Brinkhaus: "Jede Stimme für die FDP wird eine bürgerliche Koalition schwächen"

Herr Brinkhaus, Deutschland blickt noch immer entsetzt auf die Lage in Afghanistan. Hat die Bundesregierung zu spät und falsch reagiert?Ralph Brinkhaus: Klare Aussage: Das hätte so nicht passieren dürfen. Alle westlichen Staaten haben die Situation dort falsch eingeschätzt. Wir werden genau aufarbeiten müssen, was wann falsch gelaufen ist. Aber erst einmal geht es jetzt darum, europäische Staatsangehörige und Ortskräfte dort herauszuholen. Und da bin ich sehr dankbar für den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Hat das Modell westlicher Demokratien im Vergleich zu anderen Systemen wie in China und Russland ausgelebt?Nein. Seit über 200 Jahren passen sich die liberal-demokratischen Systeme immer wieder erfolgreich an gesellschaftliche Umbrüche an. Das westliche Ideal mit bürgerlichen Freiheiten, mit garantierten Menschen- und Grundrechten und Wohlstand ist heute attraktiver denn je. Aber Staaten wie China oder Russland fordern unsere Werte und Freiheitsideale immer wieder heraus. Das zeigt sich momentan etwa in der Annäherung Pekings an die Taliban. Und da müssen wir konsequenter und pragmatischer reagieren. Trotzdem plädiere ich weiter für eine werteorientierte Außenpolitik, sonst verlieren wir unsere DNA. Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen und dafür im Gegenzug mehr Handelsbeziehungen wird mit uns nicht funktionieren. Wird die Flüchtlingsfrage durch das Thema Afghanistan jetzt für den Wahlkampf relevant werden?Ich gehe nicht davon aus, dass das ein Wahlkampfthema wird. 2019 hat der Bundestag mit dem Migrationspaket ein umfassendes Maßnahmenbündel zur Steuerung der Zuwanderung verabschiedet. Wir sind heute also besser vorbereitet als vor sechs Jahren. Im Wahlkampf ist bislang kein entscheidendes Kernthema auszumachen ...Auf den ersten Blick scheint das so, aber darunter pulsiert ein Mega-Thema. Denn bei dieser Wahl treffen zwei unterschiedliche Menschen- und Gesellschaftsbilder aufeinander. Was meinen Sie?Wir als Union haben ein anderes Gesellschaftsbild als die Konkurrenz links von uns. Wir wissen, dass der Staat einen Ordnungsrahmen setzen muss. Aber ansonsten setzen wir auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung, auf die Solidarität in Familien, Verein und Ehrenamt und auf die Kreativität der Menschen und der Unternehmen. So wie das bei uns in OWL gut funktioniert. Auf der anderen Seite steht das Modell von Linken, Grünen und SPD, wonach der Staat mit vollem Durchgriffsrecht von oben sehr viel regeln soll, so wie in der Pandemie. Bei den großen politischen Zielen, ob Klimaschutz oder sichere Arbeitsplätze, mögen die meisten Parteien in vielen Punkten übereinstimmen. Aber beim Weg dahin unterscheiden wir uns massiv. Diese Trennlinie zwischen mehr Freiheit oder mehr Staat müssen wir herausstellen. Haben Sie dafür mit Armin Laschen das richtige Spitzenpersonal?Ja. Armin Laschet ist ein Kämpfer, und wir werden jetzt Gas geben. Ich hoffe deswegen, dass wir am Wahlabend zwar in schmutzigen Trikots und mit blutigen Knien, aber als Sieger vom Platz gehen werden. Womit wollen sie die Trikots denn schmutzig machen? Wofür stehen Sie?Neben dem großen Thema Umwelt - fünf zentrale Punkte: Gut bezahlte Arbeitsplätze zukunftsfähig machen, also Umwelt und Wirtschaft zusammenbringen, Unternehmen und Arbeitnehmer entlasten statt belasten. Äußere und innere Sicherheit robust verteidigen. Staat und Verwaltung grundlegend modernisieren. Junge Familien, aber insbesondere auch