 
                        Schon im Vorfeld der Antrittsbesuche von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag in Warschau hatten in Polens Hauptstadt aufgehängte Plakate mit schrillen antideutschen Tönen für Aufsehen gesorgt. Gestaltet von dem Künstler Wojciech Korkuc, zeigen sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ex-Kanzlerin Angela Merkel in einer Reihe mit Adolf Hitler und NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
Die mit dem Logo des polnischen Kulturministeriums versehenen Plakate fordern ein Bekenntnis Deutschlands zu Reparationszahlungen an Polen für im Zweiten Weltkrieg erlittene Schäden und Kriegsverbrechen. Diese Forderungen sind nicht neu, und ähnliche Plakataktionen hatte es schon in den vergangenen Monaten gegeben. „Dass sie jetzt mit neuen Motiven wieder aufgehängt worden sind, ist sicherlich kein Zufall", sagt Peter Oliver Loew im Gespräch dieser Redaktion.
Als Direktor des seit 1980 in Darmstadt existierenden Deutschen Polen-Instituts ist er ein exzellenter Kenner der deutsch-polnischen Beziehungen und verfolgt als Historiker auch die seit Jahren schwelende Diskussion um deutsche Reparationszahlungen.
Neue antideutsche Welle in Polen
Nach Loews Beobachtung hat die nationalkonservative PiS-Regierung die Übergangsphase der Regierungsbildung in Berlin genutzt, um klar zumachen, welche Erwartungen man gegenüber Deutschland hat. „Man kann von einer neuen antideutschen Welle in Polen sprechen", sagte Loew. Im Grunde gehe es darum, Deutschland in Schach zu halten und in seinen liberalen Reformvorstellungen in Bezug auf die EU zu bremsen.
Die Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die EU „ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt", was auch als Signal an Polen gewertet werden kann, das seit Monaten mit Brüssel im Streit liegt, unter anderem wegen staatlicher Eingriffe in das unabhängige Justizsystem. Die Vorstellungen der neuen Bundesregierung von einer EU als föderalem europäischen Bundesstaat gehen den konservativen Kräften in Polen viel zu weit.
Bislang noch keine offiziellen Forderungen
Schon 2017 hatte Warschau eine Parlamentskommission eingesetzt, um herauszuarbeiten, wie hoch die durch Deutschland verursachten Schäden im Zweiten Weltkrieg zu beziffern sind. Der Abschlussbericht der Kommission ist trotz mehrfacher Ankündigungen bisher nicht veröffentlicht worden, obwohl sie schon 2020 ihre Arbeit für beendet erklärte. Zuletzt hieß es, er käme im Februar 2022 heraus. Und: Polen hat bislang noch nie offiziell Reparationen von Deutschland gefordert.
Dennoch hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im November die Gründung eines neuen Instituts unterzeichnet, das den Namen des polnischen Widerstandskämpfers Jan Karski tragen, sämtliche Kriegsschäden erfassen und Reparationsansprüche verfolgen soll. „Das Thema ist nicht vom Tisch, weil Polen sehr schlecht behandelt wurde, indem es keine Reparationen erhalten hat", sagte Morawiecki zur Begründung.
Wie sieht es rechtlich aus?
Nach polnischen Schätzungen von 1946 belaufen sich die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden inklusive Zinsen auf 800 Milliarden Euro. „Es war auch schon von einer Billion Euro die Rede", weiß Loew zu berichten. Und er sieht in diesen Summen sogar eine Berechtigung, wenn man die enormen Schäden betrachtet, die Deutschland an Menschen und Material in Polen angerichtet hat. Allerdings, so der Historiker, seien mit dem 1990 unterzeichneten Zwei-plus-Vier-Vertrag alle Reparationsansprüche gegen Deutschland völkerrechtlich abgeschlossen.
An diese Rechtsauffassung wird sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Warschau-Besuch am Sonntag halten, denn auch aus Sicht der Bundesregierung ist das Thema rechtlich und politisch abgeschlossen. Allerdings sind im Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen der DDR, der BRD und den ehemaligen Besatzungsmächten USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien Reparationszahlungen gar nicht erwähnt und einst betroffen Staaten wie Griechenland, Jugoslawien und Polen waren an den Verhandlungen nicht beteiligt.
 
                 
                                 
                                 
                                