Grünen-Kandidatin Baerbock: "Man muss auch einstecken können"

Frau Baerbock, der frühere Grünen-Außenminister Joschka Fischer hat das Kanzleramt mal als &bdquo;Todeszone der Politik" bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?Annalena Baerbock: Wenn es darum geht, den Status Quo herauszufordern, und Dinge wirklich anders zu machen, geht es hart zu. Das erfordert Mut und auch die Fähigkeit, mal einstecken zu können. Wichtig ist mir, dass wir trotz allen Wettstreits in der Sache fair und respektvoll miteinander umgehen. In einigen Umfragen, wem die Deutschen am ehesten das Kanzleramt zutrauen, landet FDP-Chef Christian Lindner mittlerweile vor Ihnen. Was bedeutet das für Sie?Es sind noch gut drei Wochen bis zur Wahl. In diesen werbe ich um das Vertrauen der Menschen. Am 26. September entscheiden wir, ob unser Land im Weiter so verharrt oder ob wir gemeinsam einen Aufbruch schaffen und alles dafür tun, die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Ich möchte deshalb die Menschen davon überzeugen, dass sie sich bei meiner Partei und mir auf eine Politik für eine gute Zukunft verlassen können. Haben Sie Sorge, dass es am Ende auf eine Koalition aus SPD, CDU und FDP hinauslaufen wird – ohne die Grünen?Das würde einen völligen Stillstand für unser Land bedeuten. Eine Regierung ohne Grün ist wie Klimaschutz ohne Schutz. Eine weitere Regierung, die konsequenten Klimaschutz verweigert, können wir uns nicht mehr leisten. Deswegen werde ich alles geben, damit die Grünen die nächste Regierung anführen. Kritiker sagen: Die Grünen sind eine Verbotspartei. Was entgegnen Sie?Wir sichern die Freiheit und sorgen für Fairness. Wir sind eine Ermöglichungspartei. Wer sich wie wir für starken Klimaschutz einsetzt, ermöglicht uns und künftigen Generationen ein freies und gutes Leben. Ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft braucht Regeln. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Dinge gesetzlich geregelt werden müssen. Zum Beispiel?Vor ein paar Tagen hat Algerien als letztes Land der Erde bleihaltiges Benzin verboten. In Deutschland wurde das bereits 1996 gemacht. Das hat unsere Luftqualität verbessert und den Schadstoffausstoß verringert, damit alle gesünder leben können. Auf diesem Weg müssen wir nun weitergehen. Was der Allgemeinheit massiv schadet, sollte in Zukunft nicht mehr erlaubt sein. Wir stehen dafür, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden dürfen. So sichern wir tatsächlich saubere Luft und schützen unser Klima. In den 50er Jahren war es der VW Käfer, mit dem unsere Großeltern nach Rimini gefahren sind. Das Gefühl von Freiheit und Aufschwung. Und jetzt, in den 2020ern, brauchen wir wieder solche Autos, aber elektrisch: Elektro-Autos vom laufenden Band, für alle bezahlbar und ein Exportschlager als deutscher Job-Motor. Gerade in OWL muss man im Auto mitunter große Entfernungen zurücklegen. Wie soll das mit der geringen Reichweite eines Elektroautos funktionieren?Die Reichweiten sind ja deutlich gestiegen und werden es auch weiter. Dennoch müssen wir insbesondere im ländlichen Raum dafür sorgen, dass in den kommenden Jahren die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird. E-Autos müssen zudem für alle bezahlbar werden. Dafür wollen wir die Förderung beim Kauf von 6.000 auf 9.000 Euro für Geringverdiener erhöhen – bei neuen wie auch gebrauchten E-Autos. Aber natürlich müssen wir daneben auch Bus und Bahn massiv ausbauen. Das haben CDU, CSU und SPD versäumt. Für mehr Elektromobilität brauchen wir viel mehr Strom. Wo soll der herkommen?Wir brauchen einen deutlich schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das haben wir in unserem Klimaschutz-Sofortprogramm auch ausbuchstabiert. Konkret bedeutet das zum Beispiel: Zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft und eine Solarpflicht für jedes neue Dach. Es ist mir unverständlich, dass Armin Laschet das blockiert. Mit seinen Abstandsregeln für Wind wird es kaum noch Windausbau in NRW geben. Das ist eine Gefahr für den deutschen Industriestandort. Und was machen wir, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?Erneuerbare Energien sichern bereits heute fast 50 Prozent unserer Stromversorgung. In der Wissenschaft ist man sich einig, dass wir Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren Energien schaffen. Dafür brauchen wir ausreichend Speicher und Stromleitungen, deshalb wollen wir deren Bau beschleunigen. Wenn Sonne und Wind mal gleichzeitig Pause machen und sich die Speicher leeren, dann stehen mit grünem Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke als Reserve zur Verfügung. Klar ist aber auch, dass wir in Zukunft Wasserstoff aus dem Ausland werden beziehen müssen. Der muss dann grün, also aus Ökostrom, hergestellt sein. Wird mit Ihnen als Regierungschefin der Alltag der Bürger teurer?Nein. Er wird fairer und hoffentlich gesünder. Für mich ist wichtig: Gut gemachter Klimaschutz ist immer auch sozial gerecht. Daher möchte ich, dass ein erhöhter Preis, den wir alle für die CO2-Bilanz eines Produktes künftig zahlen müssen, fair ausgeglichen wird, so dass ein klimaneutrales Leben für alle machbar ist. Haben Sie ein Beispiel?Ich finde es verheerend, dass die CDU erzwungen hat, den CO2-Preis fürs Heizen alleine den Mietern aufzubürden. Denn es sind schließlich nicht die Mieterinnen und Mieter, die für einen Heizungstausch sorgen. Gleichzeitig treibt mich die Situation von Hausbesitzern mit niedrigen Einkommen um, davon gibt es ja gerade auf dem Land viele. Für sie möchte ich eine bessere staatliche Förderung, um ihr Haus sanieren oder ihre alte Heizung austauschen zu können. Wenn jemand eine Ölheizung im Keller hat und sich eine Wärmepumpe nicht leisten kann, dann will ich, dass die Politik ihm einen zinslosen Kredit anbietet, den er dann mit den eingesparten Heizkosten später zurückzahlen kann.

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