frankreich erwägen dies demzufolge. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte die Ankündigung der Mitgliedstaaten. "Die Nato wird weiterhin alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz und zur Verteidigung aller Bündnispartner ergreifen", betonte der Norweger

US-Präsident Joe Biden hatte sich über die Krise mit Moskau am Wochenende mit seinem Sicherheitsteam beraten. Der New York Times zufolge steht nun die Entsendung von US-Soldaten sowie von Kriegsschiffen und Flugzeugen zu Nato-Verbündeten im Raum. Die US-Regierung zeigte sich diesbezüglich zuletzt eher zurückhaltend. Die Zeitung berief sich auf mehrere nicht namentlich genannte Beamte. Aus dem Weißen Haus gab es für derartige Pläne zunächst keine Bestätigung. Zu den Optionen gehöre die Entsendung von 1.000 bis 5.000 Soldaten in osteuropäische Länder, mit der Möglichkeit, diese Zahl zu verzehnfachen, wenn sich die Lage verschlechtere, hieß es in dem Bericht. Eine Entscheidung werde noch in dieser Woche erwartet.

Auf die Frage, ob die USA US-Soldaten in die Ukraine im Falle einer Invasion schicken würden, reagierte US-Außenminister Blinken am Sonntag ausweichend. Die Nato selbst werde weiterhin in erheblichem Maße gestärkt werden, falls Russland erneute Aggressionen verübe, sagte er. Biden hatte eine Entsendung von US-Soldaten in die Ukraine zuvor ausgeschlossen. Die USA unterstützen die Ukraine mit militärischem Material. Aktuell sind dem Pentagon zufolge weniger als 200 Militärs der Nationalgarde von Florida in der Ukraine im Einsatz.

Blinken verteidigt Deutschland

Nach den umstrittenen Äußerungen des inzwischen zurückgetretenen deutschen Marine-Inspekteurs Kay-Achim Schönbach sah sich Blinken außerdem genötigt, Deutschland zu verteidigen. Er wurde in mehreren Interviews auf das Thema angesprochen. „Ich kann Ihnen sagen, dass die Deutschen unsere Besorgnis teilen und entschlossen sind, schnell, wirksam und geschlossen zu reagieren", sagte Blinken auf die Frage, ob die Bundesregierung zu zurückhaltend in der Krise sei. Der deutsche Vizeadmiral hatte bei einem Auftritt in Indien Verständnis für Russlands Staatschef Wladimir Putin geäußert.

Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte in der „Süddeutschen Zeitung", „dass es hohe Kosten haben würde für Russland, wenn es eine militärische Aggression gegen die Ukraine gibt". Auf Nachfrage, welche das sein könnten, sagte er: „Im Kreise der Verbündeten verständigen wir uns, wie mögliche Maßnahmen aussehen." Die Bundesregierung hatte klar gemacht, dass bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine alle Optionen auf dem Tisch liegen - auch Konsequenzen für die Gaspipeline Nord Stream 2.

Treffen in Brüssel

Bei dem Treffen in Brüssel soll nun der Umgang mit als inakzeptabel erachteten Forderungen Russlands Thema sein. Zudem wird erwartet, dass Blinken über die Krisengespräche mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Genf berichtet. Nach Angaben des Auswärtigen Dienstes der EU wird sich Blinken per Videokonferenz zu einem physischen Treffen der europäischen Minister zuschalten.

Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine wird im Westen befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbarland planen könnte. Für möglich wird allerdings auch gehalten, dass nur Ängste geschürt werden sollen, um die Nato-Staaten zu Zugeständnissen bei Forderungen nach neuen Sicherheitsgarantien zu bewegen. Erklärtes Ziel Russlands ist es etwa, dass die Nato auf eine weitere Osterweiterung verzichtet und ihre Streitkräfte aus östlichen Bündnisstaaten abzieht. Die Nato, aber auch die EU lehnen diese Forderungen als inakzeptabel ab.

USA warnt Reisende vor zunehmender Bedrohung

Die USA passten auch ihre Reisehinweise für die Ukraine und Russland an. Für beide Länder wurde bereits zuvor von Reisen abgeraten - es gilt weiterhin die höchste Gefahrenkategorie 4. Für die Ukraine warnt die US-Regierung nun konkret vor der zunehmenden Bedrohung durch russische Militäraktionen - zuvor war neben Corona vor den „zunehmenden Bedrohungen seitens Russlands" die Rede. Das Außenministerium machte deutlich, dass es im Falle eines Einmarsches Russlands keine Evakuierungsaktion geben werde - US-Bürgerinnen und -Bürger sollten sich nun um kommerzielle Flüge bemühen.

US-Außenminister Blinken bekräftigte, dass Russland versuche, die Ukraine zu destabilisieren, um die Regierung in Kiew zu stürzen. Dabei nahm er auch Bezug auf die Warnung aus London, wonach Russland angeblich massiv politischen Einfluss in der Ukraine nehme und eine pro-russische Führung in Kiew etablieren wolle. Derartiges Vorgehen sei Teil des russischen „Werkzeugkastens".