ältere Menschen mehr in den Fokus der Politik stellen. Und als OWLer sage ich natürlich, wir brauchen einen starken ländlichen Raum mit guter Infrastruktur, fairen Bedingungen für die Landwirtschaft, guter Bildung und dazu gehören auch leistungsfähige Unis, wohnortnahe medizinische Versorgung und attraktive Kulturangebote. Sie haben kürzlich gesagt, dass manche Debatten im politischen Berlin völlig an den Sorgen der Menschen vorbeigehen. Was meinen Sie?Ein Beispiel: Das Gendern der Sprache ist bei allem Respekt nicht zentral für die Lebenswirklichkeit der Menschen. Damit muss ich auf dem Markt in Harsewinkel nicht kommen. Bei mir im Kreis Gütersloh werde ich gefragt, wie es mit ihren Arbeitsplätzen weitergeht, ob es genug Kita-Plätze gibt, es geht um die Qualität der Altenpflege oder um die Frage, wo und ob man angesichts der Preise noch bauen kann. &bdquo;Wichtig ist auf dem Platz", heißt im Fußball, und politisch heißt das: Das richtige Leben spielt sich zum Beispiel im Wohngebiet hinter der Heidewaldschule ab, und nicht in den Restaurants am Prenzlauer Berg in Berlin. Würde die Union diese Themen denn erneut in einer Großen Koalition mit der SPD angehen?Ich halte die Sozialprognose für Schwarz-Rot für recht ungünstig. Nach acht Jahren Koalition ist einiges verbraucht und wund. Wir brauchen neue Impulse. Aber wir reden mit allen Parteien, abgesehen von der Linken und AfD. Welchen Wunschpartner haben Sie denn? Eine möglichst starke FDP?Jeder, der die FDP wählt, muss damit rechnen, dass das in einer linken Ampel endet. Und da sitzen dann Grüne und SPD vorne und die FDP auf der Rücksitzbank. FDP-Chef Christian Lindner versucht Ihnen ja aktuell konservative Stimmen abzugraben ...Für uns beide ist die Decke zu kurz. Die FDP wird sicher in den Bundestag kommen, wir haben also überhaupt nichts zu verschenken, weil uns das am Ende des Tages schwächt. Jede Stimme für die FDP wird letztlich auch eine bürgerliche Koalition schwächen. Was ist in vier Jahren in Deutschland anders, wenn die Union erneut ins Kanzleramt einzieht?Große Schritte in Richtung Klimaneutralität – mehr mit Technologie und Innovation und weniger mit Verboten und Bürokratie. Weiterhin viele gut bezahlte, zukunftsfeste Arbeitsplätze. Eine schlagkräftige gemeinsame europäische Außenpolitik mit viel Selbstbewusstsein insbesondere auch gegenüber China. Mehr politische Wertschätzung für den ländlichen Raum. Eine Gesellschaft, die zusammenbleibt und sich mehr über das Gemeinsame und weniger über das Trennende definiert. Und mein Leib- und Magenthema: Einen vielleicht noch nicht optimalen, aber viel schnelleren und bürgerfreundlicheren Staat. Was heißt das konkret?Das Land vom Bürger her denken und nicht von den politischen Strukturen und Behörden. Das heißt, ich möchte, dass die alleinerziehende Frau nicht von Jugendamt über das Jobcenter bis zum Landschaftsverband ihre Hilfen zusammensuchen muss, dass Genehmigungsverfahren für Unternehmen schnell und aus einem Guss sind. Ich möchte, dass bei Pandemien, Fluten und anderen Katastrophen nicht lange ausgehandelt werden muss, wer für was zuständig ist, sondern dass Maßnahmen und Hilfen schnell und sofort ankommen. Und ich möchte, dass das alles möglichst digital stattfindet und nicht mit Papierakten oder Faxgeräten. Das alles ist nicht nur eine Frage der Lebensqualität in diesem Land, sondern auch eine Frage der Legitimation unserer parlamentarischen Demokratie. Denn eine Staatsform, die nicht liefert, wird schnell in Frage gestellt.

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