
Herr Alaows, warum kandidieren Sie?
Tareq Alaows: Ich will die Stimme derer sein, die hier in Deutschland als Geflüchtete leben. Es geht um Partizipation und um einen neuen Blick im Parlament. Die Leute, die bisher über die Migrations- und Flüchtlingspolitik entschieden haben, wissen nicht, wie man sich fühlt, wenn man fliehen muss. Ich will diese Perspektive in den Bundestag bringen. Es soll dort nicht mehr heißen „Dem Deutschen Volke" – sondern „Für alle Menschen, die in Deutschland leben".
Was wollen Sie ändern?
Das Ertrinken von Geflüchteten im Mittelmeer muss verhindert werden. Auch Situationen wie in den Geflüchteten-Lagern auf den griechischen Inseln oder in Bosnien , wo es den Menschen an wirklich allem fehlt und sie vollkommend entrechtet werden, darf es nicht mehr geben. Und wenn Frontex mit Pushbacks Geflüchtete an der EU-Außengrenze zurückdrängt, darf der Innenminister nicht so tun, als wüsste er von nichts, sondern muss hier den offensichtlichen Rechtsbruch klar brennen und verhindern.
Was war der Auslöser für Ihre Flucht?
Es gab keinen einzelnen Auslöser. Die ganze Entwicklung im Land hat dazu beigetragen. Ich habe beim Roten Halbmond Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Ich hatte an friedlichen Demonstrationen teilgenommen. Und die Gefahr war, dass ich zum Wehrdienst eingezogen werde, um für eine Diktatur zu kämpfen, die ich ablehne.
Wie verlief Ihre Flucht?
Ich war ungefähr zwei Monate unterwegs. Es ging über die Türkei nach Lesbos, von dort über die Balkanroute weiter, zum großen Teil zu Fuß. Ich hatte Glück und bin unterwegs nicht festgenommen oder geschlagen worden. Ein konkretes Ziel hatte ich nicht. Ich wollte in ein Land, wo ich mich sicher fühlen konnte. Am 4. September 2015 bin ich in Dortmund angekommen. Da habe ich das erste Mal wieder ein Gefühl der Sicherheit bekommen, weil ich da so viel emotionale Unterstützung bekommen habe. Ich habe mich sofort registriert. Das klingt vielleicht nicht so, aber es war eine sehr schwierige Zeit.
Wie ging es dann weiter?
Ich wurde erst ins Sauerland geschickt, dann nach Bochum in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Dort habe ich mit weiteren 60 Personen in einer Turnhalle gelebt. Da hat meine politische Arbeit begonnen. Ich habe die Notwendigkeit gesehen, aktiv zu werden. Ich hatte ja Jura studiert und hatte einen Überblick über europäische Gesetze. Dadurch wusste ich, dass viele Geflüchtete ihre gesetzlichen Ansprüche nicht wahrgenommen haben – einfach, weil sie sie nicht kannten. Meine erste politische Aktion war die Gründung von „Refugees Strike Bochum". Ich war der Pressesprecher. Wir haben unter anderem Deutschkurse gefordert.
Haben Sie schon den deutschen Pass?
Ich habe derzeit eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Das bekommt man zum Beispiel durch besondere Integrationsleistungen. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe ich beantragt. Meine Rechtsanwältin erwartet einen positiven Entscheid im ersten Quartal 2021. Das ist natürlich sehr wichtig für meinen Wahlkampf. Spätestens am Tag der Wahl muss ich deutscher Staatsbürger sein.